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Berlin: Annäherung durch Wandel

Die Polizei hat sich verändert: Aus der paramilitärischen Truppe wurde eine kiezorientierte Ordnungsmacht

So kennt man das seit vielen Jahren: Die Sparkasse am Kottbusser Tor ist mit Plexiglasplatten vor Angriffen geschützt. Der Autohändler in der Mariannenstraße hat seine Wagen weggebracht. Sperrholzplatten verhüllen das Schild an der Fassade der Apotheke. Wer in Kreuzberg ein Geschäft betreibt, hat es routiniert für den Krawall gerüstet. Wer ein Auto besitzt, fährt es aus dem möglichen Krisengebiet heraus. Die Kreuzberger treffen ihre Vorbereitungen für den Randalefall, wie man sich in Florida vor einem Hurrikan schützt.

Dabei stehen die Chancen auf einen krawallfreien 1. Mai besser denn je. Alle scheinen sich gegen die Randale verschworen zu haben: Die Rechten demonstrieren in Rostock und Leipzig, die Linken sind zerstritten, die Anwohner haben die Krawalle ohnehin satt, und der Wetterbericht macht alkoholbedingtes Aufbegehren in lauer Nacht unwahrscheinlich. Und es gibt noch einen Grund, weshalb die Randaletradition enden könnte: Berlins Polizisten, in der Szene einst als „verfluchte Bullenschweine“ verschrien, eignen sich nicht mehr als Gegner und Feindbilder.

Es war eine schleichende, stille Entwicklung, doch inzwischen versichern alle Experten: Die Berliner Polizei ist in den letzten 15 Jahren ziviler, mehr Teil der Bevölkerung geworden. Ein neues Denken in der Führung hat den alten Korpsgeist abgelöst. „Eine staunenswerte Wandlung“, urteilt der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland, der die Berliner Polizei seit Jahrzehnten im Blick hat.

Wieland steht an der Skalitzer Straße vor dem so genannten Bolle-Grundstück. Heute streben dort, wo während der ersten Mai-Randale vor 19 Jahren ein Supermarkt geplündert wurde, die Minarette einer Moschee in den Himmel. Die Randale begann, wie Wieland sich erinnert, damit, dass auf dem Lausitzer Platz ein paar Feuer gelöscht werden sollten. Gegenüber brachen Plünderer einen Bolle- Markt auf. Jetzt schleicht sich ein Grinsen in Wielands furchenreiches Gesicht: Die Deutschen, erklärt er, holten sich Alkohol – die Türken rollten im Familienverbund die Kleiderständer aus dem Markt. Das war nicht Anarchie, es war Chaos – und die Polizei bekam es nicht unter Kontrolle. „Räumen bringt nichts, wenn das Potenzial sich an der nächsten Ecke wieder sammelt“, sagt Wieland.

Was aber macht die Polizei jetzt anders? Sie habe ein „deutlich freundlicheres Auftreten“, sagt Wieland. Doch auch die Festnahmetrupps seien besser geworden. Die machten jetzt „beweiskräftige Festnahmen“. Früher lief das anders. Da rissen drei Polizisten einen Randalierer zu Boden, verprügelten ihn – und ließen ihn liegen. Vor Gericht machten sie die Erfahrung, dass ihre Aussagen gegen angeklagte Steinewerfer angezweifelt wurden, weil Monate nach dem Vorfall Details nicht stimmten oder erinnerbar waren. So hätten manche in der Mai-Nacht „ihr Mütchen gekühlt“, sagt Wieland.

2003 ließ sich die Polizei auf eine Initiative ein, die den Durchbruch zum anderen, friedlichen 1. Mai bringen sollte. „Gefühl und Härte“ – so nannte Polizeichef Dieter Glietsch die Strategie zum 1. Mai. Der Spruch stand in den 80er Jahren an Kreuzberger Hauswänden. So hieß eine Platte der Deutschpunk-Band „Daily Terror“. Ob Glietsch die kannte? Zur Strategie des neuen Präsidenten gehörte, dass die Polizisten auf der Straße kaum zu sehen waren; sie verbrachten den Nachmittag in großen Hinterhöfen. So waren sie schnell einsatzbereit – wenn die Randale begonnen hatte. Es war und ist eine „sensible Frage“, sagt Wieland, wann der Zeitpunkt zum Eingreifen da ist. Doch das habe von Jahr zu Jahr besser geklappt, und 2005 „gab es Lob von allen Seiten“. Glietsch war es auch, der eine neue „Fehlerkultur“ einführte. Für korrupte oder gewalttätige Polizisten sind die Zeiten härter geworden.

Einer, der bei der Berliner Polizei früher undenkbar gewesen wäre, ist Bernhard Schodrowski. Der 38-Jährige ist Vize-Chef der Pressestelle, steht für das, was in der Polizei anders geworden ist. Sein Antrieb: „Wir wollen den Leuten erklären, wieso der Bulle so tickt, wie er tickt.“ Das ist nicht die Sprache, die die Berliner früher von der Staatsmacht gewohnt waren. Lange glichen die Polizisten, die sich nach einem Einsatz im Fernsehen präsentierten, uniformierten Sprachrobotern. „Nach Durchführung der polizeilichen Maßnahme...“ Schodrowski lacht. Er bevorzugt „eine klare, verständliche Sprache“. Auf Umwegen ist er zur Polizei gekommen, studierte erst ein paar Semester Theologie, lernte Einzelhändler und verkaufte Anzüge bei Leineweber. Er jobbte als Taxifahrer, als Wachmann, als Synchronsprecher und Radiomoderator, bevor er sich 1991 bei der Polizei bewarb. „Da musste mir keiner mehr beibringen, wie ich den Bürger anzusprechen habe.“

Nicht zuletzt die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat der Polizei Zulauf von Menschen wie Schodrowski beschert: examinierte Lehrer, Betriebswirte, Juristen. „Die Polizei ist überrascht worden von dem Potenzial“, sagt Schodrowski. Aber ihr sei es gelungen, „individuelle Persönlichkeiten nicht nur zuzulassen, sondern zu pflegen und zu fördern“. Oberkommissar Schodrowski stieg nach einigen Jahren beim Landeskriminalamt in drei Monaten vom Praktikanten in der Pressestelle zum Vize auf. Sein Motto: „Jeder soll sich trauen, was zu sagen – die beste Idee siegt.“

Der Mann, mit dem das alles anfing, heißt Klaus Hübner. Heute ist er 82, wirkt aber, als sei er gerade in Pension gegangen, ein schlanker Mann mit dunklen Haaren. Hübner befasst sich gern mit Geschichte, und Geschichte hat er in Berlin gemacht. Er war 1969 geholt worden, um das sicherheitspolitische Chaos im studentenbewegten Berlin zu beenden. Als er kam, hieß es in der Dienstvorschrift der Polizei: „Das Gespräch mit dem Publikum ist auf das Notwendigste zu beschränken“, erzählt Hübner. Das habe ich geändert in: „Das Gespräch mit dem Bürger ist zu suchen.“ Das Detail zeigt, was er wollte: Eine paramilitärische Truppe sollte in jeder Hinsicht liberalisiert werden.

Dass die Polizei so war, hing ganz einfach mit der Teilung der Stadt zusammen. West-Berliner Polizisten sollten im Ernstfall soldatische Aufgaben übernehmen. Deshalb wurden sie auch an schweren Maschinengewehren ausgebildet. „Die Bereitschaftspolizei war lange eine paramilitärische Einheit“, sagt auch Hübners Nachfolger, Ex-Präsident Georg Schertz, der die Polizei 1987 bis ’92 führte. „Die Relikte haben sich bis in meine Zeit gezogen.“

Tilman Fichter, in den Sechzigern einer der SDS-Vorsitzenden, hat die Berliner Polizisten bei Einsätzen oft erlebt – auch vor der Deutschen Oper an jenem 2. Juni 1967, als Benno Ohnesorg ums Leben kam. „Einen Kessel bilden und die Feinde vernichten“, sagt Fichter – das sei die Strategie gewesen. „Man konnte damals mit den Polizisten gar nicht reden. Die sahen in uns Partisanen.“ Fichter sah, wie Demonstranten „an den Haaren über das Pflaster gezogen wurden“. Den Zug der Protestierenden verglich Polizeipräsident Duensing mit einer Leberwurst, in die „wir in der Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinander platzt“.

Fichter denkt noch heute über die Fehler nach, die auch die Studenten machten. Andere, die damals links waren, reagieren auf das Polizeithema einsilbig. Ehrhart Körting zum Beispiel: Ja, sicher, auch er habe gegen den Vietnam-Krieg protestiert. Von Repressionen, martialischem Auftreten und harten Fronten will er nichts wissen. Kein Wunder: Seit fünf Jahren ist Körting Innensenator, der Dienstherr der Polizei. Aber auch Körting leugnet nicht, dass sich die Polizei verändert hat. Der Schutzmann an der Ecke sei dem „hoch qualifizierten Spezialisten mit Fachhochschulstudium“ gewichen. 17 000 Vollzugsbeamte gibt es in Berlin, 60 Prozent haben ein dreijähriges Studium hinter sich, kennen sich aus in Recht, Psychologie, Prävention. „Das verändert auch das Innenleben der Behörde.“

Körting glaubt nicht, dass sich der Wandel der Polizei an Legislaturperioden abmessen lässt. „Man kann als Innensenator nur Akzente setzen.“ Da mag was Wahres dran sein, aber es macht einen Unterschied, ob der Polizei ein Senator vorsteht, der sich mit markigen Sprüchen einen Ruf als Hardliner erwirbt und auf Härte pocht. Oder ob er – wie Körting – lieber über die Präventionsarbeit in den Schulen doziert, über die Kooperation mit den Quartiersmanagern, die Anti-Konflikt-Teams und sagt: „Die stärkste Waffe der Polizei ist die Sprache – der Zugriff die letzte Möglichkeit.“

Die Entwicklung hat Schattenseiten, wie Respektlosigkeit gegenüber Streifenbeamten mitsamt der Tendenz, diese unter Druck zu setzen. „Der polizeiliche Alltag ist deutlich schwieriger geworden, weil die Bevölkerung sich geändert hat“, sagt Wieland. Heute hörten Polizisten öfter mal „Piss off“ und würden aggressiv angegangen. Heute gibt es Kieze, in denen sich gleich 15 junge Männer vor einem Polizeiauto aufbauen, weil ein Beamter einen Strafzettel wegen Parkens in zweiter Reihe schreibt.

Um so angenehmer ist es auch für die Polizisten, wenn sie nicht mehr das Gefühl haben, eine ganze Kiezbevölkerung sei gegen sie. Der Grünen-Politiker Christian Ströbele ist, man glaubt es kaum, Kronzeuge dieser Entwicklung. Von Herkunft und Anspruch her ein Popstar der Protestler, hat er längst ein gutes Verhältnis zu den Ordnungskräften. Wenn er am 1. Mai in Kreuzberg oder auf einer der vielen Antifa-Demos auftaucht, teilt sich die Menge. Polizisten nicken zum Gruß.

Jetzt sitzt Ströbele in seinem Bundestagsbüro und zählt auf, was früher „undenkbar“ war: dass man am 1. Mai inzwischen die Polizisten beobachten kann, die, den Helm unter den Arm geklemmt, in Zweiergruppen über das Straßenfest schlendern. Dass ein linkes Bezirksamt Strafanzeige gegen die Besetzer des Künstlerhauses Bethanien stellt, sich aber die Polizei weigert, das Haus zu räumen. Ströbele: „So etwas trägt dazu bei, dass sich der Ruf der Polizei wesentlich verbessert hat.“

Vielleicht nicht nur der Ruf. Jedenfalls spricht einiges dafür, dass die Polizei auch diesen Tag der Arbeit mit den Kreuzbergern hinter sich bringt, nicht gegen sie. Aber, auch das sagen alle Experten: Beim 1. Mai weiß man nie.

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