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Warten auf die neue Zeit. Berlins Behörden, hier das Bürgeramt Kreuzberg, sind auf internationale Kunden selten eingestellt.

© Mike Wolff

Amtssprache Deutsch: Berliner Behörden machen es internationalen Start-ups nicht leicht

Berlin zieht immer mehr internationale Start-ups an – meist wird dort auf englisch kommuniziert. Auf den Ämtern und Behörden haben es die Gründer damit oft schwer.

Der Hauch der großen weiten Welt – im dritten Stock in der Invalidenstraße 115 in Mitte spürt man ihn besonders. Hier hat das Wissenschaftsportal Researchgate seinen Hauptsitz, die Zweigstelle liegt in Massachusetts. Hundert Mitarbeiter, knapp die Hälfte davon aus dem Ausland, verteilen sich über drei Etagen, die Verkehrssprache ist Englisch. Ein Caterer kümmert sich um die unterschiedlichen Esskulturen von koscher bis vegan, es gibt ein Billardzimmer und einen Naproom fürs Nickerchen zwischendurch. Hier ist Berlin ganz, wie es sein will: jung, kreativ, international.

Das hat auch Haytham Mohtasseb gefallen. Der 31-jährige Syrer fing im Juli 2012 als Softwareentwickler bei Researchgate an. Die Probleme lagen anderswo: „Nur Deutsch!“ Mit dieser Aufforderung wurde er auf diversen Ämtern begrüßt, und das meist nicht gerade freundlich: in der Ausländerbehörde, auf dem Einwohnermeldeamt, dem Finanzamt und schließlich in der Volkshochschule, wo er gerade einen Deutschkurs buchen wollte. „Natürlich weiß ich, dass man in Deutschland deutsch sprechen muss“, sagt der promovierte Informatiker. Aber es müsse doch auch klar sein, dass man die Sprache am Anfang noch nicht gleich könne. „Da hätte ich von einer internationalen Stadt wie Berlin mehr Entgegenkommen erwartet.“

Haytham Mohtasseb ist nicht der Einzige, der solche Erfahrungen gemacht hat. „Das Thema kommt bei uns ganz oft auf“, erzählt Florian Nöll, selbst Unternehmensgründer und Vorstandsmitglied vom Bundesverband Deutsche Start-ups. Nicht nur für internationale Mitarbeiter in Berliner Firmen sei die Sprache ein Problem. Die bekämen immerhin oft Hilfe von ihren deutschen Kollegen, die sie auf die Ämter begleiteten. Besonders schwierig sei es für die Unternehmensgründer aus dem Ausland, da sie noch mehr Formulare ausfüllen und Amtsgänge erledigen müssten, berichtet Nöll. „Es gehört sich nicht für eine Stadt wie Berlin, dass es hier für Unternehmer und Arbeitnehmer aus dem Ausland keine Willkommenskultur gibt.“

Ein bisschen mehr Hilfe hätte sich auch Edial Dekker gewünscht. Die Stadt erschien dem 28-jährigen Niederländer als genau der richtige Ort, seine Ideen in die Tat umzusetzen: „Es gibt viele gute Leute hier, die Standards sind hoch, die Mieten günstig.“ Vier Jahre, unzählige Amtsgänge und zwei Start-ups später sieht der Gründer der Plattform Gidsy das zwar immer noch so, aber: „Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass uns hier keiner hilft.“ Sämtliche Formulare gibt es nur auf Deutsch, „wenigstens eine Kontaktperson auf den Ämtern, die Englisch versteht, wäre gut gewesen“.

Bei Gidsy kann jeder Events und Abenteuer auf der ganzen Welt anbieten, von der Fahrradtour durch Kapstadt bis zum Küchenkonzert in Utrecht. 13 Mitarbeiter aus acht verschiedenen Ländern hat das Onlineportal. Genau wie Researchgate, das weltweit Wissenschaftler miteinander vernetzt, ist Gidsy auf eine internationale Belegschaft angewiesen. Das bedeutet, dass immer jemand da sein muss, der den neuen Mitarbeitern bei den Amtsgängen behilflich ist. Gidsy und Researchgate haben zwar solche Leute, „aber das kostet jedes Mal extra Zeit und ist einfach überflüssig“, findet Dekker.

Das Problem ist der Berliner Verwaltung durchaus bekannt. Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) habe das Thema Internationalisierung oben auf ihrer Agenda, beteuert Petra Diroll, Sprecherin der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung. „Aber Berlin bewegt sich so schnell, da kommen wir mit der Umwälzung des Verwaltungsapparats nicht im selben Tempo hinterher.“ Inzwischen halte die Senatorin selbst viele ihrer Vorträge auf Start-up-Konferenzen auf Englisch. Außerdem soll der Posten des Einheitlichen Ansprechpartners (EA) aufgestockt werden. Den EA, eine behördenübergreifende Ansprechstelle, die bei den Formalitäten mit Ämtern und Verwaltung behilflich ist, gibt es in Deutschland seit 2009. Allerdings ist diese Anlaufstelle, die eine entsprechende EU-Richtlinie umsetzt, nur für Mitglieder der EU-Staaten eingerichtet. Und bisher kann lediglich mit dem EA in Kontakt treten, wer bereits einigermaßen Deutsch versteht, denn die Homepage gibt es nicht auf Englisch. Da nutzt es wenig, dass die Mitarbeiter des EA bereits Englisch-Auffrischungskurse besuchen, wie Diroll berichtet.

Viel Übersetzungsarbeit ist vonnöten, denn Berlin ist unter Gründern beliebt wie selten. „Die Stadt ist ein Magnet für Unternehmer aus der ganzen Welt“, sagt Leif Erichsen von der Industrie- und Handelskammer. Auch die IHK sieht die Notwendigkeit, den Sprachverkehr zu modernisieren. „Mangelnde Englischkenntnisse der Verwaltungen dürfen für internationale Gründer nicht zum Klotz werden“, fordert Erichsen. Allerdings würden nicht so viele internationale Start-ups in Berlin gegründet, wenn die Sprache wirklich ein so großes Problem wäre. „Alle belächeln die deutsche Überorganisiertheit und ärgern sich über die Behördengänge“, sagt Erichsen. „Dabei wird oft vergessen, dass vieles in Deutschland gerade wegen der Strukturiertheit so gut klappt.“

Für Haytham Mohtasseb von Researchgate hat sich erst nach einem halben Jahr alles geklärt: So lange hat er mit den deutschen und den syrischen Behörden gekämpft, bis auch seine Frau und die beiden kleinen Kinder aus der vom Krieg zerrütteten Heimat nach Berlin kommen durften. Seine Frau wird hier ihr Medizinstudium beenden, die Kinder haben einen Kitaplatz. „Wenn du erst einmal im System drin bist und genügend Deutsch kannst, läuft alles gut und die Leute auf dem Amt sind nett“, erzählt er. „Aber da reinzukommen, das ist ein verdammt weiter Weg.“

Die Anfrage des Tagesspiegels bei der Ausländerbehörde nach englischsprachigen Mitarbeitern bleibt ergebnislos; die Warteschleife meldet immer wieder – natürlich auf Deutsch: „Leider sind alle unsere Leitungen besetzt…“ Eine Mitarbeiterin der Einbürgerungs- und Staatsangehörigkeitsbehörde antwortet auf die Frage nach jemandem, der Englisch spricht: „Nein, so jemanden haben wir nicht. Da müssten Sie am besten einen Dolmetscher mitbringen.“ Ob das nicht misslich sei? „Nein, wir sind hier in Deutschland, Amtssprache ist Deutsch.“

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