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Berlin: Andere Lesart

Szene-Autoren quälen sich mit dem 9.November herum

Im Kaffee Burger ist es wie jeden Abend. Gedämpftes Licht beleuchtet braune Blumentapete, der Barmann verkauft Africola und aus alten DDR–Boxen klingt „Katja“. Ein Abgesang der Russendisco letzte Nacht.

An einem der runden Holztische vor einer kleinen Bühne sitzen drei junge Männer. Sie rauchen, werfen Blicke auf beschriebene Blätter in ihren Händen und debattieren. Vielleicht über Jahrestage. Dahinter warten, auf Holzbänken und Barhockern, geduldig ihre Fans. Menschen im besten Studentenalter, irgendwo zwischen 20 und 40.

Jakob Hein trägt eine grüne Armeejacke, sehr kurze Haare und eine schwarze Textmappe unter dem Arm. Er liest hier immer sonntags zur Reformbühne. Dieser ist für den 34-jährigen Autoren ein besonderer Abend. „Der 9. November ist ja kein zufälliges Datum. Das mit der Mauer und Schabowski war doch total clever.“

Der Sohn des kritischen DDR-Schriftstellers Christoph Hein schrieb in seinem Buch „Mein erstes T-Shirt“ über die eigene Kindheit im Osten. Seitdem gehört er zu der Szene junger Ostautoren, wie beispielsweise Jana Hensel. Aber mit Etiketten („Der selbstbewusste Osten“ oder „Generation 89“) kann der gelernte Arzt nichts anfangen. „Das klingt so nach Wolken, nach Behauptungen, ohne dass es da ist.“ Wie immer, wenn die Discokugel glitzert und der Ton gecheckt ist in diesem dunklen verrauchten Raum, eröffnet Hein den Abend. „Nur Schauspieler können Dinge wegdrücken“, sagt er. „Deswegen lautet das Motto: Je länger Mauern fallen, desto höher die Gefahr, dass einem dabei ganz schön weh getan wird.“

Niemand lacht. Es ist irgendwie kein witziges Thema. Aber es soll ein lustiger Abend werden. Ein Abend wie sonst, wenn die Autoren Stories aus ihrem Alltag erzählen. Möglichst sehr ironisch.

„Der vierte Jahrestag der Lieferung unserer Spülmaschine“ ist so eine Geschichte. Und sie hat auch irgendwie mit Osten zu tun. Damit, was danach kam und mit persönlichen Wandlungen. „Wir haben uns verändert, wir sind nicht länger anders, sondern mittendrin. Wir machen mit. Hallo Staat!, verzeih uns“, resümiert Ahne, einer der anderen Vorleser. Dann singt er den Doors-Song „This is the end“.

Wladimir Kaminer erzählt anschließend von Kindern, „die nach dem Sandmännchen nicht ins Bett gehen, sondern zu McDonalds“. Kinder ohne Future und mit viel Action. So wirklich zum Totlachen ist seine Story auch nicht. Kaminer ist der 9.November egal. „Gefeiert habe ich vor ein paar Tagen in Dresden, den 77. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution“, sagt der Kultautor. Stein, übrig gebliebener Anarchist aus West-Berlin findet, der Wahrheitsgehalt der Äußerungen von Hohmann, Günzel und Co. sei die wichtigste Frage des Abends. Irgendwann verbietet Jakob Hein ihm wild gestikulierend den Mund. Das Publikum klatscht. Hein liest jetzt seinen Text „Jubiläum“.

An diesem Datum „schien wieder alles möglich“, steht darin. „Korken knallten, Gläser klirrten, Schaufensterscheiben zerbrachen.“ Es war ein sehr kurzer Text, in sehr trockenem DDR-Deutsch. Ein schnell abgehaktes Thema für Hein. „Ich will von damals nichts wiederhaben“, sagt er, „mir fehlt auch nichts.“ Der 26-jährige Carsten Noack, regelmäßiger Besucher der Berliner Lesebühnen, ist enttäuscht. „Ich hätte mehr Politisches erwartet“, sagt er. Am Ende singen Hein, Kaminer und Co. noch Bob Dylans „Blowin’ in the wind“, mit neuem Refrain à la Gunter Gabriel: „Ich fahr ’nen 20-Tonner-Diesel. . .“ Soll ein bisschen lustiger klingen.

Maxi Leinkauf

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