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Berlin: Aufschlussreich und amüsant - eine Ausstellung dokumentiert 100 Jahre deutsche Feierrituale zu Silvester

Wie bei vielen Silvesterbräuchen liegt auch bei diesem speziell berlinischen der Ursprung im Finstern der Geschichte. Jedes Jahr in der Silvesternacht zogen in der wilhelminischen Zeit junge Männer aus den Arbeiterbezirken der Reichshauptstadt an die berühmte Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße und schlugen wohlsituierten Herrschaften die Zylinder von den Pomadeköpfen.

Wie bei vielen Silvesterbräuchen liegt auch bei diesem speziell berlinischen der Ursprung im Finstern der Geschichte. Jedes Jahr in der Silvesternacht zogen in der wilhelminischen Zeit junge Männer aus den Arbeiterbezirken der Reichshauptstadt an die berühmte Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße und schlugen wohlsituierten Herrschaften die Zylinder von den Pomadeköpfen. Bei diesem Kampf der Klassen kam es alle Jahre wieder zu Massenschlägereien und Polizeieinsätzen.

Diese eher anekdotische Abweichung von den Ritualen bürgerlicher Feiergewohnheiten zum Jahreswechsel ist Teil der Ausstellung "Große Reden, kleine Feiern", die ab heute in der Galerie im Körnerpark zu sehen ist. Die Ausstellungsmacher Susann Hellemann und Lothar Binger haben von 1899 bis hart an die Jahrtausendgrenze Material über deutsche Silvesterfeiern gesammelt, wobei die private Feierei mit Sekt und Knallerei mit der bierernsten Seite des Jahreswechsels, den Reden deutscher Staatsmänner, konfrontiert wird. Besonders erhellend sind die Fotos von den privaten Silvesterfeiern, die das Autorenduo aus seinem riesigen Archiv mit Privatfotos zusammengetragen hat. Sie dokumentieren auf sehr unterhaltsame Weise den Wandel deutscher Alltagskultur. So wurde vor dem Ersten Weltkrieg Silvester noch von ernst blickenden Menschen, oft in Berufstracht, regelrecht begangen. In den goldenen Zwanzigern werden Mienen, Kleidung und Sitten der Feiernden deutlich lockerer, ein Zeichen für die Demokratisierung der Gesellschaft, wie die Ausstellungsmacher im Katalog schreiben. Mit dem Feldgrau, das sich in den vierziger Jahren in die Feiergesellschaft mischt, hält die Weltgeschichte in die Wohnzimmer Einzug, mit den Fernsehgeräten, die in den sechziger Jahren ins Bild rücken, die Massenkultur. Weitaus schaler, wenn auch nicht weniger aufschlussreich, sind die Reden deutscher Staatsmänner, die, den Ton ihrer Zeit aufnehmend oder vorgebend, im klirrenden, hetzerischen oder technokratischen Stil Plattitüden von sich geben. Abseits des Zeitgeistes lässt sich am Jahreswechsel aber nur eine Wahrheit festmachen: "Wir haben kein Jahr gefunden, in dem nicht Silvester gefeiert worden ist", berichtet Ausstellungsmacher Lothar Binger.Die Ausstellung ist ab heute bis zum 9. Januar 2000 in der Galerie im Körnerpark, Schierker Straße 8, dienstags bis sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr zu sehen.

wik

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