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Berlin: Aufgeklärte Mädchen

Seit fast 25 Jahren kümmert sich der MaDonna-Treff um junge Neuköllnerinnen

Energisch verliest die kleine Ayse den nächsten Tagesordnungspunkt „Störungen beim Tanzunterricht“. Die Hände ringsherum schnellen in die Höhe, einige rufen aufgeregt in die Runde. Das Mädchen mit dem Kopftuch an der Stirnseite des Tisches donnert die geballte Faust auf den Tisch, „Ruhe!“ Diszipliniert fährt das Plenum fort, die letzte Rednerin benennt jeweils die Nachfolgende: Tanzlehrerin Lydia sei zu streng, ein Mädchen bringe immer ihre Hunde mit, die Jungs draußen nerven. Die Pädagogin an der Längsseite des Tisches ist von der Redeordnung nicht ausgenommen. Wird sie aufgerufen, versucht sie zu vermitteln.

Die zwölf Mädchen zwischen acht und elf Jahren sitzen um einen langen Tisch im Mädchentreff MaDonna in Neukölln. Collagen mit Bravo-Aufklärungsseiten, romantische Gedichte, Kindermalereien und Gruppenfotos schmücken die Wände. Auf einem Zettel stehen die Hausregeln: „Wir lassen jeden Menschen aussprechen, hören aufmerksam zu und achten auf Ruhe bei Telefongesprächen“, oder „Bei Ausdrücken wie ‚Arschloch‘, wird die MaDonna–Kasse mit 30 Cent bereichert“ und „Das Plenum fängt immer mit einer Minute Stillzeit an, beim Bruch der Minute wird von vorne begonnen. Kaugummi nur leise kauen.“

Seit 1981 besteht der Mädchentreff MaDonna in der Falkstraße. Als problematisches Arbeiterviertel galt die Neubausiedlung zwischen Karl-Marx-Straße und Hermannstraße schon damals. Die MaDonna war jedoch in den 80er Jahren eine andere: Mit den finanziellen Kürzungen zu Beginn der 1990er Jahre verschwanden Theatergruppen, Gruppenreisen und ausgebildete Pädagoginnen. Zurück blieben „niedrigschwellige Jugendarbeit“, häufig wechselnde Aushilfen und in jüngster Zeit Ein-Euro-Jobberinnen. Zwar geben viele genervt von den schwierigen Mädchen nach kurzer Zeit wieder auf, aber manche arabische Mitarbeiterin half auch, das Vertrauen der Migranten-Eltern in den Mädchentreff zu stärken. Auch die Herkunft der Besucherinnen hat sich geändert. Anfangs war die Mehrheit deutsch, heute kommen fast ausnahmslos nur noch Mädchen mit Migrationshintergrund.

Aufgeben möchte Leiterin Gabriele Heinemann das Projekt auf keinen Fall. Unterstützung erfährt sie durch die 30-jährige Güner Y. Balci. Sie arbeitet seit ihrem Abitur im Rahmen verschiedener Projekte für MaDonna. Mit einigen Mädchen aus ihrer Anfangszeit ist sie auch heute noch befreundet. Sie sieht in ihrer täglichen Arbeit, dass der Mädchentreff nötiger denn je gebraucht wird. Ungefähr 50 Mädchen kommen zu MaDonna. Die Mehrheit ist zwischen acht und zwölf Jahren, aber es gibt auch einige junge Frauen bis 20 Jahre. Die Jüngeren finden bei MaDonna Hilfe bei ihren Hausaufgaben, die Älteren können an einem Bewerbungstraining teilnehmen. Die meisten Mädchen besuchen die Hauptschule und kommen aus kinderreichen, sozial benachteiligten Familien.

Das Außergewöhnliche an MaDonna ist für Güner Y. Balci, dass hier Probleme offensiv angegangen werden. Bei Zwangsheirat, Gewalt oder Freiheitsentzug ergreifen die Mitarbeiterinnen Partei, klären auf, nehmen die Scham und vermitteln Adressen von Frauenhäusern. Mit Hilfe von MaDonna konnte vor zwei Jahren ein Mädchen vor ihrer Zwangsverheiratung fliehen. Sie tauchte in einer anderen Stadt unter, konnte jetzt aber wieder zu ihrer, inzwischen einsichtigen, Familie zurückkehren. Jüngstes Projekt des Mädchentreffs ist die Postkartenaktion „Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen“, die kürzlich ausgezeichnet wurde. Dennoch nicht alle in Neukölln schätzen den Mädchentreff. Junge Männer beschimpfen die MaDonna als „Hurentreff“, Eltern verbieten ihren Töchtern den Besuch. Dann sind auch die Mitarbeiterinnen machtlos.

Die achtjährige Hadige hat über Schulkameradinnen von dem Treff erfahren, die 11 Jahre alte Mona geht zu MaDonna, weil schon ihre Tante als Kind hier war. Mona mag an MaDonna die Spiele, Tanz- und Computerkurse und ihre Freundinnen dort. Die älteren Mädchen, die das „Kuschelzimmer“ missbrauchen, um dort heimlich mit ihren Freunden zu knutschen, stören sie. „Das ist eklig.“ Prinzipiell sind Jungs im Mädchentreff erlaubt, so lange sich niemand gestört fühlt. Monas Beschwerde wird im nächsten Plenum mit den beteiligten Mädchen diskutiert.

Jasmin Herbell

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