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Antibiotikaresistenzen: Nicht gleich die ganze Wiese mähen

Resistenzen gegen Antibiotika sind in der Medizin ein zunehmendes Problem. Neue Projekte und Konzepte sollen sie verhindern.

Harnwegsinfekt: Das klingt zunächst recht harmlos, vor allem, wenn auch noch das Attribut „unkompliziert“ zur Diagnose gehört. Schließlich bekommen viele ansonsten gesunde Frauen von Zeit zu Zeit eine Blasenentzündung. Schon kurz nach der Einnahme der ersten Tablette eines Antibiotikums verschwinden aber meist die Beschwerden. Die Sache ist vergessen.

Umso größer war der Schock, als kürzlich von einer Entdeckung zu lesen war, über die US-Forscher Ende Mai berichteten: Im Urin einer 49-jährigen Patientin mit einem Infekt der Harnwege hatten sie ein Bakterium aus der weit verbreiteten Familie E. coli gefunden, das ein besonderes Gen enthielt. Das Gen mrc-1 macht den Keim gegen das Uralt-Antibiotikum Colistin unempfindlich – eine der eisernen Reserven der Ärzte gegen Bakterien, die sich von gängigen Mitteln unbeeindruckt zeigen. Die Forscher fürchten, das Gen könne die Ära „panresistenter“, also gegen alle Antibiotika unempfindlicher Bakterien einläuten.

Aus heiterem Himmel kam die Nachricht nicht. Allein in Europa und den USA sterben in jedem Jahr rund 50 000 Patienten an Infektionen mit Krankheitserregern, die gegen gängige Antibiotika resistent sind. Tendenz steigend. Das ist einem britischen Report zu Antimikrobiellen Resistenzen (AMR) zu entnehmen, der ebenfalls vor Kurzem veröffentlicht wurde. Im Weltmaßstab ist das Problem noch deutlich größer, in vielen Ländern sind Antibiotika ohne Rezept zu haben. In dem Bericht werden neben verbesserter Hygiene, sparsamerem Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft und finanziellen Anreizen für die Entwicklung neuer Mittel als eine der wichtigsten Maßnahmen wirkungsvolle Aufklärungskampagnen gefordert.

Ein Modellprojekt an der Charité ist Vorreiter

Als Vorreiter bei diesem Ansatz, der Mensch, Tier und Umwelt einschließt, kann das Charité-Modellprojekt „Rationaler Antibiotika-Einsatz durch Information und Kommunikation“ (RAI) gelten, das im Jahr 2015 unter Federführung von Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin, ins Leben gerufen wurde. Dafür haben sich Mediziner und Tiermediziner mit Experten aus den Bereichen Design und Kommunikation zusammengeschlossen. Die Botschaften richten sich an alle, bei denen Antibiotika zum Einsatz kommen: Hausärzte, Fachärzte, Intensivmediziner, aber auch Veterinärmediziner und Landwirte.

Neben der Charité sind das Robert Koch-Institut (RKI), das Uniklinikum in Jena, das Design-Büro Lindgrün GmbH und zwei sehr unterschiedliche FU-Institute eingebunden, nämlich das Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen und das Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Das Modellprojekt RAI wird im Rahmen von InfectControl 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

In der ersten Phase des Projekts ging es um eine Bestandsaufnahme mittels Befragung. Ein Ergebnis: 58 Prozent der über 1000 befragten Erwachsenen sind überzeugt davon, dass ihr eigenes Verhalten bei der Verwendung von Antibiotika keinen Einfluss auf die Entwicklung von Resistenzen hat. Dabei hat die Art der Einnahme durchaus Einfluss darauf.

Noch erstaunlicher ist allerdings, dass auch die Hälfte der Tierärzte das eigene Verhalten bei der Verordnung von Antibiotika nicht zur Resistenzsituation in Beziehung setzt. „Für den richtigen Umgang mit Antibiotika ist Wissen entscheidend, doch da gibt es teils große Lücken, die wir schließen müssen“, sagt Gastmeier. Eine Idee dafür ist der „Infozept-Generator“ für Hausärzte. Das elektronische Werkzeug unterstützt Arzt oder Ärztin dabei, für den konkreten Fall Informationen zum Krankheitsbild und zur medikamentösen Therapie zusammenzustellen.

Bei Vivantes verfolgt man ein besonderes Wachsamkeits-Konzept

„Es ist aber keineswegs so, dass es unsachgemäßen Gebrauch von Antibiotika nur bei niedergelassenen Ärzten gäbe“, sagt Hartmut Stocker, Oberarzt der Klinik für Infektiologie und HIV am Vivantes Auguste Viktoria Klinikum in Friedenau, mit Blick auf die Krankenhäuser selbstkritisch. Als besonderes Problem gelten hier die sogenannten ‚nosokomialen', also im Krankenhaus erworbenen Infektionen. Meist gehen sie von Keimen aus, die der Patient selbst an oder in sich trägt. Stocker urteilt ganz nüchtern: „Einen Teil davon können wir auch durch beste Hygiene nicht verhindern. Umso wichtiger ist die zweite Säule, nämlich die optimale Behandlung.“ Stocker hält es für sinnvoll, einen eigenen Facharzt für Infektiologie zu schaffen.

Um in allen zum Konzern gehörenden Kliniken und Fachabteilungen die bestmögliche Behandlung sicherzustellen, praktiziert man bei Vivantes, wie bei vielen anderen Trägern auch, das Konzept der „Antibiotic Stewardship“ (ABS): Dazu gehören hausinterne Leitlinien zum Einsatz von Antibiotika, Schulungen des Personals, wöchentliche Visiten eines Teams von Infektiologen, klinischen Mikrobiologen und Apothekern auf den Intensivstationen, aber auch Untersuchungen zum Medikamenten-Verbrauch und zum Nutzen einzelner Präparate. Teilprojekte werden zudem mit wissenschaftlichen Studien begleitet, etwa das seit zwei Jahren laufende Projekt zur Behandlung von Infektionen mit dem Staphylococcus aureus. „Ein extrem unterschätztes Krankheitsbild“, sagt Stocker. Bekannt wurden die Staphylokokken durch die Abkürzung MRSA. Sie bezeichnet Erreger vom Typ Staphylococcus aureus, die aufgrund einer Veränderung der Penicillin-Bindungsproteine eine Resistenz gegen eine Reihe von gängigen Antibiotika erworben haben.

Vielleicht das wichtigstes Ziel des Konzepts der „Antibiotic Stewardship“ ist die passgenaue Verordnung, die zwei entscheidende Vorteile hat: Sie wirkt der Entwicklung von Resistenzen entgegen, und sie sorgt dafür, dass der Patient nicht um die „guten“ Bakterien gebracht wird. Inzwischen ist ja immer deutlicher geworden, dass die ausgewogene Zusammensetzung des gesamten Mikrobioms für die menschliche Gesundheit sehr bedeutsam ist. Und dass vor allem Breitband-Antibiotika es nachhaltig durcheinander bringen können. In einigen Fällen gibt es keinen anderen Weg. Stocker versteht die Furcht vor allem der Kollegen aus den chirurgischen Fächern vor Infektionen, die den Erfolg eines technisch gelungenen Eingriffs in Frage stellen könnten. Wenn man gute Diagnostik mache, könne man aber in vielen Fällen auf ein Breitband-Antibiotikum verzichten und ein schmaler wirksames Medikament einsetzen, versichert der Infektiologe. „Wir sollten nicht gleich die ganze Wiese mähen.“

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