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Berlin: Arbeitslose auf Touren gebracht

Die Diakonie lässt gespendete Fahrräder wieder straßentauglich machen, um den Aktionsradius armer Menschen zu erweitern

Auf dem Boden schläft niemand gerne. Ihno Conrads weiß aber nur zu genau, dass für viele Menschen in Berlin Möbel, und sei es auch nur ein Bett, eine echte Investition sind. Der 59-Jährige war selber lange Zeit arbeitslos, in seinem Alter ist es schwer eine neue Arbeit zu finden. Jetzt arbeitet er bei „Fair Play Neukölln“, einem sozialen Projekt des gemeinnützigen Sozialdienstleisters Gebewo, das unter anderem gespendete Möbel an Bedürftige vergibt. In einem ehemaligen Obdachlosenwohnheim in der Teupitzer Straße in Neukölln türmt sich so einiges – von Couchgarnituren bis zu kleinen Tischchen ist fast alles dabei. Das meiste davon geht innerhalb einer Woche weg, manches sogar noch schneller. „Der Bedarf ist riesig“, sagt Johannfried Seitz-Reimann, er arbeitet in der Projektentwicklung der Gebewo. Seit diesem Jahr ist er auch Leiter des neuen Projekts „Rad statt Ratlos“, das von dem Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg initiiert wurde. Diesmal geht es aber nicht darum, den Bedürftigen zu helfen, sich häuslich einzurichten, sondern sie in Bewegung zu bringen.

Das Obergeschoss des Möbellagers, das mittlerweile fast aus allen Nähten platzt, dient als Sammelstelle für die Fahrräder, sie wurden von Berlinern gestiftet, die ihren Keller entrümpeln und etwas Gutes tun wollen. Mitarbeiter der Gebewo fahren täglich quer durch die Stadt um sie abzuholen – von Steglitz bis Reinickendorf haben alle Fahrräder ihre eigene Geschichte. Genommen wird fast jedes, auch wenn es stark reparaturbedürftig ist, denn dafür ist gesorgt.

In berlinweit fünf Werkstätten werden die Fahrräder wieder straßentauglich gemacht und auf ihren Empfänger vorbereitet. Das sind Menschen, die sich eine andere Form der Fortbewegung selten leisten können, und deren Mobilität in der Stadt deshalb sehr begrenzt ist. „Das Sozialticket der BVG kostet 33,50 Euro, das ist zu teuer für die meisten“, sagt Klaus- Dieter Kottnik, Präsident der Diakonie. Eingerechnet im Hartz-IV-Satz sind für Mobilität nur 15 Euro – das zusätzliche Geld für das BVG-Ticket können nicht alle aufbringen.

Die Nachfrage nach den Fahrrädern sei daher „riesengroß“, sagt Projektleiter Seitz-Reimann. Bereits 1000 Fahrräder hätten seit Anlauf des Projektes im April den Besitzer gewechselt. Das ist schon jetzt so viel wie beim ersten Durchlauf 2005. Damals hatte die Diakonie das Projekt alleine gestemmt, wegen logistischer Schwierigkeiten hatte es bis jetzt jedoch keine Verlängerung gegeben. „Ich bin aber froh, dass wir dieses tolle Projekt wieder haben“, sagt Kottnik. „Schön ist daran auch, dass gewissermaßen bedürftige Menschen Bedürftigen helfen.“ Genau wie Ihno Conrads arbeiten in diesen Projekten Menschen, die sonst keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden und die diese Stelle vom Jobcenter vermittelt bekommen. „Ich tue jetzt etwas Sinnvolles, das ist gut“, sagt Kollege Andreas Timm. Er war fast zehn Jahre arbeitslos, jetzt ist er aber seit anderthalb Jahren dabei.

Ob die anderen Mitarbeiter ebenso lange in den Fahrradwerkstätten arbeiten dürfen, weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt keiner. Die Projekte sind meist nur auf ein Jahr angelegt, werden sie vom Jobcenter nicht weiter mitfinanziert, ist der Fortlauf unsicher. Bis dahin aber werden quer durch Berlin noch viele weitere Fahrräder und Möbelstücke ihren Besitzer wechseln. Denn zu einem Leben in Würde gehört nicht nur eine Wohnung – sondern auch Mobilität. Julia Rothenburg

Weitere Informationen im Internet: www.rad-statt-radlos.de

www.gebewo.de

Julia Rothenburg

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