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Berlin: Appell an den Regierenden

Die Französische Friedrichstadtkirche feierte ihr 300-jähriges Bestehen: Der Bischof predigte Toleranz

Als die Französische Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt am 1.März 1705 mit einem Festgottesdienst eingeweiht wurde, saßen der König und sein Hofstaat in der ersten Reihe. Gestern nahm Klaus Wowereit ganz vorne Platz. Er sang fleißig mit und saß direkt im Blickfeld von Bischof Wolfgang Huber, der von der Kanzel herab die Festpredigt hielt, sich mit gefalteten Händen an den Regierenden wandte und in Sachen Werteunterricht an seine Toleranz den Kirchen gegenüber appellierte.

Der Toleranz hatten es die französischen Hugenotten vor 300 Jahren zu verdanken, dass sie sich in Berlin eine neue Heimat aufbauen konnten. „Sonnenkönig“ Louis XIV. hatte sie wegen ihres Glaubens aus Frankreich vertrieben. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm bot ihnen mit dem Edikt von Potsdam 1685 seinen Schutz an. 20000 Glaubensflüchtlinge kamen daraufhin nach Preußen, mehr als 6000 nach Berlin, sie stellten ein Drittel der Berliner Bevölkerung.

Auf die Toleranz des Regierenden und seiner SPD hofft auch Bischof Huber, wenn es jetzt um die Einrichtung eines Werteunterrichts geht. „Toleranz und Freiheit sollen sich in der Möglichkeit der Wahl bewähren“, sagte Huber und schaute Wowereit an. Die Kirchen wollen, dass die Schüler künftig zwischen Lebenskunde, Ethik und klassischem Religionsunterricht wählen können. Die Sozialdemokraten möchten ein verbindliches Fach LER für alle einrichten. Die Rede vom „Spannungsfeld“, das die französische Friedrichstadtkirche als Flüchtlingskirche von Anfang an in der Stadt war, bekam so einen aktuellen Bezug.

„Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln“, prophezeit Jesaja im Alten Testament. „Wie mag sich das für die Flüchtlinge angehört haben?“, fragte Bischof Huber in seiner Predigt. In der Bibelstelle wird beschrieben, dass sich Gott abgewendet hat. Sie endet mit dem Satz: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.“ Darin stecke die ganze Geschichte der Hugenotten: ihre Verzweiflung, die Heimat verlassen zu müssen, bis hin zum guten Ende: der Eröffnung der Friedrichstadtkirche, den meisten besser bekannt als Keimzelle des Französischen Doms.

Dass wir in Gottes Erbarmen aufgehoben sind, dass jedem unverdient die gleiche Würde zukommt, davon waren die Hugenotten überzeugt. Das ist der Kern der Reformation, für die sie gekämpft haben. „Résistez“, „widerstehet“, hätten sie sich tausendfach zugerufen, sagte Huber. Und es klang, als wolle er sich selbst Mut machen – für den Kampf um den Religionsunterricht.

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