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Berlin: AUFDEUTSCH GESAGT Fahrende Gesellen Brigitte Grunert über

die Sprache der Politiker

„In Gottes Namen fahren wir“, sangen die frommen Pilger und Kreuzritter im Mittelalter. Gar lustig waren später die fahrenden Gesellen. Heute reisen wir bequem durchs Leben, auch sprachlich. Das gute alte Verb fahren gerät dabei unter die Räder. Die Bürokraten und mit ihnen die Politiker (zum Glück nicht alle) erfinden armselige Sprachbilder. Sie fahren eine bestimmte Politik, sie fahren den Haushalt. Reformen werden gefahren, ein Unterrichtsprogramm, die Konjunktur. Man möchte aus der Haut fahren.

Union und FDP finden, dass die Bundesregierung mit der geplanten Umlage der Unternehmen zur Finanzierung von Ausbildungsplätzen „den falschen Kurs fährt“. So hörte man es auch im Abgeordnetenhaus. „Wenn die Konjunktur nach unten fährt“, gebe es natürlich weniger Arbeits und Ausbildungsplätze, sagte FDP-Fraktionschef Martin Lindner. Man dürfe aber „nicht bei Ausbildung und Schulen einfach runter fahren“, konterte, nein, stammelte Ramona Pop (Grüne).

„Statt Lösungsansätze zu erarbeiten, lenken Sie von Ihrem Scheitern ab“, donnerte Kai Wegner (CDU) gegen den rot-roten Senat. Was für Lösungsansätze? In seiner hastigen Formelsprache vergaß er das Problem, dessen Lösung er vermisst. Das heißt, er vermisste nur Ansätze. Ihm war wohl gar nicht bewusst, dass er mit starken Worten fast nichts gefordert hat. Ansätze sind ja noch kein konkreter Plan zur Lösung eines Problems. Auch Bärbel Holzheuer-Hohensteiner (PDS) bemerkte diesen Unterschied nicht, aber den Sinn ihrer Worte versteht sowieso kein Laie: „Die Umlage ist nötig, um Branchen übergreifende innovative Ansätze zu verwirklichen.“ Hauptsache, das Wort innovativ ist untergebracht, es hört sich so fortschrittlich an.

Da man „einen Kompromisskurs fährt“, sollen im Sommer weniger Hallenbäder geschlossen sein als zunächst vorgesehen. Das „zeigt, dass der richtige Schritt in die richtige Richtung hier angedacht ist“, betonte Walter Kaczmarczyk (PDS). Was heißt angedacht? Dieses Unwort bedeutet doch nur, dass ein Gedanke nicht ausgereift ist. Er hätte schlicht sagen können: Ich bin nicht ganz zufrieden, aber nach Lage der Dinge ist aus Kostengründen nichts Besseres möglich. „Wir können an optimierenden Strukturen für eine neue Bäderlandschaft arbeiten“, verhieß Karin Seidel-Kalmutzki (SPD).“ Schwülstiger geht es nicht. Können besagt gar nichts. Tun muss man es. Und wenn schon keiner mehr ohne das abgegriffene Wort Strukturen auskommt, gibt es jedenfalls keine optimierenden Strukturen. Man kann sie nur optimieren oder optimal gestalten. Aus angebrüteten Eiern schlüpfen auch keine Küken, die Eier müssen ausgebrütet sein.

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