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BVG_Werkstatt

© Thilo Rückeis

Audiotour Nummer 4: BVG-Werkstatt: Performance statt Ölwechsel

Mehr als 50 Künstler sind seit 2007 in die frühere BVG- Zentralwerkstatt in Gesundbrunnen gezogen. Das bei Kiezfremden kaum bekannte Areal nahe der Panke ist so gefragt, dass die Verwaltung eine Warteliste führt.

Manfred Peckl könnte sich keinen besseren Ort für sein Atelier vorstellen: zentral, hell, günstig und so groß, dass sogar der übermannshohe Asteroid aus Epoxidharz und Sternkarten locker reinpasst: Vor seinem Einzug hatte Peckl zwar einen Monat lang zu schuften, um den alten Busmotorenprüfstand hier vom Öl und Geruch zu befreien, aber jetzt kann er sich und seine Kunst nach Herzenslust entfalten. Und die Nachbarn sind auch nach seinem Geschmack: Man hilft sich, „wenn man zum Beispiel bei der Holzbearbeitung selbst ein Depp ist und ein anderer das richtig kann. Die Mischung hier ist einfach gut.“

Peckl ist einer von mehr als 50 Künstlern, die seit 2007 in die frühere BVG- Zentralwerkstatt in Gesundbrunnen gezogen sind. Das bei Kiezfremden kaum bekannte Areal nahe der Panke ist so gefragt, dass die Verwaltung eine Warteliste führt. Wer eine Runde durch Peckls Nachbarschaft dreht, der ahnt, warum. Es beginnt schon bei dem Café im einstigen Pförtnerhäuschen, das die Künstler mit sommerleichter Kost versorgt. Es geht weiter bei den Statuen, die Modell stehen für jene Figuren, die eines Tages das Stadtschloss schmücken sollen. Zeitlos schön blicken sie aus einem offen stehenden Hallentor, an dem noch ein Schild hängt mit der Aufschrift: „Tor für DD-Bus gesperrt“. Nebenan werkeln die Bildhauer von „Sculpture Berlin“, die ihre Arbeiten gleich im Atelier auf den Lkw laden können. Peckl ist mit ihnen gut befreundet. Besonders gut, muss man wohl sagen: Jeder hier redet mit Wohlwollen über die anderen. Hinter der Oase steckt die von kunstaffinen Investoren getragene Uferhallen AG. Ihr gehören auch die auf der anderen Straßenseite gelegenen Uferstudios, in denen modern getanzt wird.

Nach wenigen Schritten steht man in der 20er-Jahre-Industriehalle, in der Studenten der Kunsthochschule Weißensee ihre Abschlussarbeiten präsentieren. Im Boden liegen Tramgleise, es riecht nach Schweißbrenner. In einem Backsteinbau hinter der Halle wohnt ein Kunstprofessor; der Zaun verbirgt ein Idyll aus Gartenteich und Apfelbäumchen.

Beim Blick durch die Fenster tut sich meist kreatives Chaos auf. Aufgeräumt sieht es nur bei Andrea Melloni aus. Der Italiener zählt zu den führenden Bonsai- Züchtern Europas. Eigentlich müsste ein Besuch bei ihm von der Krankenkasse gefördert werden, denn seine Gewächse streicheln bereits durch ihre Anwesenheit die Großstadtmenschenseele. Bäume, die in den Jahrzehnten ihres Lebens nicht blind nach Höherem gestrebt, sondern zu ästhetischer Perfektion gefunden haben. Ein Schwung wie von stetem Küstenwind im Stamm, runzlige Rinde, Blätterdach – all das ist auch auf 50 Zentimeter Höhe möglich. „Bonsais sind für viele Leute die einzige Verbindung zur Natur“, sagt Melloni. „Abends wird der Baum gegossen, man knipst ein paar Blätter ab und tourt runter. Und über die Jahre wird man mit dem Baum zusammen älter.“ Melloni bittet in den Garten, um das soeben auf einem Kongress prämierte Kieferchen zu zeigen. Über den Garten kann es Abend werden, wenn man Pflanzen mag und die Uhr vergisst.

Für Manfred Peckl bedeutet Abend: Ab nach Hause. Tagsüber hat er hier genug zu tun, wenn er gerade wieder Asteroiden oder andere Katastrophen fabriziert. Das riesige Bild an der Wand hat ihm eine Sehnenscheidenentzündung gebracht. Warum, wird bei näherer Betrachtung klar: Die Farben sind dünn geschnittene Papierstreifen aus Atlanten. Tausende. Zusammen ergeben sie eine Überschwemmung, wie Peckl sagt. Er mache viel mit Katastrophen, erklärt er lachend. Es ist das Lachen eines Mannes, der sich seine Katastrophen aussuchen kann. Stefan Jacobs

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