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Arbeit: Zurück im Beruf

2002 waren sie ohne Job - sieben Frauen und Männer aus Berlin. Der Tagesspiegel erzählte ihre Geschichte. Ihr Leben hat sich gewendet: Alle haben Arbeit gefunden, sechs sogar Festanstellungen.

Weniger als 230 000 Arbeitslose, die Arbeitslosenquote ist auf unter 14 Prozent gefallen: Am Berliner Arbeitsmarkt geht es aufwärts, darin sind sich die Experten einig. Vor sechs Jahren war das noch ganz anders: Im Februar 2002 hatte Berlin eine Arbeitslosenquote von 19,1 Prozent – die höchste seit der Wende. 291 000 Berliner waren damals arbeitslos. Seitdem haben 61 987 Hauptstädter einen Job gefunden. Soweit die Zahlen. Und die Menschen dahinter? Im März 2002 stellte der Tagesspiegel 30 Berliner Arbeitslose vor: Akademiker, Handwerker, Designer, Bürofachkräfte und Programmierer. Wie geht es ihnen heute? Profitieren sie vom Aufwärtstrend? Wir haben sieben von ihnen wiedergetroffen und gefragt. Sechs von ihnen haben einen festen Arbeitsplatz – nur zwei allerdings in Berlin.

Constanze Gutwasser (31) sucht heute keine Arbeit mehr, sondern Männer – genauer: 24 Probanden für eine medizinische Studie an der Charité. Denn dort ist sie seit fast sechs Jahren Mediendesignerin. Sie gestaltet für die Forscher Flyer, Poster und die Internetseite. Während ihrer Lehre bei einer Werbeagentur hatte sie sich hauptsächlich auf die elektronischen Medien konzentriert.

Doch dann kam die Internetflaute und Online-Werbung war so wenig gefragt, dass ihr Ausbildungsbetrieb sie nicht übernehmen konnte. Constanze Gutwasser wurde im Januar 2002 arbeitslos. Werbung machte sie nur noch für sich selbst: „Wasser in seiner besten Form“ – mit dieser Botschaft hatte sich die damals 25-Jährige bei verschiedenen Agenturen beworben, per Brief und CD-Rom.

Der Spruch kam offenbar an. Auch bei den Tagesspiegel-Lesern. Jedenfalls meldete sich die Charité bei ihr und gab ihr einen Job, befristet auf ein Jahr. Befristet ist er immer noch, bis jetzt wurde er aber stets verlängert. Das Gefühl von Sicherheit gebe ihr die Arbeit dennoch, sagt Gutwasser. Das liegt auch daran, dass sie mit immer mehr Aufgaben betraut wird. Mittlerweile ist sie für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit ihrer forschenden Kollegen zuständig. Sie organisiert Kongresse und Pressekonferenzen. Und genügend Männer hat sie auch gefunden: 800 haben sich auf ihre Plakate und Flyer gemeldet.

Brigitte Austen (44) war 2002 eine von 1000 arbeitslosen Berliner Juristen. Eigentlich wollte die Arbeitsrechtlerin nur eine Babypause machen. Doch ihr Sohn Louis wurde drei Jahre alt und sie fand immer noch keinen neuen Job. Ein Jahr lang war sie bereits auf der Suche, als der Tagesspiegel sie vorstellte, am 6. März. Brigitte Austen erinnert sich gut, an diesem Tag klingelte ständig ihr Telefon. Fünf Angebote hat sie bekommen, auch ein großes Pharma-Unternehmen rief bei ihr an. Doch Austen lehnte ab und entschied sich für das Projekt eines anderen Anrufers: Sie verfasste für die Internetplattform www.freiberufler.net eine Art Online-Lehrbuch „Arbeitsrecht von A bis Z für Selbstständige“. „Dieser Job war supergut mit meinem Kind vereinbar“, sagt Brigitte Austen. „Ich konnte die ganze Zeit zu Hause arbeiten.“

Inzwischen ist Austen selbst Freiberuflerin. Sie hat ihre eigene Kanzlei in Coburg. Vor fünf Jahren ist sie mit ihrer Familie dorthin gezogen, weil ihr Mann eine Stelle als Stadtkämmerer bekam. Sie sei glücklich, sagt sie. Endlich habe sie ihren Traumjob, sie könne mit Menschen arbeiten, zwischen ihnen vermitteln. Der Job zu Hause sei doch ein „sehr einsames Geschäft“ gewesen.

Auch Thomas Fuhlbrügge (42) musste am 6. März 2002 andauernd ans Telefon. Geholfen, einen Arbeitsplatz zu finden, hat ihm das nicht. „Die waren alle nur an Schwarzarbeit interessiert“, sagt er. Fuhlbrügge war damals Maurermeister. Eigentlich wollte er eine Baufirma übernehmen. Doch die war 2001 konkurs gegangen. Fuhlbrügge suchte danach fast zwei Jahre täglich im Internet nach Arbeit auf Baustellen, selbst in Liechtenstein und Skandinavien. Erfolglos. Die wirtschaftliche Lage sei zu schlecht zum Häuserbauen, habe es immer geheißen.

Fuhlbrügge wird wahrscheinlich nie wieder in diesem Job arbeiten. 2003 fand er eine Beschäftigung – am Fließband bei VW in Wolfsburg. Er baut jetzt Autos. 930 schaffen er und seine 150 Kollegen täglich in drei Schichten. Nebenbei machte Fuhlbrügge seinen zweiten Meister. Er ist nun Industriemeister Metall und arbeitet als Prozessoptimierer. Er kontrolliert, ob die Qualität der zugekauften Produktionsteile stimmt. Ein wenig fehlt es ihm, zu sehen, wie ein Haus entsteht. Wenn es fertig ist, zu wissen: „Das ist jetzt auch mein Werk.“ Am Fließband gehe es ja immer weiter. „Man baut ja nicht nur ein Auto und das war’s, das ist ja wie auf einer Perlenkette“, sagt Fuhlbrügge. Aber er mag seinen neuen Job, ist selbstbewusster geworden und verdient mehr Geld als früher als Maurermeister. Das ist wichtig. Denn Fuhlbrügge hat jetzt Familie. Er hat geheiratet. Im vergangenen Jahr kam Sohn Julius zur Welt.

Jens Gawrich (43) arbeitet seit zwei Wochen – für 1,50 Euro pro Stunde. Nach neun Jahren und vier Ordnern voller erfolgloser Bewerbungsschreiben. 120 hat er pro Jahr geschrieben. Jens Gawrich ist eigentlich Grundschullehrer für Deutsch und Musik. Aus Liebe zum Film hat er 1998 eine Umschulung zum Aufnahmeleiter absolviert – und sucht seither einen Job in seinem Traumberuf. Er hat alle Filmproduktionsfirmen in Deutschland angeschrieben, die er finden konnte. „Von A bis Z und jedes Mal, wenn ich fertig war, habe ich wieder von vorn begonnen.“ Die Schreiben hat er dann fürs Arbeitsamt kopiert und abgeheftet. „Die Firmen schicken die Bewerbungen ja nicht zurück.“ Gawrich hat bisher nur Absagen erhalten. Nebenbei hat er als Kellner gearbeitet und ab und zu sogar als Aufnahmeleiter – ohne Lohn in Low-Budget-Produktionen.

Sein Berliner Jobcenter hat ihm jetzt einen Ein-Euro-Job vermittelt – den zweiten innerhalb von zwei Jahren. Als Ein-Euro-Jobber hat er schon ertastbare Kunstwerke für Taubblinde gebastelt. Nun erledigt er die Pressearbeit für den Verein „Namu“, ein Theaterensemble, das auf Kinder-Krebsstationen und in Hospizen auftritt. Aber so ein Ein-Euro-Job dauert höchstens neun Monate. Und dann?

Dann wird er wohl einen neuen Hefter mit Bewerbungen an die Film- und Fernseh-Branche füllen. Bewerbungen als Aufnahme- oder Produktionsleiter, aber auch als Kamera-Assistent. Hat er auch schon mal daran gedacht, sich um einen ganz anderen Job zu bewerben? Als Handwerker habe er zwei linke Hände, sagt er. Aber wenn sein jetziger Ein-Euro-Job gut läuft, will er versuchen, als Pressesprecher Arbeit zu finden. Und eines ist für Jens Gawrich schon jetzt klar: Die Pressearbeit für den Namu-Verein will er auch noch erledigen, wenn der Ein-Euro-Job vorbei ist. Dann eben ehrenamtlich.

Claudia Kieschke (40) hat auf ihren Bauch gehört – und hat die richtige Entscheidung getroffen. Nachdem der Tagesspiegel die arbeitslose Fremdsprachensekretärin 2002 vorgestellt hatte, hatten sich 15 Firmen bei ihr gemeldet. Zwei kamen für sie in die engere Auswahl. Und Claudia Kieschke musste sich entscheiden zwischen einer unbefristeten und einer auf ein halbes Jahr befristeten Stelle. Kieschke wählte letztere. „Die Kollegen waren mir beim Vorstellungsgespräch so sympathisch“, sagt sie. Da habe sie einfach zugesagt. Mehr als ein Jahr Arbeitslosigkeit lagen bereits hinter ihr.

Seitdem arbeitet Claudia Kieschke an der Technischen Universität Berlin, als Sekretärin für einen Astronomie-Professor. „Ich habe richtig viel Glück gehabt“, sagt sie. Die Kollegin, die sie ursprünglich nur vertreten sollte, war in ein anderes Unternehmen gewechselt. Nun macht Kieschke für ihren Sternenforscher die Post, händigt seinen Studenten Noten-Scheine aus. Und das wohl Schwierigste: Sie tippt gerade sein neuestes Fachbuch ab. Er hat alles mit der Hand geschrieben. Nicht nur, dass ihr Chef eine sehr eigenwillige Handschrift hat, sie muss auch lauter mathematische Formeln in den Computer eingeben.

Kieschke hatte schon vor diesem Job mit Sternen zu tun oder besser: mit Sternchen. Fünf Jahre war sie Chefsekretärin bei einer Medienberatung in Berlin. Kunden waren Fernseh-Prominente wie die Ex-Glücksrad-Fee Maren Gilzer und Sat 1-Moderator Ulrich Meyer. Kieschke war für die gesamte Organisation des Unternehmens verantwortlich. Als die Agentur 2000 nach München zog, wollte die gebürtige Berlinerin nicht mit. Letztendlich war wohl auch das eine gute Entscheidung.

Sabine Koninski (51) hat mittlerweile auch einen festen Arbeitsplatz. Sie hat viel dafür versucht: Modedesign, Verlagswesen, Bauwirtschaft, Werbung, Steuerberatung und nun Buchhaltung – in all diesen Branchen hat sie gearbeitet. Ihr Lebenslauf ist lückenlos. Aber nie bekam sie eine Festanstellung. Studiert hatte sie in den siebziger Jahren Modedesign, aber ihren Traumberuf musste sie aufgeben, ihr Körper spielte nicht mehr mit. Sabine Koninski hat Diabetes, gilt als schwerbehindert. Einen Zwölf-Stunden-Tag schaffte sie schon damals nicht mehr. Also machte sie eine Lehre zur Verlagskauffrau, arbeitete danach sieben Jahre beim Cornelsen-Verlag. Später nahm sie Jobs als Sekretärin an. Nach ihrem letzten blieb sie acht Monate arbeitslos. Bis ein alter Bekannter, ein Steuerprüfer, sich bei ihr meldete. Er suchte für seine Kanzlei eine Buchhalterin und bot Sabine Koninski die Stelle an. Die hatte allerdings gar keine Ahnung von Buchhaltung. Für Sabine Koninski kein Problem: Sie lernte das einfach, besuchte Kurse und trat die Stelle an. Am Anfang musste sie noch viel nach Stuttgart reisen, wo die Kanzlei sitzt. „Da kannte ich mich noch nicht so gut aus, musste Vieles nachfragen“, erzählt sie. Heute arbeitet sie zu Hause in Berlin. Ihr Arbeitgeber schickt ihr die Unterlagen per Post und sie sendet sie bearbeitet wieder zurück. Ihre Arbeitszeit kann sie sich frei einteilen. Und wenn sie wegen ihrer Krankheit in der Woche etwas nicht schafft, holt sie es eben einfach am Wochenende nach.

Wenn Carsten Kolve (32) morgens aufsteht, blickt er auf den Pazifik. Manchmal geht er auch vor der Arbeit noch kurz schwimmen. Der Informatiker wohnt jetzt mit seiner französischen Freundin in Sydney, in einem der teureren Viertel direkt am Strand. Klingt toll. Schon als der Tagesspiegel ihn 2002 vorstellte, fiel er auf – weil er ein rotes Hemd trug und Rot damals in war. Und weil der 26-Jährige seine Arbeitslosigkeit so gelassen sah. Er zweifelte kein bisschen daran, bald einen neuen Job zu finden. Ein halbes Jahr später fand er ihn in London.

Für einen wie Carsten Kolve gibt es in Deutschland kaum Arbeitsplätze. Er programmiert Software für Spezialeffekte in Filmen. Er hat beispielsweise die Massenszenen im Hollywood-Epos „Troja“ möglich gemacht. Drei Jahre blieb er in England, bevor er nach Australien zog und dort seinen nächsten Job annahm. Der Vorteil: Dort sei immer schönes Wetter, sagt Kolve. Und die Leute seien relaxter. Kolve sucht nach dem deutschen Wort: „Äh, entspannter“. Er spricht mittlerweile flüssiger Englisch als Deutsch. Nach Berlin kommt er nur im Urlaub, um Familie und Freunde zu besuchen. Gerade arbeitet Carsten Kolve an einem Hollywood-Film, der in Australien spielt. Aber er programmiert nicht mehr selbst, er koordiniert die Arbeit der anderen Programmierer. „Ich habe eher Management-Aufgaben.“ Dafür arbeitet er manchmal mehr als 60 Stunden in der Woche, bei 20 Urlaubstagen – „aber nur, wenn wirklich viel zu tun ist.“ In der Regel hat er einen Acht-Stunden-Tag. Da bleibt auch noch genug Zeit für den Strand.

Juliane Wedemeyer

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