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Berlin: Auf Opas Schultern zur Demo

Für die Polizei sind sie seit Jahren am 1. Mai eines der größten Probleme: Kreuzberger Jugendliche, die angeblich einfach nur Lust auf Krawall haben.

Für die Polizei sind sie seit Jahren am 1. Mai eines der größten Probleme: Kreuzberger Jugendliche, die angeblich einfach nur Lust auf Krawall haben. Moritz C. und Anna W. sind beide 17 Jahre alt und lebten schon als Kinder in einem ehemals besetzten Haus in Kreuzberg. Moritz besucht die 11. Klasse eines Kreuzberger Gymnasiums, Anna die 10. Klasse einer Gesamtschule. Erik S., ebenfalls 17, kennt beide schon aus dem Kinderladen. Erik ist nach dem Realschulabschluss arbeitslos. Sein Großvater gehörte Ende der 70er Jahre zur Gründergeneration der „taz“, sein Vater war 1981 einer der jüngsten Hausbesetzer in Kreuzberg. Mit den Dreien sprach Christoph Villinger.

Als Kinder seit Ihr mit euren Eltern jedes Jahr auf der „Revolutionären 1. Mai-Demo“ gewesen. An was könnt ihr Euch noch erinnern?

MORITZ: Am meisten kann ich mich noch an die Konfrontationen mit der Polizei erinnern. Für so einen jungen Spund wie mich war das natürlich spannend. Man hat sich die Sprüche der Großen angehört und sich damit identifiziert.

ERIK: Ich bin öfters mit meinem Opa auf die Demos gegangen. Oft haben wir gesehen, wie Bullen an uns vorbeirannten und Leute jagten. Aber uns passierte nichts, ein Opa mit seinem Enkel auf den Schultern sieht doch völlig harmlos aus.

ANNA: Ich kann mich noch erinnern, wie einmal ein Polizist am Oranienplatz meine Mutter kontrollieren wollte. Sie meinte, er habe doch gar keine Mütze auf, sei also kein Polizist, und ist weitergegangen. Das fanden wir ganz toll. Ein Freund von meiner Mutter hat immer in seinen Schuhen Knaller versteckt.

Was sind Eure frühesten Erinnerungen?

ERIK: Ich kann mich noch erinnern, wie ich im Buggy auf der Demo mitgeschoben wurde.

ANNA: Ja, auf der Demo gab es immer einen Kinderblock. Da drin haben sich die Schlimmsten versteckt.

Und dieses Jahr? Geht Ihr auf die Demos?

ANNA: Ich gehe auf jeden Fall auf das Fest auf dem Mariannenplatz. Dort treffe ich viele Leute, die ich kenne. Und dann mal sehen.

MORITZ: Ich werde auf jeden Fall auch zum Mariannenplatz gehen. Das ist so eine Art Tradition. Ob ich auf die 18-Uhr-Demo gehen werde, weiß ich noch nicht. Es gibt da zu viele Leute, mit denen ich mich überhaupt nicht identifizieren kann. Die kleinen Autos, die letztes Jahr angesteckt wurden, können doch auch einem Döner-Verkäufer gehören.

ERIK: Leider bin ich am 1. Mai nicht in Berlin, aber ich würde auf jeden Fall mit versuchen, den Nazi-Aufmarsch zu verhindern. Am Abend würde ich auf die 18-Uhr-Demo gehen. Und später zur Kundgebung der Kreuzberger Spaßpartei KPD/RZ.

MORITZ: Also ich geh’ bestimmt nicht auf die Demo, um mich mit der Polizei zu prügeln. Ich gehe auf die Demo aus politischen Gründen, weil ich was zu sagen habe. Zum Beispiel, dass die Steuern erhöht werden sollten für die, die das Geld haben. Ich würde mich freuen, wenn einfach viele Menschen friedlich demonstrieren.

ANNA: Das Problem ist, wenn zehn Leute anfangen, Steine zu werfen, dann geht es halt los. Manche gehen extra auf den 1. Mai, um sich zu prügeln. Und schließlich kriegen die Friedlichen alles ab, wie letztes Jahr, als die Polizei den Mariannenplatz stürmte und abräumte.

MORITZ und ERIK: Aber die Lust am Prügeln gibt’s doch auch bei der Polizei, das haben wir erlebt.

ANNA: Klar, die werden extra achtzehn Stunden lang eingesetzt, damit die schön aggressiv sind. Ich bin letztes Jahr an etlichen Polizisten vorbeigelaufen, die saßen in ihren vielen Wannen, haben mich ständig angeguckt und haben dabei schon ihren Knüppel gestreichelt.

Redet Ihr in der Schule über den 1. Mai?

MORITZ: Wenig. Allerdings denken bei mir in der Schule einige, dass sie ihre politischen Ideale durchsetzen, wenn sie sich mit der Polizei anlegen. Die denken wirklich, dass sie damit was bewegen können.

ANNA: Bei uns in der Schule war ein Polizist, der uns über den 1. Mai aufgeklärt hat. Gut an dem Typ fand ich, dass er nicht einseitig auf die Mai-Krawallmacher geschimpft hat, sondern auch die Polizisten kritisierte.

Was denken Eure Mitschüler?

ERIK: Viele finden es toll, dabei zu sein. Am nächsten Tag können sie dann schön erzählen, ich hab’ die Bullen so und so…

Was habt Ihr von Euren Eltern über den 1. Mai mitgekriegt?

ERIK: Mein Opa und mein Vater haben mir viel von 1987 erzählt, und wie sich dann alles weiter entwickelte.

Interessiert Dich das?

ERIK: Ja, absolut. Damals ist doch wirklich noch etwas passiert, dahinter hat politisch etwas gesteckt.

Steckt heute nichts mehr dahinter?

ERIK: Doch, die Leute von der autonomen Antifa haben einen politischen Hintergrund, aber sie sind doch nicht die ganze Demo.

MORITZ: Was da manchmal über Lautsprecher gesagt wird, ist Quatsch. So Sprüche wie „Heraus zum Ersten Mai – Staat zerschlagen“ ist doch ein derart unrealistisches Ziel, dass ich damit nichts anfangen kann.

Eine Generation vor Euch fanden viele alles, was die Eltern machten, doof und bescheuert. Warum ist das bei Euch anders?

MORITZ: Ich glaube, wir sind da ein spezieller Fall – weil wir in Wohngemeinschaften oder besetzten Häusern groß geworden sind.

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