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Ankunft im Provisorium. In einem Plattenbau am S-Bahnhof Grünau wurde eine der zahlreichen Notunterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet.

© Davids/Darmer

Asylbewerber: Flucht ins Provisorium

Weil Berlin nicht auf die gestiegene Zahl von Asylbewerbern vorbereitet war, richten mehrere Bezirke Notunterkünfte ein. Die verantwortliche Senatorin gibt sich überrascht.

Wo erst die Polizei und bis vor kurzem ein Bürgeramt arbeiteten, wohnen seit rund zwei Wochen fast 100 Menschen, darunter etwa 40 Kinder. Die Sammelnotunterkunft im Treptow-Köpenicker Ortsteil Grünau ist eines von sieben solchen Provisorien, die in den vergangenen Wochen eingerichtet wurden, weil Berlin nicht auf die gestiegene Zahl von Asylbewerbern vorbereitet war.

Der dreistöckige Plattenbau ist eigentlich ein Bürogebäude und zum Wohnen kaum geeignet. Die Asylbewerber schlafen auf Erste-Hilfe-Liegen. „Das ist ziemlich ungemütlich“, sagt Heimleiter Michael Grunewald vom Freien Träger PeWoBe. Doch Betten und Schränke, die Grunewald bestellt hat, wird es erst kurz vor Weihnachten geben. Eine Woche hatte er Zeit, das Nötigste zu organisieren. Neben ihm gibt es noch eine Sozialarbeiterin, die sich um die Flüchtlinge kümmert. Im improvisierten Speisezimmer stehen Bierbänke und -tische. Das Essen wird geliefert, drei Mahlzeiten gibt es am Tag, außerdem Wasser, Tee, Kaffee und Milch. Zu den vier Duschen sollen noch weitere dazukommen. „Dank Spenden aus der Nachbarschaft haben alle Kinder winterfeste Kleidung bekommen“, sagt Grunewald, der auf weitere Gaben wie Schuhe, Kleidung und Malhefte hofft.

Um sich ein Bild zu machen, haben am Freitag Abgeordnete der Linksfraktion die Unterkunft in Grünau besucht. „Der Senat ist in der Pflicht, dieses organisatorische Chaos zu beseitigen“, sagte Fraktionschef Udo Wolf. Es müssten „vernünftige Unterkünfte“ eingerichtet werden. Außerdem wäre es ohnehin besser, wenn die Flüchtlinge so schnell wie möglich in eigenen Wohnungen unterkämen. Sammelunterkünfte seien schlecht fürs Familienleben und auch nicht unbedingt günstiger, sagt Wolf.

Auch das Wohnheim Spandau, die zentrale Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Berlin, befindet sich in einem erbärmlichen Zustand. Das sagte Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) nach einer Ortsbesichtigung. Dort hausen derzeit 500 Menschen in den vor 25 Jahren für eine Nutzungsdauer von zehn Jahren errichteten Gebäuden, die nicht mehr sanierungsfähig sind. Ende 2013 läuft der Mietvertrag des Betreibers Arbeiterwohlfahrt Mitte für das Osram-Grundstück in Siemensstadt aus. Alternativen seien der Kauf des Grundstücks und ein Neubau des Heims durch die Awo oder die Verlegung an einen anderen Ort, so Kleebank. Der Bürgermeister forderte mehr Solidarität der anderen Bezirke bei der Aufnahme der Flüchtlinge. Wie im vergangenen Winter hat Spandau ein zusätzliches Notquartier unweit der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge am Askanierring eingerichtet. Dort leben derzeit rund 170 Personen.

Bis zu drei Monate verbringen die Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Es gelte, eine menschenwürdige Unterbringung, die gesundheitliche Versorgung sowie eine psychologische Betreuung von Folteropfern zu sichern, so Kleebank. Er sprach sich dafür aus, den Flüchtlingen vom ersten Tag an Deutschunterricht zu erteilen. Unabhängig davon, ob ihr Asylantrag später angenommen oder abgelehnt werde, müssten sie sich sofort hier zurechtfinden können.

Für Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) „war nicht abzusehen, dass sich die Lage so zuspitzen wird“. So könne sie auch heute nicht einschätzen, was in einem Jahr sein wird. Fest stehe: „Berlin war in den 1990er Jahren schon mal mit doppelt so vielen Flüchtlingen konfrontiert und ist damit klargekommen.“ Sie kritisiert, „dass sich einige Bezirke komplett aus der Verantwortung ziehen.“ Aber: „Wenn einige Bezirke sagen, dass sie keine Flüchtlinge haben wollen, werden wir woanders Möglichkeiten schaffen.“ So versuche man auch, bei Wohnungsbaugesellschaften mehr Wohnungen für Flüchtlinge zu akquirieren.

Sozialstadträtin Sibyll Klotz (Grüne) aus Tempelhof-Schöneberg widerspricht der Senatorin: Die Engpässe bei den Wohnplätzen seien absehbar gewesen. „Vor einem Jahr hätte der Senat ein gesamtstädtisches Konzept vorlegen müssen“. Doch der Senat habe das Problem ignoriert.

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