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Jüdische Kita in Berlin. Viele Juden vermeiden das Tragen der Kippa in der Öffentlichkeit - aus Angst vor antisemitischen Angriffen.

© dapd

Antisemitische Angriffe in Berlin: Jüdische Schule empfiehlt, die Kippa zu verbergen

Die brutale Attacke auf einen Rabbiner in Friedenau offenbart den schwierigen Alltag bekennender Juden in Berlin. 126 Vorfälle zählte der Staatsschutz im vergangenen Jahr.

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Ihrem Mann geht es etwas besser, vielleicht kommt er an diesem Freitag aus dem Krankenhaus nach Hause. Ihre beiden Töchter gehen wie gewohnt zur Schule, ihre Hausgemeinschaft hat Blumen gebracht und Geld gesammelt – Hannah K. versucht, sich gefasst zu geben. Die zartgliedrige Frau mit den dunklen Haaren und der modischen Brille sitzt in der Trattoria gleich neben ihrer Haustür. Hier in der gewöhnlich als gutbürgerlich bezeichneten Beckerstraße in Friedenau wurde am Dienstagabend Hannahs Mann, der Rabbiner Daniel Alter vermutlich von einer Gruppe arabischstämmiger junger Männer zusammengeschlagen – nachdem er bejahte, Jude zu sein.

Selbst seine kleine Tochter bedrohten die Täter – „sie geht damit zumindest äußerlich ganz cool um“, sagt Hannah K.: „Übrigens ist sie nicht sechs, sondern sieben Jahre alt. Das müssen sie unbedingt schreiben, das ist ihr wichtig. Sie setzt einen kleinen weißen Teddybär auf den Tisch der Trattoria. „Der ist für sie von der Hausgemeinschaft. Die hält richtig gut zu uns.“

Hannah K., die mit ihrer Familie vor vier Jahren aus Mitte nach Friedenau gezogen ist, hatte hier nie Angst. „Aber dass man bedroht wird, damit rechnet man schon immer“, sagt sie: „Ich habe meinen Mann gebeten, die Kippa nicht zu tragen oder zu bedecken – wenigstens wenn er die Kinder bei sich hat. Ich sehe doch, wie manche Menschen schauen, wenn sie mitbekommen, dass wir Juden sind.“ In der Jüdischen Schule, in die Hannahs Töchter gehen, sei es für die Jungen sogar vorgeschrieben, die Kippa mit einem Basecap zu bedecken, erzählt Hannah K.

Die Ermittlungen nach dem gewalttätigen Übergriff auf den 53-jährigen Rabbiner in Friedenau sind laut Polizei in vollem Gange – doch eine konkrete Spur zu den Tatverdächtigen hatten die Beamten des Staatsschutzes am Donnerstag noch nicht. Zugleich wurde bekannt, dass es – ebenfalls am Dienstagabend – in Marzahn zu einer politisch-motivierten Tat kam: Dort war eine 28-jährige ukrainische Frau mit ihren drei kleinen Kindern auf einem Spielplatz am Bürgerpark Marzahn von einem Mann mit volksverhetzenden Parolen beleidigt worden. Zudem zeigte der Unbekannte während des Streitgesprächs ihr und ihrer italienischen Freundin (18) den „Hitler-Gruß“, berichtet die Polizei. Danach verschwand der Mann. Er soll zusammen mit einer Frau und einem Kind auf dem Spielplatz gewesen sein, als es zu der Auseinandersetzung kam.

Drei Tage zuvor, am Sonnabend, gab es einen rassistischen Übergriff auf zwei dunkelhäutige Frauen und ein sechsjähriges Mädchen in Wedding. Die beiden in Guinea geborenen Frauen saßen an einer Straßenbahnhaltestelle, als der Unbekannte mit seinem Rucksack die Sechsjährige vom Sitz schubste. Er entkam unerkannt.

Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus - nahezu täglich werden Menschen in Berlin Opfer solcher Anfeindungen, Beleidigungen bis hin zu Gewalttaten. Allerdings hat die Polizei in Berlin im vergangenen Jahr einen leichten Rückgang antisemitischer Straftaten verzeichnet. Im Jahr 2011 zählte der Staatsschutz 126 antisemitische Straftaten. Im Jahr davor waren es noch 148 Fälle. Auch für dieses Jahr kann der Sprecher der Polizei, Stefan Redlich, schon eine Prognose abgeben: „Auch im Jahr 2012 sehen wir keine Veränderungen in der Entwicklung zu den Vorjahren“, sagt er. Von den 126 antisemitischen Taten, die im Jahr 2011 registriert wurden, haben laut Polizei 113 einen rechtsextremistischen Hintergrund und erfüllen den Straftatbestand der Volksverhetzung. Zu den Straftaten gehören etwa auch judenfeindliche Parolen, die an Wände geschmiert wurden.

Viele Juden meiden öffentliche Verkehrsmittel

Die Datenbank der Polizei besagt auch, dass von den 126 Fällen zehn Taten „auslandsextremistisch motiviert“ waren - hier gehen die Ermittler davon aus, dass die Taten in Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt stehen. Lediglich zwei Fälle davon waren Gewalttaten, bei denen die Opfer körperlich attackiert worden waren.

Auch wenn die Statistiken einen leichten Rückgang von antisemitischer Gewalt belegen, fühlen sich trotzdem viele Juden auf Berlins Straßen nicht sicher genug. Der Rabbiner Andreas Nachama sagte dem Tagesspiegel, er meide Busse und Bahnen. Er sei selbst an einem Sonntagmittag vor zehn Jahren in der S-Bahn in Steglitz als Rabbiner erkannt und attackiert worden. „Zwar erst nur verbal, aber als ich die Bahn verließ, jagte mich der Mann auf die Straße.“ Dort habe er sich mit einem Tritt gegen den Angreifer gewehrt und sei in einem Taxi geflohen. „Seitdem fahre ich fast nie mit Öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern lieber Auto“, sagte Nachama, „In Europa muss man leider heute noch sich darüber im Klaren sein, dass man in der Öffentlichkeit als Jude in Schwierigkeiten kommen kann.“

Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte dem Tagesspiegel, dass das Angstgefühl unterschiedlicher Gruppen, etwa Gläubige, die negative Erfahrungen gemacht haben, ernst zu nehmen sei. „ Es ist nicht Aufgabe der Politik, solche Ängste zu verharmlosen oder anzuheizen“, sagt Henkel. Allerdings sei er vorsichtig mit Begriffen wie No-Go-Areas. „Das hieße, dass sich die Sicherheitsbehörden aus bestimmten Gebieten zurückziehen. Der Rechtsstaat weicht nirgends zurück.“ Die Zivilgesellschaft zum Glück auch nicht.

An diesem Freitag wird bei einem seit längerem geplanten Integrationsfest auf dem Dürerplatz auch Solidaritätsbekundungen für den Rabbiner und seine Familie geben. Für kommenden Sonntag rufen die SPD Friedenau, die Evangelische Philippus-Nathanael-Kirchengemeinde und die Jusos zum Protest auf dem Grazer Platz auf. Neben vielen Politikern hat auch die Islamische Föderation in Berlin den Angriff auf den Rabbiner aufs Schärfste verurteilt. Als Zeichen der Solidarität mit dem Opfer wolle man alle erforderlichen Maßnahmen gegen die Täter aktiv unterstützen. „Eine diesbezügliche Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde ist deshalb ausdrücklich erwünscht“ heißt es in der Erklärung.

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