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Berlin: Andi Arbeit Hahn (Geb. 1955)

Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als ein Bügelbrett fassen kann

Die große Welle des Lebens surft sich leichter mit einem Bügelbrett aus der Werkstatt von Andi Arbeit Hahn. Garantiert psychedelische Werkstoffe, insbesondere was die Motivwahl und die Farbgestaltung anbelangt, handwerklich astreine Verarbeitung, was allerdings noch nicht die Schwimmeigenschaften garantiert, denn da ist die Fantasieleistung des Käufers gefragt, was die meisten Interessenten abschreckte.

„Was machen Sie beruflich?“ – „Ich bemale seit 20 Jahren Bügelbretter.“ – „Kann man davon leben? – „Nö!“ – „Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, Bügelbretter zum Gegenstand Ihres künstlerischen Tuns zu wählen?“ – „Über das Buch der Bücher, die Bibel. Nach Austausch des ersten Vokals von i zu ü und des zweiten Konsonanten von b zu g war der Weg nicht weit von Bibel zu Bügel und nach vergeblichen Versuchen, Bügeleisen zu bemalen, zur Bearbeitung von Bügelbrettern. Zweitens: Höchstwahrscheinlich handelt es sich um ein Kindheitstrauma. Aufgewachsen in der späten Nachkriegszeit ist oft in der Familie ein Bügelbrett als Ersatztisch zum Wickeln gewählt worden und hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.“

Auf seiner Homepage www.andiarbeithahn.de, Sparte „knitterfrei“, sind die schönsten Exemplare in einer Bildergalerie gereiht.

Wie kommt einer dazu, Bügelbretter zu bemalen, wenn es nicht dem Gelderwerb dient? Wer in Großburgwedel aufwächst, in einer anständigen Familie mit anständigen Geschwistern, muss sich was einfallen lassen in Sachen Horizonterweiterung. Andi wählte den kleinen Umweg über Helgoland nebst dem größeren übers Universum – mittels des Treibstoffs LSD, den er dort auf der Insel zum ersten Mal erprobte, mit 15 Jahren.

Beam me up! Am Steuer des Raumschiffes saß Timothy Leary, Kapitän an Bord war Albert Hofmann, Aldous Huxley öffnete die Pforten der Wahrnehmung und holte all die Gestalten und Gesichter an Deck, die Andis Traumschiff in den folgenden Jahren bevölkerten. Die drei blieben seine Ratgeber in Sachen Transzendenz. Andi erprobte alles Mögliche, natürlich auch zum Genuss, aber mehr noch aus Neugier auf das, was sich auf den ersten Blick nicht erschließt: die Welt hinter der Welt, auch „Anderswelt“ genannt. Ansonsten lebte er sehr sportlich (1988: 3489ter von 9867 Läufern beim Hanse-Marathon), den ewigen Heißhunger auf Süßes mal nicht mitgerechnet. Denn: Drogen sind nicht immer gesund, wie er in seinem Lied „Drogenallergie“ warnt: „Neulich, da hatte ich ’ne Drogenallergie / Der kleinste Krümel Hasch, schon schwoll mir das Knie / Auch nach Opas Opium / Drehte sich mein Magen um / Muskatnuss und der Fliegenpilz / Verätzten mir die halbe Milz.“ Und das ist noch nicht das Ende der Aufzählung.

Länger ist nur die Aufzählung all der Jobs und Projekte, in denen er nach dem Andi-Arbeit-Hahn-Prinzip den Alltag durchsichtig für Höheres werden ließ.

Er hat Kurzfilme gedreht, Installationen gewerkelt, komponiert, getextet, als Schauspieler, als Schauspieler-Ankleider gearbeitet, war Requisiteur und Konferenztechniker. Er strampelte auf dem Velotaxi, zeigte sich offen für alle Umschulungsvorschläge des Arbeitsamts, werkelte im Theater hinter der Bühne, experimentierte in einer Videowerkstatt, bastelte überall, weil es immer was zu basteln gab. Berufsbild: Alltagsartist. E. T. A. Hoffmann war sein Zeuge, und Robert Walser, Paul Klee und Max Ernst: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde zu malen, als ein Bügelbrett fassen kann.

Der kleinste gemeinsame Nenner all dessen, was er auf die Beine stellte: Er hat getan, was ihm Spaß machte. Mit den Leuten, die Spaß verstanden. Michael Quasthoff, kongenialer Alltagsartist, war ein guter Freund, dessen Bruder Thomas, der Sänger, wurde es auch. Freund, Assistent, persönlicher Begleiter, so kam Andi herum in der großen Welt, ohne dass ihn die feine Gesellschaft sonderlich beeindruckt hätte, sein Kiez war ihm auf lange Sicht lieber.

Er wanderte gern zwischen den Welten und liebte den Raum dazwischen, das Meer. Es zog ihn immer wieder dorthin, aber es war eine Sehnsucht, die Gefahr in sich barg. Das hat er geahnt. Neben den klassischen Bügelbrettbearbeitungen kamen in letzter Zeit große „Sargdeckel“ hinzu, der Form des Bügelbretts nachempfunden. Als Neujahrskarte verschickte er ein Bild, auf dem die Hände eines Ertrinkenden die Jahreszahl 2014 darstellen. Auf seinem Balkon hing ein Rettungsring, darin ein Porträt von ihm.

„Mehr Meer“, reimte er, „mehr Meer … “. Als ob ihm die Welt zu klein geworden wäre. „Spätnachts rief ich bei Albert Hofmann an / Klingelte aus dem Bett den alten Mann / Er wusste auch keinen guten Rat / Brummte nur: Gemach, gemach / Wasch dir die Haare, halt dich fit / Mit 60 kiffste wieder mit!“ Schön wär’s gewesen.

Am Morgen des 10. August, es herrschte hoher Wellengang vor der Küste Sylts, geriet eine Schwimmerin in Not, er wollte sie retten, wurde selbst von den Wellen nach unten gedrückt, lag 13 Tage im Koma.

Es gab diesen Tod schon einmal, in einem Roman Erich Kästners, Fabian, der ein Kind vor dem Ertrinken retten wollte, obwohl er selbst nicht schwimmen konnte. Andi konnte gut schwimmen, geholfen hat es ihm nicht. Jetzt surft er auf seinen Bügelbrettern, irgendwo in der Galaxis, bis die große Welle ihn wieder zurückbringt.

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