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Dachschaden: Die Fahrerin dieses Geländewagens hat einen Mercedes gerammt, der in der Gneisenaustraße in zweiter Reihe stand. Feuerwehrleute bargen die Frau leicht verletzt.

© Olaf Wagner

"Verkehrssicherheitsbericht 2013": Auf Berlins Straßen kracht es 130.000 Mal pro Jahr

Der neue Berliner Verkehrssicherheitsbericht zeigt, dass der Senat sein wichtigstes Ziel klar verfehlt hat. Die Zahl der Unfälle steigt seit Jahren, und die der Schwerverletzten stagniert.

Es war, als hätte jemand einen Beweis bestellt: Fast in derselben Minute am Dienstagvormittag, in der die Stadtentwicklungsverwaltung den „Verkehrssicherheitsbericht 2013“ für Berlin veröffentlichte, überschlug sich auf der Gneisenaustraße in Kreuzberg ein Auto: Die Fahrerin eines Lexus-Geländewagens hatte einen in zweiter Reihe stehenden Mercedes übersehen. Feuerwehrleute bargen die Frau nahezu unverletzt aus ihrem Auto.

Damit bestätigte auch dieser Crash, was die Bilanz des Senats drastisch zeigt: Das Unfallrisiko auf den Straßen der Stadt bleibt hoch, aber für Autofahrer sinkt die Gefahr, dabei schwer verletzt oder gar getötet zu werden – und zwar von 2004 bis 2012 um 19 Prozent. Die Zahl der schwer verunglückten Fußgänger sank zwar ebenfalls – nämlich um neun Prozent –, aber bei den Radfahrern hat die Zahl der schwer Verunglückten sogar um 16 Prozent zugenommen. Bei Moped- und Motorradfahrern, die ohnehin als besondere Risikogruppe gelten, waren es sechs Prozent mehr.

Alles in allem sank auf lange Sicht zwar die Zahl der Toten, aber die der Schwerverletzten stagniert schon seit der Jahrtausendwende und stieg zuletzt sogar wieder auf knapp über 2000. Sein 2004 erklärtes Ziel, die Zahl dieser Opfer um 30 Prozent zu senken, hat der Senat also klar verfehlt. Auch die Zahl der Unfälle steigt wieder: Jeweils rund 130 000 Mal krachte es in den vergangenen drei Jahren. Das Allzeittief von gut 120 000 Crashs liegt sieben Jahre zurück.

Radfahrer, Rentner und Kinder besonders gefährdet

Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler wiederholte am Dienstag das Minus-30-Prozent-Ziel. Im neuen Verkehrssicherheitsprogramm soll es wieder verankert werden – nun mit Zielmarke 2020. Für die „Vision“ eines Stadtverkehrs ohne schwere Personenschäden wird kein Zeithorizont genannt.

Während die Autos für ihre Insassen immer sicherer werden, steigt die Zahl der schwächeren Verkehrsteilnehmer: Vor allem der Anstieg bei den verunglückten Radfahrern folgt der stetigen Zunahme des Radverkehrs. Die Zahl der verunglückten Senioren steigt mit deren Anteil an der Bevölkerung. Auch Kinder gelten weiter als besondere Risikogruppe, aber sie leben statistisch immerhin sicherer als noch vor ein paar Jahren.

Der Bericht nennt viele Ansätze für mehr Sicherheit. Aber woran es hapert, steht – wenn überhaupt – allenfalls zwischen den Zeilen: So hat der Finanzsenator der Unfallkommission ihr Jahresbudget nach Tagesspiegel-Informationen bereits um ein Viertel gekürzt, nachdem ein Großteil verfallen war. Und selbst von den noch übrigen 750 000 Euro sind im vergangenen Jahr 125 000 verfallen, weil die dünn besetzten Behörden nicht nachkamen. Außerdem hat die Expertenrunde in den mehr als sieben Jahren ihres Bestehens zwar 64 Brennpunkte komplett und 32 teilweise entschärft (etwa durch Umgestaltung von Kreuzungen). Aber auf der Liste stehen rund 1400 besonders gefährliche Stellen, von denen 500 als chronisch neuralgische Punkte gelten. Rechnerisch dauert die Entschärfung selbst der schlimmsten Problemstellen also fast ein ganzes Menschenleben.

Berlin hat unter deutschen Großstädten mit Abstand die wenigsten stationären Tempoblitzer

Ähnlich langsam kommt die Entwicklung der Kinderstadtpläne voran, die Grundschülern sichere Wege durch ihren Kiez zeigen: Was 2008 mit einem Pilotprojekt begann, sei inzwischen für die Einzugsbereiche von gut 50 Grundschulen geschafft und für weitere fünf pro Jahr finanziert. Demnach würde es etwa 70 Jahre dauern, bis alle rund 400 Grundschulen in Berlin ihren Plan haben.

Auf der Habenseite nennt die Verwaltung das Radverkehrs- und das Zebrastreifenprogramm. Während Letzteres seit seinem Start vor zwölf Jahren als Erfolg gilt, sind die im Haushaltsplan vorgesehenen Kürzungen beim Radverkehr erst auf massive Intervention des Parlaments hin zurückgenommen worden – wie bereits im vorigen Doppelhaushalt und trotz starker Zunahme des Radverkehrs.

Als Erfolgsmodell gelten auch die „Dialog-Displays“, die vor Schulen Temposünder mahnen. Während Autofahrer dort freundliche oder traurige Gesichter zu sehen bekommen, müssen sie mit teuren Fotos eher selten rechnen: Ein Automobilclub ermittelte in einem Städtevergleich, dass Berlin unter deutschen Großstädten mit Abstand die wenigsten stationären Tempoblitzer hat.

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