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Berlin: Argumente statt Slogans

Die Zeit einheitlicher Parolen scheint vorbei: Nicht alle Studenten fürchten Studiengebühren. Einige würden sogar gerne zahlen

„Studiengebühren?“, fragt ein Plakat am Eingang zur Rostlaube der Freien Universität. Eine junge Frau auf dem Plakat streckt dem Wort den Mittelfinger entgegen. Die meisten Studenten eilen achtlos daran vorbei: Derart aufgebracht ist kaum einer in der Freien Universität am ersten Tag nach dem Urteil aus Karlsruhe, durch das das bundesweite Verbot von Studiengebühren gekippt wurde. Zur Vollversammlung am Nachmittag kommen 300 protestwillige Studenten – im letzten Winter während der Studentendemonstrationen füllten die zu Tausenden mehrere Hörsäle.

Allgegenwärtig ist das Urteil aus Karlsruhe unter den Studenten dennoch – nur dass sich statt Wut Nachdenklichkeit breit macht. „Wir haben den Luxus, uns über die Auswirkungen lange Zeit Gedanken zu machen“, sagt Peter Hartig, Studentenvertreter an der Humboldt-Uni – laut Koalitionsvertrag werden in Berlin bis 2006 keine Gebühren eingeführt. Wer den Studenten an den Berliner Universitäten an diesem Tag zuhört, merkt: Die Zeit der einheitlichen Slogans, der griffigen Botschaften, auf die sich alle einigen können, ist vorbei. Je nach finanzieller Lage, Studienfach und je nachdem, wie lange sie noch studieren müssen, urteilen sie unterschiedlich über das Urteil. Und für manche beginnt es schon jetzt, das Leben zu verändern.

Für David zum Beispiel. Um 10.32 Uhr tritt er aus dem Hörsaal direkt gegenüber dem Audimax der Technischen Universität. Bis gestern war der 21-Jährige sicher, dass das seine letzte Maschinenbau-Vorlesung war. Das Fach studiert er erst ein halbes Semester, „aber das ist einfach nicht das Richtige für mich“, sagt er. Zu Politik und Soziologie will er wechseln: Das waren von Beginn an seine Wunschfächer. Nach dem Urteil aus Karlsruhe zweifelt er, ob sein Entschluss zu wechseln wirklich so weise ist. „Wenn die Gebühren eingeführt werden, würde ich das garantiert nicht machen – und versuchen, mich durch Maschinenbau durchzuquälen“, sagt David. „Erpresst“ fühlt er sich von dem Urteil. David kann im Moment 500 Euro im Monat ausgeben, „davon bleiben hundert zum Leben übrig“. Für Gebühren müsste er einen Kredit aufnehmen. „Um den abzubezahlen, ist man dazu gezwungen, das zu studieren, womit man hinterher viel Geld verdient. Soziologie gehört da definitiv nicht zu“, findet David. Ob er jetzt seine Unterlagen zum Fächertausch wirklich abgibt, will er sich noch mal überlegen.

Daniela und Marcel, beide 21 und im dritten Semester, haben aus diesem Grund beim Studienbeginn „taktisch gedacht“, wie Marcel es nennt. Biotechnologie studieren sie an der TU. „Da bekommt man auf alle Fälle einen Job“, sagt Daniela. „Gebühren zahlen macht keinen Spaß, wäre aber erträglich.“ Gerade haben sie sich mit zwei Freunden zu viert einen Kopierer teilen müssen, weil die anderen belegt waren. Das Seminar war proppevoll, das nächste ist es sicher auch. „So konnte das hier ja nicht weitergehen“, sagt Marcel und hofft, dass Studiengebühren die Bedingungen an der Uni verbessern. Und falls sie doch zu viel zahlen müssen, „studieren wir halt schneller“, sagt Daniela.

Gar nicht schnell genug könnten nach Simons Meinung Gebühren eingeführt werden. So spontan begeistert über das Urteil wie der Jura-Student sind wenige Kommilitonen. Der 25-Jährige lernt gerade fürs Examen: in der Bibliothek der FU-Juristen, obwohl er an der Humboldt-Universität eingeschrieben ist. „Die Arbeitsbedingungen an der HU sind so katastrophal, da kann man nur für Studiengebühren sein“, sagt Simon. Für ihn als Juristen könnten Gebühren sogar billiger kommen als keine Gebühren. Denn wenn er nicht gerade bei den FU’lern in der Bibliothek hockt, rennt er mit seinen Freunden zu privaten Repetitorien, zu Wiederholungskursen. Dort paukt er Paragraphen, die im Staatsexamen abgefragt werden. „Das kostet ein Schweinegeld“, stöhnt Simon. Seine Gleichung lautet: Will die Uni Geld von ihm verlangen, muss sie auch Repetitorien einführen.

Gespartes Geld dank Studiengebühren? Katja lacht bitter. Sie raucht in der Rostlaube eine Zigarette. Das sind 500 Meter von Simons Jura-Bibliothek entfernt, doch es könnte auch auf einem anderen Planeten sein. Katja trägt einen dunklen Mantel, einen schwarzen Pulli, und eine schwarze Hose. Für ihre Zukunft sieht sie auch schwarz. „Soll ich Darlehen abbezahlen, bis ich in Rente gehe?“, fragt die 21-Jährige. Sie finanziert ihr Studium jetzt schon mit Bafög. Noch mehr Schulden will sie auf keine Fälle machen. Mit Spanisch, Lateinamerikanistik und Geschichte „bin ich später ein Nix“, sagt sie. Ein lukrativer Job nach der Uni? „Ist wohl kaum möglich. Ich würde eigentlich gerne eine Familie gründen. Wenn alles immer teurer wird, kann ich mir das wohl abschminken.“

Erpressung, gesteigerte Zukunftsangst oder gar mehr Geld für den Alltag? Heiko, 27, sind die Folgen des Gebührenurteils egal. Der BWL-Student steht im Hauptgebäude der TU und lächelt. „Ich bin in einem Jahr fertig. Das betrifft mich alles nicht mehr“, sagt er.

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