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Berlin: Auf die Plätze, fertig, los!

Nur noch ein knappes halbes Jahr, dann ist wieder Marathon. Wie macht man sich ab jetzt fit – aber gesundheitsverträglich? Unsere Autorin war mit einem Coach unterwegs. Ein Leidensbericht

Laufen, darin sind sich inzwischen alle einig, ist ein genialer Sport. Gut für das Herz-Kreislaufsystem, für den Schlaf, den Ruhepuls und die physische Belastbarkeit. Man kann damit in jedem Alter anfangen, einer amerikanischen Studie zufolge sind Läufer um die 60 sogar leistungsfähiger als 20 Jahre jüngere Menschen, die sich nicht bewegen. Leider, und das wird selten gesagt, kann das Lauftraining auch ziemlich langweilig sein. Vor allem, wenn einem wie so vielen Hobbyläufern der Sinn nach Wettkampf steht, nach Sonntagen, an denen man sich gemeinsam mit Tausenden über mit Bananenschalen verklebte Straßen wälzt. Zwar gibt es immer welche, die beim Training allein sein können. Die anderen sollten es einmal mit einem Lauftrainer versuchen.

Bei einem Lauftrainer handelt es sich um eine Art urbanen Ski-Lehrer, der mit Gruppen im Gelände unterwegs ist. Einer von ihnen ist John Kunkeler, auf die 60 zugehend, Jazzclubinhaber, 100-Kilometer-Läufer und unter anderem für die Streckenführung des Berlin-Marathon verantwortlich. Wir laufen in der Chausseestraße los, dort befindet sich sein Klub, der „Schlot“. Er trägt Funktionsklamotten aus Mikrofaser, die den durch Schweiß entstehenden Wasserdampf nach außen transportieren. Dazu eine Mütze – 40 Prozent der Körperwärme gehen über den Kopf verloren –, deren Quaste bei jedem Schritt ausschlägt.

Für Kunkeler teilt sich die Welt in zwei Gruppen. Die einen können das Tempo auf einer gewissen Distanz steigern und sich während des Laufens auch wieder erholen – die dürfen sich Läufer nennen. Alle anderen sind Jogger. Das Tempo zu dosieren, ist schon mal schwer, mit sieben Kilometern die Stunde geht es anfangs dahin. Wobei es beim Training nicht auf das Tempo ankomme, tröstet Kunkeler. Lieber öfter weniger als ein einmaliger Hauruck-Akt. Man sollte in der Woche aber schon mindestens fünfzig Kilometer schaffen. Für einen Marathon brauche es wenigstens ein Jahr Lauferfahrung, für das Training selbst dann drei Monate. Ansonsten könne man den Marathon nicht in einer kalkulierbaren Zeit laufen, sondern „stopp and go“. Kunkeler nennt es Joggen.

Für Sportmediziner und Trainer hängt alles von der Herzfrequenz ab. Der ideale Belastungspuls errechnet sich so: 180 minus Lebensalter. Das ist jene Herzfrequenz, mit der man ein Training durchlaufen kann, ohne eine so genannte „Sauerstoffschuld“ aufzubauen. Die entsteht dann, wenn man so schnell läuft, dass die Muskelzelle nicht mehr genug Sauerstoff für die Energiebereitstellung zur Verfügung stellen kann. Man spricht auch von der „anaeroben Schwelle“, jener Herzfrequenz, bei deren Überschreitung der Organismus in den anaeroben Stoffwechsel übergeht. Anaerob bedeutet Energiebereitstellung ohne Sauerstoff, dabei wird die Zelle mit Milchsäure überschwemmt und blockiert sich nach kurzer Zeit selbst. Der Muskel ist übersäuert, er beginnt zu brennen, auch das Atmen fällt schwerer.

Von der im Blut gemessenen Laktatkonzentration, also Milchsäurekonzentration, lässt sich auch auf den Leistungszustand schließen, sie wird auch bei einer sportmedizinischen Untersuchung erhoben. Ein solcher Check sollte Teil jedes guten Lauftrainings sein. Läuft man nur für die Gesundheit, sollte die anaerobe Schwelle niemals überschritten werden. Ein Marathonläufer kommt während seiner gesamten Strecke nur gegen Ende kurz über diese Schwelle. Hingegen laufen 800-Meter-Läufer 90 Prozent der Strecke im anaeroben Bereich. Läuft man fürs Abnehmen darf man den Körper übrigens gerade mal mit 70 Prozent der maximalen Kapazität belasten. Bei Männern errechnet sich die richtige Pulsfrequenz so: 220 minus Lebensalter, bei Frauen so: 226 minus Lebensalter.

Wir umrunden den Lehrter Bahnhof, das Glasdach liegt glänzend in der Sonne. Kunkelers Laune ist ebenfalls glänzend. Er sagt, dass man den Fuß gleichmäßig und ohne Stampfgeräusch abrollen soll. Dass es sich empfiehlt, mehrere Paar Laufschuhe zu haben, weil über den ständigen Wechsel der Bedingungen am Fuß die Anpassungsfähigkeit der Stütz- und Bewegungssysteme geschult werde. Und dass Berlin eine der besten Marathonstrecken sei, auch für die Profis, wegen der vielen Sehenswürdigkeiten. Abwechslung sei überhaupt das Wichtigste. Er rät davon ab, immer nur im Park Runden zu drehen, für seine Laufgruppen wählt er immer neue Strecken aus. Psychotricks würden helfen – wenn man sich zum Beispiel unterhalte, ändere sich die Wahrnehmung. Unsere Kommunikation ist allerdings von Kilometer zu Kilometer einseitiger geworden. Kunkeler redet, man selbst schafft es nur mehr, hin und wieder „Mhm“ einzuwerfen.

Wir sind jetzt am Ufer, vor uns liegt das Kanzleramt. Wir müssen dehnen. Dehnen verhält sich zum Laufen wie die Werbeunterbrechung zum Spielfilm. Doch es hilft nichts, es geht darum, die Spannung in den einzelnen Muskelgruppen abzubauen. Keine abrupten Bewegungen, mahnt Kunkeler.

Vor dem Reichstag liegen faul die Touristen in der Sonne, wir laufen weiter. 15 Kilometer werden es am Ende gewesen sein. Kunkeler beginnt, wie alle Läufer, von seinen Heldentaten zu erzählen. Seine Zeiten liegen alle irgendwo bei zwei Stunden. „Schon mal längere Distanz gelaufen?“, fragt er jovial. Leider nur den Kreuzberger Viertelmarathon. Die Strecke führte an einer Kneipe vorbei, die „Trinkteufel – das Tor zur Hölle“ heißt. Die Leute, die vor der Kneipe saßen, ließen jeden Läufer deutlich spüren, dass sie sportlichen Ehrgeiz für unangebracht hielten. Einmal kurbelten zwei türkische Männer die Autoscheibe herunter und fragten, ob sie einen mitnehmen sollen.

Auto fahren wäre jetzt schön. Oranienburger Straße, endlich. Kunkeler ist, ohne dass man es gemerkt hat, einen riesigen Umweg gelaufen. Das müssen diese Psychotricks sein.

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