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Sternenkunst: Auf dem Weg in den Himmel

Kurz vor seinem Sky Art Event über der Neuen Nationalgalerie starb Otto Piene. Es fand trotzdem statt. Nur der Wind wollte erst nicht mitspielen.

Es ist nach Mitternacht, als Otto Pienes Helium-Sterne endlich vom Dach der Neuen Nationalgalerie aufsteigen. Der Wind hatte das Sky-Art-Event zuvor verhindert, aber jetzt: Staunen, Freude, Jubel. Hunderte haben geduldig auf der belebten Potsdamer Straße und der provisorischen Tribüne vor Scharouns Staatsbibliothek ausgeharrt. Und die Nationalgalerie wird zum magischen Ort: Während Otto Pienes psychedelische „Sun“-Installation im gläsernen Mies-Bau leuchtet und blinkt, erheben sich die Gestirne darüber wie in Zeitlupe, mit bis zu 90 Meter hohem Schweif. Später kommt in der Mitte ein gewaltiger Fixstern hinzu: Traumpalmen in tropischer Nacht, Seesterne im Aquarium der Finsternis, die sanft hin und her schwanken.

Schon tagsüber war sonnenklar gewesen, dass der Himmel über Berlin am Samstagabend mitspielen würde. Hoch und blau wölbte er sich über der Stadt, als Bühnenprospekt für die Sky Art von Otto Piene, die pünktlich mit dem Sonnenuntergang beginnen sollte. Viele hatten sich schon am frühen Abend versammelt, anfangs noch eine eher lockere Versammlung, später eine immer dichter gedrängte Menge von Kunstjüngern, Touristen und Passanten, die auf den magischen Moment der Himmelfahrt warten. Ganz langsam hatte sich der erste Stern, weiß und durchscheinend, an seinen transparenten Trägerballons erhoben. Er schwankte, sackte in sich zusammen – mit dem Sonnenuntergang war etwas Wind aufgekommen. Nur eine leichte Brise, aber schon zuviel für die hauchzarten Gebilde.

Der zweite Stern versuchte es nun mit seinem still schwebenden Himmelsballett. Wieder zerrte der Wind an der luftigen Skulptur, die schließlich schlaff auf dem Dach liegen blieb. Sogar die Trägerballons ließ der Wind heftig schaukeln, fast drohten sie sich loszureißen? Schließlich brach man den ersten Versuch ab, mittlerweile herrschte Windstärke 4, man fürchtete schon, dass die Helfer an den Halteseilen weggerissen würden. Aber die Nacht war noch lang, nach 23 Uhr versuchte man es erneut. Und tatsächlich, es klappte, wieder stiegen zwei Sterne in den Himmel, immer nur kurz, verschwanden erneut, Sternschnuppen gleich. Und der größte des leuchtend-stacheligen Trios, der "Berlin Superstar", erstrahlte dann erst um halb ein Uhr morgens samt seinen kleineren Gefährten in Dreieinigkeit.

Am Kulturforum herrschte währenddessen entspannte Sommerfestatmosphäre, eine alles in allem tolle Stimmung, die sich vom ständigen Auf und ab der Sternenkunst nicht irritieren ließ. Otto Pienes Familie war gekommen, auch Freunde beobachteten ernst und gespannt, wie sein Werk Gestalt anzunehmen versuchte. „Er war zuletzt sehr glücklich“, sagte einer.

Geplant war die Himmelskunst als Höhepunkt des kleinen Festivals, das dem Licht- und Luftkünstler bereitet wurde. Zwei Ausstellungen lassen die frische Energie nachvollziehen, mit der die Gruppe Zero Ende der Fünfziger wie ein Blitz in die Nachkriegszeit fuhr: die Diaschau „Proliferation of the Sun – die Sonne kommt näher“ in der Nationalgalerie und „More Sky“ in der KunstHalle der Deutschen Bank über die Entstehung der Lichtkunst. Bestürzend brach die Nachricht vom Tod des Künstlers am Donnerstag in die Euphorie.

Auf Wunsch seiner Witwe Elizabeth Goldring und der Familie sollte das Sky Art Event realisiert werden, dem Tod zum Trotz. Drei weiße Sterne hatte Piene für die gläserne Halle Mies van der Rohes ausgewählt. „Paris Star“ entwickelte er 2008 für die weißen Nächte von Paris. „Cereus Star“ ist benannt nach einer Kaktee, deren Blüte sich nur eine Nacht öffnet. Der „Berlin Superstar“ glänzte schon 1984 in Berlin am Ernst-Reuter-Platz zur Ausstellung „Die Zukunft der Metropolen“ - eine Hommage an den Dichter Scheerbart. Der Erfinder fantastischer Welten gilt als Vordenker der Glasarchitektur.

So verweben sich in diesem nächtlichen Kunst-Feuerwerk Träume von außerirdischem Leben in anderen Planetensystemen mit existenziellen Fragen. Immer schon wollte Piene mit seiner Kunst den Tod überwinden. Seine Aufmerksamkeit für Licht und Dunkel wurde als Flakhelfer geprägt. Später beschloss er, den Himmel nicht dem Krieg „für sein naives Lichtballett“ zu überlassen. Dafür wurde ihm das Museum zu eng, die Erde zu schwer. Seine Kunst sollte sich ins Universum ausdehnen.

Verglichen mit Naturphänomenen wirkt die Konstruktion der Sterne denkbar einfach. Die zehn Meter breiten Stoffskulpturen waren an heliumgefüllten Schläuchen befestigt, die wie die durchsichtigen Arme einer Medusa nach oben trieben. Etwa 50 Meter hoch kann so ein Stern steigen, an Seilen von Menschenhand gelenkt werden wie ein Drachen, doch der wichtigste Akteur dabei bleibt der Wind. Und wenn der nicht will? Doch Otto Piene hätten die anfänglichen Probleme samstagnachts wohl kaum gestört.  „Man muss die Natur gewähren lassen, dann wird sie immer schöner,“ sagte er gern.

Warum eigentlich liegt kein Kondolenzbuch für den Lichtkünstler in der Neuen Nationalgalerie?, fragte so mancher abendliche Besucher des Mies-van-der-Rohe-Baus. Darin sind sich alle einig: Otto Piene hat Berlin posthum das schönste Public Art Viewing seit Christos Verhüllung des Reichstags geschenkt.

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