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Berlin: Aus dem U-Bahn-Tunnel ins Gericht

Auf den Linien 6, 8 und 9 vor allem in Wedding und Mitte wird in großem Stil mit Drogen gehandelt. Seit gestern müssen sich drei Verdächtige in Moabit verantworten

Stundenlang soll Hassan K. in der U-Bahn geblieben sein. Immer dann, wenn er seine kleine Tochter zur Kita gebracht hatte, vor allem auf der Linie 6. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er auf den Bahnhöfen Schwarzkopfstraße, Zinnowitzer- oder Reinickendorfer Straße mit Heroin und Kokain handelte. Mit zwei weiteren Angeklagten – darunter seine deutsche Lebensgefährtin – muss sich der aus dem Libanon stammende Mann seit gestern vor dem Berliner Landgericht verantworten.

Die Berliner Polizei versucht mit Schwerpunktkontrollen seit Jahren den Drogenhandel in der U-Bahn zu unterbinden. Die Erfolge sind verhältnismäßig gering, weil es kaum gelingt, die Dealer, vor allem deren Hintermänner, auf frischer Tat zu ertappen. Zu schnell verschwinden Verdächtige in abfahrenden Zügen, so dass observierende Beamte vom Bahnhof aus kaum oder gar nicht folgen können.

Dem vorbestraften Hassan K. kamen die Ermittler erst durch einen Tipp aus der Szene auf die Spur. Umfangreiche Telefonüberwachungen erhärteten schließlich den Verdacht. In Vernehmungen bei der Polizei soll er eine direkte Beteiligung an den Geschäften im Schatten der Betriebsamkeit auf U-Bahnhöfen bestritten haben. „Ich bekam lediglich Anrufe“, gab der 23-jährige K. zu Protokoll. Vor Gericht schwieg er allerdings genauso wie die beiden 24- und 25-Jährigen, die ebenfalls angeklagt sind.

Monatelang soll die Bande auf der Linie 6 ihr Unwesen getrieben haben. Die Anklage geht von 66 Fällen zwischen März und Dezember letzten Jahres aus. Hassan K. sei für die Bereitstellung der Drogen und für die Koordination des Handels verantwortlich gewesen. Mehrere Komplizen sollen dann szenetypische Kügelchen mit Heroin oder Kokain verkauft haben. In der Anklage listete die Staatsanwaltschaft vier Dealer auf. Die Deutsche soll schließlich die Drogengelder in den Libanon transferiert haben.

Nach den Ermittlungen versuchte die Bande sogar, einen 14-Jährigen als so genannten Drogenbunker anzuwerben. Es sei geplant gewesen, dass der Junge Heroin-Szenepäckchen, die für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren, im Mund aufbewahrt. Täglich zwischen 10 Uhr und 16 Uhr sollte er laut Anklage auf dem U-Bahnhof Schwarzkopfstraße in Mitte als unverdächtiges Drogen-Depot zur Verfügung stehen – gegen ein Entgelt von 30 bis 40 Euro. Der Junge habe jedoch abgelehnt.

Hassan K. soll in früheren Vernehmungen beteuert haben, dass weder er noch die beiden Mitangeklagten in dem Drogenhandel verstrickt gewesen seien. Für den Prozess wird eine längere Beweisaufnahme erwartet. Die Verteidiger kritisierten bereits am Rande der Verhandlung, die Anklage sei „ein bisschen undurchsichtig“. Es seien kaum konkrete Handlungen aufgeführt.

Von einem Katz-und-Maus-Spiel sprechen Polizisten. Im Bereich Wedding/Mitte kommt es monatlich zu etwa zehn Festnahmen, die in den seltensten Fällen zu Haftbefehlen führen. Neben den Linien 8 und 9 gilt auch zunehmend die Linie 6 als Handelsstraße für Dealer. Frank Neukamp, Abteilungsleiter in der Direktion 3, berichtete gestern von einer „neuen Brutalitätsstufe“. Kürzlich seien Polizisten, die Verdächtige in einem Zug festgenommen hätten, beim Ausstieg auf dem Bahnhof Rosenthaler Platz von einer „Sympathisantengruppe“ der Dealer mit einem Steinhagel empfangen worden. Die Steine hatten sie zuvor aus dem Gleisbett der U-Bahn geholt.

Auch der Bereich der Linie 9 zwischen Turmstraße und Nauener Platz gilt weiterhin als Schwerpunkt der überwiegend arabischstämmigen Dealer. Rauschgift wird in den Zügen transportiert, Händler verstecken es – in Tüten verpackt – im Mund und verschlucken es bei Kontrollen. Fahrscheine haben die Drogenkuriere fast immer, was der BVG Hausverweise erschwert. „Wir sind keine Ordnungsmacht“, betonte gestern BVG-Sprecherin Petra Reetz. Wann immer aber das Personal mögliche Drogenhändler vermute, werde die Polizei geholt.

In den vergangenen Jahren hatte sich die unterirdische Drogenszene von Bahnhof Zoo und der Kurfürstenstraße nach Norden verlagert. In Berlin spritzen rund 8000 Menschen Heroin. Der Prozess gegen Hassan K. wird fortgesetzt.

Kerstin Gehrke, Christian van Lessen

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