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Berlin: Anklage: Zehn Jahre Haft für Waldemar O. U-Bahnschubser beginnt Tat nicht im Rausch / Plädoyers im Prozess

Wenn Waldemar O. genug Bier und Schnaps getrunken hatte, pöbelte er Passanten an.

Wenn Waldemar O. genug Bier und Schnaps getrunken hatte, pöbelte er Passanten an. Wurde er aggressiv, berief er sich später vor Gericht auf fehlende Erinnerungen. Das versuchte er auch im Fall von Thiemo K., den er vor die U-Bahn gestoßen hatte. Akribisch listete der 33-jährige O. vor dem Berliner Landgericht auf, was er an jenem Tag an Alkohol getrunken haben will. Bei einer Tat im Vollrausch müsste er höchstens fünf Jahre ins Gefängnis. Doch damit kann der Angeklagte seit gestern nicht mehr rechnen.

Ein Gutachter sagte, Waldemar O. sei nicht so betrunken gewesen, dass von einer Rauschtat auszugehen sei. Nachdem er dem damals 22-jährigen Thiemo K. einen wuchtigen Stoß versetzt hatte, habe er noch auf das Gleisbett geguckt und sei dann schnell zur Treppe gelaufen. Er sei nicht psychisch krank, nicht süchtig, aber aufgrund seines erheblichen Alkoholkonsums vermindert schuldfähig gewesen.

Davon ging auch der Staatsanwalt aus. Er forderte zehn Jahre Haft für den Angeklagten. Waldemar O. sei des versuchten Mordes aus Heimtücke schuldig zu sprechen, sagte Staatsanwalt Georg Bauer.

Waldemar O., ein Spätaussiedler aus Kasachstan, hatte Thiemo K. am 16. Dezember letzten Jahres auf dem U-Bahnhof Zwickauer Damm auf Russisch angesprochen. Es sei einer der „absurden Versuche des einsamen Menschen“ gewesen, Kontakte zu finden, sagte die Verteidigerin. Thiemo K. sagte ihm, dass er ihn nicht verstehe und ihm deshalb nicht helfen könne. Er drehte sich um, weil seine U-Bahn einfuhr. Da kam plötzlich der Stoß des Angeklagten. Der erste Wagen überfuhr den jungen Mann, der auf dem Heimweg zu Freundin und Tochter war. Thiemo K. verlor beide Unterschenkel. Später wurde noch das rechte Knie amputiert.

„Waldemar O. wusste, dass Thiemo K. ohne 35 Schutzengel ums Leben gekommen wäre“, sagte der Nebenklage-Anwalt. „Es muss ihm egal gewesen sein.“ Thiemo K., der auf Krücken zum Prozess gekommen war und O. als Täter identifiziert hatte, wolle nun ein gerechtes Urteil. In Absprache mit K. gehe er von einer verminderten Schuldfähigkeit aus, sagte der Anwalt des Opfers. Ein Motiv für die Tat konnte im Prozess nicht geklärt werden. Der Gutachter sagte, Waldemar O. sei ein einsamer, misstrauischer Mensch und neige vor allem unter Alkoholeinfluss dazu, Dinge falsch zu interpretieren. Er reagiere dann aggressiv. Als sich Thiemo K. umdrehte, habe er diese Geste möglicherweise falsch gedeutet und sich gekränkt gefühlt. Nach Überzeugung der Verteidigerin handelte O. spontan und ohne heimtückischem Vorsatz. Sie plädierte auf eine Bestrafung wegen schwerer Körperverletzung, stellte jedoch keinen konkreten Antrag.

Schluchzend reagierte der Angeklagte auf die drohende Haftstrafe. „Ich werde sterben“, jammerte er. „Zehn Jahre werde ich nicht überstehen.“ Das Urteil soll am 30. Juli verkündet werden.

Kerstin Gehrke

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