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Gerade in Gegenden mit knappen Wohnraum fordern viele bezahlbare Mieten.

© mauritius images

Anstieg des Mietspiegels: Warum Berliner Mietern teure Zeiten bevorstehen

Der Mieterstadt Berlin droht im September wieder eine Welle von Mieterhöhungen. Welche Mieten steigen besonders stark – und warum?

Alle zwei Jahre kommt er neu heraus, der Berliner Mietspiegel. Die gespiegelte „ortsübliche Miete“ kennt seit Jahren nur eine Richtung: aufwärts. Auch in diesem Jahr ist das so, der Preisauftrieb ist besonders stark. Trotzdem gibt es Ärger, wie fast jedes Mal nach der Veröffentlichung des Regelwerks, das eigentlich für einen Ausgleich der Interessen von Hauseigentümern und Mietern sorgen soll.

Was ist eigentlich der Mietspiegel?

Ein Hilfsmittel für Mieter und Vermieter, um die „ortsübliche Miete“ in einer Stadt festzustellen. Dazu werteten Gutachter im vergangenen Jahr rund 130 000 Mietverträge aus, deren Mieten in den letzten vier Jahren neu abgeschlossen oder erhöht worden waren. Der Mietspiegel berücksichtigt keine Sozialwohnungen, deren Mieten subventioniert sind, und auch nicht Wohnungen, deren Mieten unverändert blieben. Der Mietspiegel gibt nicht den aktuellen Marktpreis von Mietwohnungen wieder: Diese „Angebotsmieten“ für freie Wohnungen sind viel teurer. Der Mietspiegel erscheint alle zwei Jahre und wird von einer Arbeitsgruppe mit Mieter- und Vermietervertretern, Gutachtern und Senat erarbeitet. Gerichte ziehen den Mietspiegel gerne heran, wenn Mieter und Vermieter über eine Mieterhöhung streiten. Relevant ist der Mietspiegel für knapp 1,4 Millionen Wohnungen.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Durchschnittsmieten sind seit der letzten Veröffentlichung jährlich um 4,6 Prozent gestiegen. Das sind rund 28 Cent pro Quadratmeter und Monat. Die „gewichtete Durchschnittsmiete“ liegt nun bei 6,39 Euro je Quadratmeter nettokalt im Monat – gegenüber 5,84 Euro vor zwei Jahren. Am stärksten stiegen die Mieten von Altbauten (bis 1918 gebaut): um 6,3 Prozent jährlich. Auch die Mieten von ganz kleinen Wohnungen von maximal 40 Quadratmetern sowie ganz großen Wohnungen über 90 Quadratmeter zogen kräftig an: beide jeweils um 5,5 Prozent im Jahr. Auffällig auch der Zuwachs bei Mieten in guten Wohnlagen: um 6,3 Prozent im Jahr. Der Berliner Mieterverein weist außerdem auf den Anstieg der „Oberwerte“ im Mietspiegel hin: um mehr als 8,5 Prozent im Jahr. Die Oberwerte gelten für besonders gut ausgestattete Wohnungen.

Gibt es in Berlin noch billige Wohnungen?

In großen Wohnungen von Plattenbauten, die im Ostteil der Stadt zwischen 1973 und 1990 errichtet wurden, liegen die Mieten bei 4,70 Euro je Quadratmeter und Monat, jedenfalls in „einfachen Lagen“ der Stadt, zu denen Großsiedlungen in Marzahn und Hellersdorf gehören.

Was sagt Stadtentwicklungssenatorin Lompscher zum neuen Mietspiegel?

„Kein Grund zur Entwarnung“, sagt sie, aber die „Mietspiegel-Miete ist immer noch relativ günstig im Vergleich zu Hamburg oder München“. In München liege der Durchschnittswert bei 11,23 Euro je Quadratmeter und Monat, in Hamburg bei 8,02 Euro. Auf die steigenden Mieten will Lompscher mit „verstärktem Neubau von leistbaren Wohnungen“ reagieren. Außerdem will sie den Markt stärker regulieren: Eine Initiative im Bundesrat strebe einen besseren Mieterschutz bei nicht preisgebundenen Wohnungen an.

Mietervertreter beklagen einen Formfehler. Worum geht es da?

Es geht um die Mietpreisbremse des Bundes, die einfach nicht greift. Dazu muss man wissen, dass die Ermittlung der Mietpreise durch die Auswertung von Mietverträgen erfolgt. Die Mietpreisbremse zog der Bund vor zwei Jahren an. Viele neue Mietverträge, die nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes abgeschlossen wurden, missachteten das Gesetz und beachteten nicht die neue Kappungsgrenze (maximal zehn Prozent mehr Miete als ortsüblich). Streng genommen sind solche Verträge also „illegal“, laut Mieterverein fließen sie aber trotzdem in die Berechnungen zum Mietspiegel ein. Und das verfälsche das Bild, sagen die Mietervertreter.

Zwei Hausbesitzer- und Vermieterverbände erkennen den neuen Mietspiegel nicht an. Wie begründen sie das?

Der Mietspiegel gebe ein „Bild ab, das nicht der Wirklichkeit entspricht“, weil nur drei Viertel der erhobenen Daten berücksichtigt worden seien. Außerdem seien die „wohnwerterhöhenden Eigenschaften“ von Wohnungen bei der Ermittlung der Mietspiegel-Werte gestrichen worden. Einfach ausgedrückt sagen die Vermieter: Ohne diese Korrekturen an der Mietpreis-Ermittlung wären die Werte im Mietspiegel viel höher gestiegen. Gutachter aus der Arbeitsgruppe bestätigten dies auf Nachfrage nicht. Die Streichung der Sondermerkmale begründet der Senat damit, dass Gerichte diese kritisiert hätten. Im Gegenzug sei aber – gewissermaßen als Ausgleich des dadurch gestrichenen Mieterhöhungspotenzials – die Zahl der im Mietspiegel berücksichtigten Verträge erhöht worden.

Hintergrund: Von den knapp 130 000 Stichproben bei der Mietspiegelerhebung streichen die Gutachter die „Ausreißer“, also besonders teure oder besonders billige Mietverträge, heraus, weil diese eben nicht ortsüblich sind. Deshalb werden nur drei Viertel aller Stichproben berücksichtigt, aber mehr als vor der Korrektur.

Greift die Mietpreisbremse gar nicht?

Nein. Zum einen, weil sie in der ersten Hälfte des Zeitraums, in dem Stichproben erhoben wurden, noch gar nicht in Kraft war. Zum anderen, weil die Bremse durch viele Ausnahmen oft ins Leere greift. Hinzu kommt, dass so mancher gesetzestreue Vermieter kurz vor Einführung der Bremse noch einmal kräftig die Mieten angehoben hat. Die Mietpreisbremse lässt Mieten von maximal zehn Prozent über der ortsüblichen (Mietspiegel-)Miete zu.

Drohen jetzt Mieterhöhungen für alle?

Für alle die, deren Miete nicht ohnehin schon an der Obergrenze des Ortsüblichen liegt – und bei denen in den vergangenen drei Jahren nicht bereits Mieterhöhungen von zusammen 15 Prozent fällig wurden. Diese Kappungsgrenze gilt unabhängig vom Mietspiegel.

Kann man nichts gegen Mieterhöhungen tun?

Doch. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat auf ihrer Website einen einfachen Mietenrechner gestellt: www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/de. Hier gibt man Straße und Hausnummer an, und es erscheint die ortsübliche Miete mit Unter- und Oberwert. Wer es genau wissen will, gibt noch Details der Wohnungsausstattung an und erhält den präzisen ortsüblichen Vergleichswert für seine konkrete Wohnung. Liegt die geforderte Miete höher, lohnt die Einschaltung einer Mieterberatung. Tipp: Wer nach Inkrafttreten der Mietpreisbremse einen teuren Mietvertrag unterschrieben hat (zehn Prozent mehr als ortsüblich), kann diesen anfechten lassen. Der Berliner Mieterverein bietet hier Hilfe an.

Wie sind die politischen Reaktionen auf die Mietspiegel-Veröffentlichung?

Der Vorsitzende des Forums Stadtentwicklung der CDU-Fraktion, Matthias Brauner, sagt, die Koalition stehe vor dem „Scherbenhaufen der eigenen neuen Wohnungspolitik“. In den vergangenen fünf Jahren seien mehr als 250 000 Menschen neu in die Stadt gekommen, aber in diesem Zeitraum seien nur 36 000 Wohnungen neu gebaut worden.

Hat die Weigerung von zwei Vermieterverbänden, den Mietspiegel zu unterschreiben, Folgen für dessen Gültigkeit?

Nein, erklären der Senat und seine Gutachter. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) argumentiert, dass der Mietspiegel auch dann „qualifiziert“ wäre, wenn keiner der sechs beteiligten Verbände unterschrieben hätte. Tatsächlich „haben wir keinen vollständigen Konsens erreicht, aber eine breite Mehrheit“, sagte sie. Vier der sechs an der Mietspiegel-Erhebung beteiligten Vereine und Verbände würden den Mietspiegel unterzeichnen. Darunter ist auch der größte Vermieterverbund in der Stadt, der „Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen“.

Stehen die Gerichte hinter dem Mietspiegel?

Ja, bisher erzielten die Vermieter mit ihrer Kritik nur vorübergehende Erfolge in erster Instanz. Die Kammern des Landgerichts entschieden bisher im Zweifel für den Mietspiegel. Denn auch wenn dieser nicht bis ins letzte Detail „qualifiziert“ sein sollte, was die Richter offenließen, sei nicht ersichtlich, warum ein einzelner Gutachter genauer die ortsübliche Miete ermitteln könne als ein Instrument, das diese aus vielen tausend vergleichbaren Wohnungen ableite.

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