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Mogelpackung. Die Nazis machten aus der Auerbachstraße die Auerbacher Straße, nach einer Stadt im Vogtland. Seit 1986 wurde der Straßenname wieder auf den jüdischen Dichter Auerbach bezogen, aber in unkorrekter Schreibweise. Im Hintergrund ist der S-Bahnhof Grunewald zu sehen, von dem die Nazis von 1941 an Juden deportierten.

©  Thilo Rückeis

Antisemitismus und Stadtgeschichte: Die zurückgegebene Ehre

Durch eine Straßenumbenennung in Grunewald löschten die Nazis 1938 die Erinnerung an den jüdischen Autor Berthold Auerbach. Das wird jetzt korrigiert.

Nach so vielen Jahrzehnten hat es nun also doch noch geklappt – wurde ja auch Zeit. Am 16. Mai 1938 wurde die Auerbachstraße nahe dem S-Bahnhof Grunewald, die seit 1898 so hieß, zur Auerbacher Straße; am 8. April aber wird dies, wie kurz berichtet, wieder rückgängig gemacht. Einen ersten Versuch hatte es bereits 1973 gegeben, damals war mit den aus solch einer Umbenennung folgenden Kosten und Unbequemlichkeiten dagegen argumentiert worden. Mitte der achtziger Jahre erfolgte ein neuer Vorstoß. Senat und Bezirksverwaltung waren dafür, der Einspruch eines Anliegers machte alles zunichte. Jetzt aber gab endlich der Mehrheitswunsch der Anwohner den Ausschlag: Die Bezirksverordneten von Charlottenburg-Wilmersdorf setzten sich für die Rückbenennung auf den Stand Anfang 1938 ein, und so kommt es nun auch. Sechs Monate lang wird der bisherige Name noch zu lesen sein, rot durchgestrichen unter den neuen Schildern, dann ist dieses unselige Kapitel des Berliner Straßenwesens endgültig abgeschlossen.

Eine kleinliche Fingerhakelei um zwei Buchstaben? Nichts weniger als das, vielmehr der Wunsch, einen antisemitisch motivierten Namenstausch rückgängig zu machen und den ursprünglichen Namensgeber wieder zu Ehren kommen zu lassen. Es war der im 19. Jahrhundert auch international sehr erfolgreiche, heute weitgehend vergessene Schriftsteller Berthold Auerbach, geboren 1812 im württembergischen Nordstetten, Spross einer seit Jahrhunderten dort ansässigen jüdischen Familie. Als Student war er Mitglied einer radikal-liberalen Burschenschaft, wurde verhaftet und saß zwei Monate auf der Festung Hohenasperg ein, womit sich seine Pläne, Rabbiner zu werden, erledigt hatten. Doch es blieb das Schreiben, und durch seine „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, die sogar dem Genre den Namen gaben, und besonders den Aschenbrödel-Roman „Barfüßle“, der in über 40 Auflagen erschien, wurde er zu einem der meistgelesenen deutschen Autoren seiner Zeit. In Nordstetten, zugleich Geburtsort Auerbachs wie auch Handlungsort seiner Dorfgeschichten, ist ihm im Schloss ein Museum gewidmet, auf dem dortigen jüdischen Friedhof liegt er auch begraben. Es gibt sogar einen von der Stadt Horb verliehenen Berthold-Auerbach-Preis, der 2012 an die Berlinerin Susann Pásztor für ihren Roman „Ein fabelhafter Lügner“ ging.

Wiederholt hatte auch Auerbach in Berlin gelebt, so erstmals von 1843 bis 1854 in der Kronenstraße in Mitte, später in der heutigen Hiroshimastraße, in der Sigismundstraße und am heutigen Reichpietschufer. An seinem zweiten Wohnhaus Hiroshimastraße Ecke Reichpietschufer hing zeitweise eine Gedenktafel für Auerbach: „Seinem Andenken die Stadt Berlin“. 1942 verschwand sie, wie in einer von der NSBürokratie korrekt geführten Liste verzeichnet ist: „Gedenktafel Auerbach (Jude) abgenommen und zur Metallsammlung gegeben.“ Damals liefen vom Bahnhof Grunewald bereits die am 18. Oktober 1941 begonnenen Deportationen der jüdischen Berliner, an die dort heute das Mahnmal „Gleis 17“ erinnert. Auerbachs Name auf den Grunewalder Straßenschildern war da bereits seit Jahren entsorgt. Mit dem Anhängen der Endung -er und der getrennten Schreibweise signalisierte man – entsprechend den Regeln für die Bildung von Straßennamen –, dass nun ein Ort Namensstifter sein sollte: Auerbach im Vogtland.

Zumindest in Ansätzen wurde dies 1986 von der Bezirksverwaltung behoben: Durch Zusatzschilder wies man „Moses Baruch Auerbacher (Künstlername Berthold Auerbach)“ als Namensgeber der Auerbacher Straße aus, aber dann hätte man auch die Schreibweise verändern, die beiden Wörter zusammenziehen müssen. Ein fauler Kompromiss, der jetzt zugunsten des Originalnamens behoben wird. Als Nebeneffekt wird der Straßenname dem des Tunnels angepasst, der die Straße unter den Bahngleisen und der Avus hindurch mit der Eichkampstraße verbindet und für den sich der Name Auerbachtunnel eingebürgert hat.

Ganz hatten die Nazis die Auerbachstraße allerdings nicht ausgelöscht. Noch Mitte der achtziger Jahre hing über dem Eingang des Fußgängertunnels, der von der Eichkampstraße unter den Bahngleisen hindurch zum Bahnhofsgebäude führt, ein verwittertes Schild: „Bahnhof Berlin-Grunewald, Durchgang Trabener Str., Winkler Str., Auerbachstr. u. Fontanestr.“. Die Nazis hatten es übersehen. Und auch auf einem anderen Feld hatte der Familienname Auerbach ihren Arisierungswahn überstanden: 1883 war von August Berthold Auerbach, dem Sohn des ein Jahr zuvor während eines Kuraufenthalts in Cannes gestorbenen und in Nordstetten begrabenen Heimatdichters, erstmals der „Deutsche Kinder-Kalender“ herausgegeben worden, „Eine Festgabe für Knaben und Mädchen jeden Alters“, wie es in den ersten Ausgaben der jährlich erscheinenden Bände mit Geschichten, Gedichten, Rätseln, Liedern und Spielen hieß. Bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein blieb das Periodikum Lieblingslektüre vieler junger Leser, und es war auch in der NS-Zeit regelmäßig unter seinem traditionellen Namen erschienen: „Auerbachs Deutscher Kinder-Kalender“. Die Inhalte aber waren der Zeit angepasst worden. Geschichten wie „So kämpfen Panzerjäger der Waffen-SS“ oder „Kahigi, der für die Fahne starb“ im „Kinder-Kalender 1943“ waren garantiert nicht im Sinne des Erfinders.

Mit dem Antisemitismus, der sich im Straßennamen von 1938 manifestierte und in den Holocaust mündete, hatte sich schon Berthold Auerbach auseinandersetzen müssen. Und zufällig erfolgt die Rückbenennung der Grunewalder Straße nur wenige Monate nach einem gescheiterten Namenstausch unter umgekehrten Vorzeichen. In Steglitz war über den Namen der Treitschkestraße gestritten und abgestimmt worden, hier hatten sich die Anwohner in einem deutlichen Votum dafür ausgesprochen, die seit 1906 gültige Erinnerung an Heinrich von Treitschke zu erhalten. Der Historiker hatte mit seinem am 15. November 1879 veröffentlichten Aufsatz „Unsere Aussichten“ den Berliner Antisemitismusstreit ausgelöst. „Die Juden sind unser Unglück“, hieß einer der Kernsätze Treitschkes, ein Spruch, den später die Nationalsozialisten regelmäßig aufs Titelblatt ihrer Hetzschrift „Der Stürmer“ druckten. Auerbach litt sehr unter dem gegen Ende seines Lebens erstarkenden Antisemitismus, der seine Hoffnungen und Wünsche auf Emanzipation und Integration des Judentums zunichtezumachen drohte und zu dessen Vordenkern Treitschke gehörte. Am Ende blieb nur die Resignation, wie Berthold Auerbach 1880 einem Freund bekannte: „Vergebens gelebt und gearbeitet.“

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