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In der Ecke die Gitarre, gegenüber die Gedächtniskirche: Nezih Ülkekül in seiner Kanzlei am Kudamm.

© Mike Wolff

Anwälte in Berlin: Vor 30 Jahren wurde der erste Türke Rechtsanwalt in Deutschland

Heute blickt Nezih Ülkekul aus seinem Büro am Kudamm auf die Gedächtniskirche. Auch karrieretechnisch ist er oben angekommen.

Von Fatina Keilani

Nezih Ülkekul hat es ganz nach oben geschafft. Aus seinem verglasten Büro am Kurfürstendamm blickt er direkt auf die Gedächtniskirche, deren Zeiger an diesem Vormittag in der Sonne glänzen. Er ist Partner bei Buse Heberer Fromm, einer internationalen, wirtschaftlich ausgerichteten Großkanzlei.

In der Ecke steht eine Fender Stratocaster, die von seinem zweiten Leben als Musiker kündet. Plattencover hängen an der Wand, Familienfotos schmücken das Sideboard. Seit er denken kann, spielt Ülkekul in Rock- und Bluesbands Gitarre.

An diesem Morgen ist er die Ruhe selbst, obwohl er eigentlich im Stress sein müsste. Er hat für den Nachmittag 100 Leute zu einem Empfang eingeladen, Anlass: sein 30-jähriges Berufsjubiläum als Rechtsanwalt. Das Besondere an ihm: Er ist der erste Türke, der in Deutschland Anwalt wurde.

Seine erste Kanzlei lag am Mehringdamm in Kreuzberg, aber dann hört das Klischeehafte auch schon auf. Denn Ülkekul ist kein Gastarbeiterkind und auch kein Berliner, sondern in Bonn in einem Diplomatenhaushalt groß geworden. Nach Berlin kam er, weil er 1981 nur hier Referendar werden konnte, anderswo brauchte man dafür die deutsche Staatsbürgerschaft. In Berlin auch, aber es gab eine Ausnahmemöglichkeit, von der er profitierte.

Aber dann wollten sie ihn nicht mal nach Kreuzberg ziehen lassen, wo er seine erste Wohnung gefunden hatte: „Zuzug nach Tiergarten, Wedding und Kreuzberg nicht gestattet“, stand in seinen Pass gestempelt. Der Senat hatte 1975 eine Zuzugssperre für Ausländer in diesen drei Bezirken erlassen. Nach Inkrafttreten der Regelung wurde jeder Einzelfall von der Innenverwaltung geprüft.

Der Richter sprach mit Absicht gebrochen Deutsch

Nachdem auch dieses Problem gelöst war, ging es stetig bergauf. Mit Partner Kajo Frings eröffnete er die erste Kanzlei. „Da hatten wir das Wartezimmer voll, es war ein bisschen wie beim Arzt. Es kamen viele Türken, die kaum Deutsch konnten, und mein Türkisch war damals noch miserabel.“ Zu dieser Zeit habe er die ersten Erfahrungen gesammelt, und die seien nicht immer schön gewesen.

Im Landgericht habe ein Richter extra gebrochen Deutsch mit ihm gesprochen, als er eine Darlehensforderung einklagen wollte. „,Hohe Zinsen in Deutschland nix gut‘, sagte der Richter, und die Referendare versanken vor Scham fast im Boden“, erinnert sich Ülkekul. „Mit dem Namen war das schwierig. Meine Bewerbungen kamen immer postwendend zurück. Bei Richtern und Staatsanwälten habe ich ansonsten keine Vorbehalte gespürt.“

Auch als Syndikusanwalt beim Baukonzern Strabag habe es etwas gedauert, bis man ihn für voll genommen habe. „Früher habe ich gedacht, die feinen Kudamm-Anwälte seien etwas Besonderes“, sagt Ülkekul, aber dann habe er gemerkt, dass sie auch nur mit Wasser kochen. Es habe natürlich auch Spaß gemacht, sie zu besiegen.

Jetzt ist er selbst ein Kudamm-Anwalt. Allerdings ohne den Habitus – sein Jackett hat einen Riss und muss bis zur Party noch genäht werden, die Ersatzjacke hat Flecken, und die Füße stecken auch nicht in den üblichen Brogues oder Oxfords, sondern in bequemen Slippern mit Gummisohle. Diesem Schuhmodell muss er seit Jahren treu sein, denn auf dem Foto vom Wahlkampf 2006 mit Friedbert Pflügers Mannschaft, in der er als Integrationsbeauftragter vorgesehen war, trägt er sowas auch schon.

"Machen Sie ihn fertig"

„Ich sage immer zum Spaß: Ich habe mich von Kreuzberg bis zum Kudamm hochgearbeitet“, sagt Ülkekul. „Das Schönste ist, wenn ein ehemaliger Gegner kommt und sagt: ,Bitte vertreten Sie mich. Und machen Sie meinen Gegner so fertig, wie Sie mich damals fertig gemacht haben‘.“ Das sei einige Male vorgekommen und freue ihn natürlich immer. Er lacht. Augen, Mund und auch die Art zu sprechen erinnern an den Schauspieler Joachim Król. Ülkekul strahlt Wärme aus, Tiefe. Man könnte es Schwingungsfähigkeit nennen, das passt auch zum Musiker. Er wirkt nicht, als könne er das überhaupt: jemanden wirklich fertigmachen.

Es ist wohl auch nicht seine Art. „Es ist erstaunlich, was man erreichen kann, wenn man die Menschen mitnimmt“, sagt er. „Gesetze kennen und anwenden, das müssen wir. Klar. Wichtig ist aber, die Situation zu begreifen.“ Die meisten Fälle seien persönliche und psychologische Probleme der Menschen mit sich selbst oder untereinander.

„Die rechtlichen Probleme entstehen erst daraus“, sagt Ülkekul. „Da ist dann ein Schlaumeier und meint, den anderen übervorteilen zu können. Die Kunst ist es, die Lage zu erfassen und das Beste draus zu machen.“ Es sei wichtig, authentisch zu sein. „Was ich nie gemacht habe, ist, einen Prozess zu führen, wenn es wirtschaftlich unsinnig ist. Ich muss ja auch zusehen, dass der Rechtsfrieden hergestellt wird.“

"Die beste Rache ist es, ein schönes Leben zu führen"

Manchmal rate er auch von weiterer Verfolgung ab. Wenn ein Mandant dann seinen Rat nicht annehme und ihm sage: Fechten Sie es für mich durch, dann tue er es natürlich. „Dann will ich das Ding aber auch gewinnen“, sagt Ülkekul. Im privaten Bereich sei vieles schwierig, da helfe es, nach vorne zu schauen.

„Manche wollen Rache. Ich sage, die beste Rache ist es, ein schönes Leben zu führen“, grinst der 61-Jährige und erinnert sich kurz und schaudernd an die Zeit, als er noch Scheidungen gemacht hat. Man schade seiner Gesundheit, verschwende Energie und oft auch Geld, wenn man nicht loslassen könne.

Natürlich ist Ülkekul längst Deutscher, den türkischen Pass musste er dafür abgeben. Er findet, die Staatsangehörigkeit sei total unwichtig. „Das ist wie in dieser Szene im Film ,Casablanca‘. Da fragt Major Strasser Humphrey Bogart nach seiner Nationalität, und der sagt: ,Ich bin Trinker‘.“ Die Szene gefällt Ülkekul. „Was er damit sagen wollte ist: Es ist doch egal, welche Staatsangehörigkeit ich habe, es gibt etwas anderes, was mich ausmacht. Ich antworte auf diese Frage immer: Ich bin Rechtsanwalt. Denn das macht mich aus.“

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