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Berlin: Auf dem achtfachen Pfad der Tugend

Der erste unserer Spaziergänge soll entspannen nach dem betriebsamen Sommer. Entdecken Sie mit uns den stillen Nordwesten. Hier hat der Berliner Arzt Paul Dahlke in den 20er Jahren einen buddhistischen Tempel errichten lassen. Die Mönche leben nach 227 Regeln

STADTTOUR 1: VOM BUDDHISTISCHEN TEMPEL ZUM GRAB DER HUMBOLDTS

Stille auszuhalten ist gar nicht so leicht. Sie klingt in den Ohren manchmal lauter als Lärm, und die Gedanken kreiseln umso schneller, bevor sie zur Ruhe kommen. „Ich musste erst lernen, die Stille auszuhalten“, sagt Manfred, als er den Tempelsaal des Buddhistischen Hauses verlässt. Manfred ist um die 30, Angestellter in einem Berliner Bezirksamt, und vielleicht braucht er ja deshalb spirituelle Unterstützung. Seit einigen Monaten kommt er an zwei Tagen die Woche hierher. Anfangs hatte er nur ein „bisschen hineinschnuppern“ wollen in diesen Frohnauer Buddhismus. Mittlerweile liest er Bücher über die Religion, beginnt zu meditieren und das richtige Atmen zu erlernen – was auch gar nicht so einfach ist.

Wie bei Manfred ist der Besuch des Hauses für viele Berliner der erste Kontakt zum Buddhismus. Gäste sind hier jederzeit willkommen und können sich in Haus und Garten ungezwungen bewegen – und zwar nicht nur, wenn sie lernen wollen, auch, wenn sie einfach nur neugierig sind. Unsere Tour durchs stille Berlin beginnt hier, in der Hoffnung, dass der Spaziergänger sich schon einmal einstimmt auf das Thema dieser Tour: Dass er tief Luft holt, die Sorgen beiseite schiebt und den Schritt mäßigt.

Der Schritt mäßigt sich aber auch schon ganz von allein – auf dem Weg nach oben nämlich. Der Tempel liegt auf einem Hügel. Hinter dem Elefantentor, das dem indischen Heiligtum Sanchi Torana nachgebildet ist, geht es am Edelhofdamm 54 erst einmal 73 Stufen steil nach oben. Die Stufen symbolisieren die 73 Arten des Wissens eines Buddha. Acht Treppenabsätze stehen für den „edlen achtfachen Pfad“ der Tugend, den jeder Mönch beschreiten muss.

Der Berliner Arzt Paul Dahlke (1865-1928) hatte dieses Haus 1924 auf dem höchsten Punkt Frohnaus erbauen lassen, um den Buddhismus auch im Abendland bekannt zu machen. Auf vielen Reisen hatte er Lehre und Lebensweise des Theravàda studiert, des ursprünglichen Buddhismus, der vorwiegend in Sri Lanka, Burma, Laos und Kambodscha verbreitet ist. Er ließ auch eine Bibliothek einrichten und Gästezimmer für Buddhisten aus aller Welt. Selbst den Garten entwarf Dahlke selbst. Es ist schade, dass man als Spaziergänger eher selten nachts unterwegs ist. Denn im Zentrum der Stätte finden bei Vollmond Betabende statt.

Doch so beschaulich es heute hier auch ist – der Tempel hatte auch seine dramatischen Momente. Als Dahlke 1928 verstarb, führten seine Schüler das buddhistische Zentrum zunächst weiter – doch dann, 1936, verboten es ihnen die Nazis. Das Haus begann zu verfallen, und nach Kriegsende fehlten Dahlkes Erben die Mittel zur Instandsetzung. Die Rettung kam erst 1957, als die „German Dharmaduta Society“ aus Sri Lanka das Gelände erwarb, damit die deutsche Gemeinde nicht sterben musste. Seither entsendet die Gesellschaft Mönche nach Berlin – und die leben hier nach denselben 227 strengen Regeln, die auch im Heimatland für sie verpflichtend wären: Sie dürfen zum Beispiel keine Tiere töten und seien sie noch so winzig, sie dürfen nicht prahlen, grob daherreden oder geschwätzig sein. Sie leben keusch, und nach 12 Uhr essen sie nichts mehr.

Im Reiseführer Baedeker steht, dies sei die bekannteste Sehenswürdigkeit Frohnaus. Spaziergänger entdecken aber noch mehr, wenn sie den heiligen Hügel erst wieder hinuntergeklettert sind. Schließlich ist die Gartenstadt schon fast hundert Jahre alt: Ihre Geburtsstunde schlug am 10. Dezember 1907. An diesem Tag unterzeichneten Guido Graf Henckel Fürst von Donnersmarck als Käufer und Baron von Veltheim als Verkäufer die Verträge über den Erwerb des Areals. Der neue Besitzer, der 3,5 Millionen Goldmark für etwa 3000 Morgen „Stolper Heide“ bezahlt hatte, gehörte zu den reichsten Männern des kaiserlichen Deutschlands. Er wollte mit seiner „Berliner Terrain-Centrale“ mitten im Wald eine Landhaussiedlung mit Parks und Poloplatz errichten lassen.

Wer heute über die beiden grünen, von Kastanien umkränzten Plätze läuft, die das Herz der Gartenstadt ausmachen – Ludolfinger- und Zeltinger Platz – der kann kaum erahnen, dass dies ab 1908 eine der hektischsten Baustellen weit und breit war. Innerhalb eines Jahres waren 40 Kilometer Straßen fertig und ein großer Teil der Rohre für Wasser und Gasanschlüsse bereits verlegt. Nur zweieinhalb Jahre später waren die Arbeiten fast abgeschlossen, und erste Käufer – wenn auch nicht so wohlhabend wie erhofft – hatten sich gefunden, deren Landhäuser nun aus dem waldigen Boden wuchsen.

Es ließen sich noch viele Geschichten erzählen über diesen grünen und ruhigen Teil der großen Stadt. Vom öffentlichen Preisausschreiben zum Beispiel, mit dem man endlich einen Namen für die Siedlung fand: Frohnau nämlich, abgeleitet von „Frohe Aue“. Oder von der feierlichen Einweihung des Bahnhofs, bei der nur Männer zugelassen waren. Dabei wäre der Spaziergänger an dieser Stelle erst wenige Schritte gelaufen…

Spazieren Sie doch alleine noch ein bisschen weiter, schließlich wird Sie diese Tour noch nach Heiligensee und Alt-Tegel führen. Lassen Sie sich mehr erzählen: Von der Dada-Künstlerin Hannah Höch zum Beispiel, die lange in einer Gartenlaube leben musste, von der „dicken Marie“ oder auch vom exzentrischen Kunstschmiedemeister, der sich eine Villa ganz aus Eisen erbaute. Schnappen Sie sich die Karte, die dieser Zeitung beiliegt und laufen Sie los durchs stille Berlin.

Unsere Touren finden Sie jedes Mal auch im Internet – samt Karten, Reportagen und Tipps. Schauen Sie rein unter www.tagesspiegel.de/stadtspaziergang . Online können Sie auch an einem Gewinnspiel teilnehmen.

Carl-Peter Steinmann

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