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Ein Pfandsammler am Wittenbergplatz (Archivbild).

© Kai-Uwe Heinrich

Armut in Berlin: Helft endlich den Flaschensammlern!

Kaum jemand stellt sein Leergut neben den Abfalleimer, Versuche mit Pfandboxen sind vorerst gescheitert. Wollen wir hinnehmen, dass Menschen im Müll wühlen müssen? Ein Plädoyer für mehr Achtsamkeit.

Für einige beginnt jetzt eine gute Zeit. Sie müssen nur mit ihren Einkaufswagen und Fahrradanhängern zu den Ufern und Parks dieser Stadt ausschwärmen, um eine reiche Ernte an Bier- und Mate-Flaschen einzuholen. Mit dem Pfand, das sich an den Party-Hotspots türmt, können fleißige Hände an warmen Tagen ein gutes Geschäft machen.

Doch der Alltag sieht anders aus. Das ganze Jahr über lassen sich Menschen beobachten, die mit zerschlissenen Handwägelchen oder Taschen über der Schulter durch Straßen und Bahnhöfe schleichen. Abfalleimer nach Abfalleimer steuern sie an. Ein geübter Blick, vielleicht ein Aufblitzen der Taschenlampe – und dann am besten nicht nachdenken. Rein mit der Hand, Dönerrest und Nudelbox vergessen und herausfischen, was an Glas oder Plastik zu finden ist. Ein Handgriff für 25 Cent. Man muss manchmal ziemlich tief hineinlangen. Bis zur Schulter.

Ich finde es unwürdig, wenn Menschen im Müll kramen müssen, um ein Auskommen zu haben. Deshalb habe ich vor einigen Wochen in einem Tweet die Berliner Stadtreinigung (BSR) und die Verkehrsbetriebe (BVG) gefragt: Wollt ihr nicht neben Mülleimern und an Bahnhöfen Pfandboxen für Flaschensammler aufstellen?

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Daraufhin meldete sich BSR-Sprecher Sebastian Harnisch und erklärte, dass Berlins Saubermänner in der Vergangenheit nicht untätig waren. In den Jahren 2014 und 2015 gab es ein Pilotprojekt: Am Hardenbergplatz und rund um den Bahnhof Spandau installierte die BSR an Masten und Pfählen jeweils vier Pfandkisten. Sie sahen aus wie kleine Regale – und wurden auch weidlich als Ablage genutzt. Leider am wenigsten für Flaschen. Fast ausschließlich luden Passanten in den Kisten ab, was sie sonst in den Mülleimer werfen.

„Tolle Idee, ernüchternde Bilanz“, fasste die „FAZ“ Erfahrungen anderer Städte mit ähnlichen Konstruktionen zusammen. Es kam zu Vandalismus, zur Zweckentfremdung des Leerguts als Wurfgeschoss. Außerdem sollen neben Obdachlosen, Hartz-IV-Empfängern und Rentnern plötzlich auch Schüler und Studierende die Pfandflaschen mitgenommen haben. In Frankfurt wurden angeblich sogar Geschäftsleute beobachtet, wie sie nebenbei einen schnellen Cent machten.

Die erste Version der Pfandkiste auf dem Hardenbergplatz.
Die erste Version der Pfandkiste auf dem Hardenbergplatz.

© Wolfgang Kumm/dpa

Das Problem der Vermüllung löste die BSR, indem sie die Pfandkisten durch eine Neuentwicklung im Stil von Getränkehaltern ersetzte, wie man sie aus Autos kennt. Nun verirrten sich allenfalls noch Kaffeebecher in die Vorrichtungen. Doch der entscheidende Erfolg blieb aus: Weil die Pfandsammler offenbar der Sortierbereitschaft ihrer Mitmenschen nicht trauten und weiterhin auch die Mülleimer durchsuchten, gab die Stadtreinigung das Projekt letztlich auf und überließ die montierten Halter den beiden Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau.

Den Flaschensammlern kann geholfen werden. Wenn sie in der Armutsfalle stecken, können 100 oder 200 Euro Grundsicherung im Monat mehr den entscheidenden Unterschied schaffen. Nichts einfacher als das.

schreibt NutzerIn 2010ff

Die BVG glaubt, dass jeder schon Bescheid weiß

Auch die BVG reagierte auf meinen Tweet. Von ihrem vielfach gefeierten Social-Media-Team kam allerdings nur die läppische Antwort: „Es sollte doch jeder mittlerweile wissen, dass man den Pfand danebenstellt.“ Schöner Gedanke. Aber seid ihr in den letzten Jahren mal in euren eigenen Bahnhöfen gewesen? Die Realität sieht anders aus. Vielleicht liegt genau hier das Problem.

Unternehmen wie die BVG investieren in pfiffige Imagewerbung, mit der sie ein großes Publikum erreichen. Warum aber nutzen sie diesen Einfluss nicht, um das Publikum für die Nöte der Pfandsammler zu sensibilisieren, wo doch jeder dazu beitragen könnte, ihnen ein bisschen Würde zurückzugeben?

Keine Frage, es ist keine Schande, wenn jemand auf diese Weise – fernab von Hinzuverdienstgrenzen und behördlicher Kontrolle – einer Art geregelter Arbeit nachgeht, deren Lohn am Ende ganz allein ihm zugutekommt. Und wenn viele sich in ihrer Not dazu gezwungen sehen, müssen wir letztlich darüber reden, was wir am System ändern können. Doch das muss uns nicht davon abhalten, uns um konkrete Verbesserungen in der gegenwärtigen Situation zu bemühen. Gerade auch auf lokaler Ebene.

Aufkleber, Plakate, Facebook - eine Aufklärungskampagne ist nötig

Wir brauchen in Berlin wenigstens eine Aufklärungskampagne, die den Menschen vermittelt, dass Leergut neben den Mülleimer gehört – mit Aufklebern auf allen Eimern, mit Plakaten, mit Facebook-Posts. Mehrsprachig, wie es dieser Stadt entspricht, und nicht so schüchtern wie die Aufschrift „Für Ihre Pfand-Spende“, die auf den Sammelkisten der ersten Generation zu lesen war. Wenn es erst ein Problembewusstsein gibt, könnten wir es vielleicht auch noch einmal mit den Flaschenhaltern probieren, denn erst wenn sie großflächig zum Straßenbild gehören, werden Spender und Sammler wissen, wofür sie da sind.

Die Haltevorrichtung aus dem Modellversuch existiert übrigens noch. Die BSR verkauft sie jedem Bezirk, der etwas verändern will. Nur zur Information.

Was tun für Flaschensammler? Bestehende Initiativen sind etwa die bundesweite Kampagne "Pfand gehört daneben" und das Portal "Pfand geben", in dem Flaschensammler registriert sind, die Leergut auch zu Hause abholen.

Dieser Text erschien als Rant im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

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