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Berlin: Ausflug ins Außergewöhnliche

Die „Gärten der Welt“ in Marzahn verblüffen die Besucher mit Exotik in Perfektion. Ein Rundgang vom tropischen Wasserplätschern Balis bis in die Oasen des Orients

An den Plattenbauten in Marzahn flattern die einheimischen Insignien des WM-Rausches: Schwarz-rot-goldene Fahnen. Mit Hammer und Zirkel darauf wäre die DDR-Kulisse nostalgisch perfekt. Dieser ketzerische Gedanke ist ein paar Minuten später in der Eisenacher Straße vergessen. Nur ein paar Schritte hinter dem Eingang des Erholungsparks Marzahn taucht man in eine exotische Welt ein. In fünf „Gärten der Welt“ lernt man in Marzahn praktisch auf einen Schlag Bali, Japan, China, den Orient und Korea kennen – bis Ende Juni unternahmen in diesem Jahr bereits 206 797 Besucher eine solche gärtnerische Weltreise.

Im Balinesischen Garten kann man dabei gleich seine Tropentauglichkeit prüfen. Denn spätestens, wenn man durch das „Angkul-angkul“ getreten ist – so heißt auf Balinesisch das mit Schnitzereien verzierte Eingangstor aus Teakholz –, weiß man, warum es im Vorraum einen Brillentrockner-Apparat gibt. Tropische Schwüle hüllt den Besucher im „Garten der drei Harmonien“ ein, in dem an diesem ruhigen Vormittag leises Wasserplätschern das einzige Geräusch ist. Ein Garten im herkömmlichen Sinne ist das Ensemble von Wohnraum, Arbeitsstätte und Familientempel nicht. Als Lebensraum ist die Anlage zu verstehen, in dem die Balinesen die Harmonie zwischen Mensch, Gott und Natur ausdrücken.

Fast ehrfurchtsvoll wandelt der Besucher durch eine geheimnisvolle Welt, in der Orchideen und Hibiskus ihre exotische Schönheit präsentieren und ein blühender Frangipanibaum – auch Tempel- oder Pagodenbaum – betörend duftet. An einer Stelle des Gartens hat eine üppig wuchernde Kletterfeige die rote Backsteinmauer fast vollständig mit ihrem glänzenden Blattwerk überzogen – ein gelbseidener Schirm an einem der Tempelschreine ist der grellste Farbtupfer im balinesischen Grün.

Von Bali nach Korea ist es in Marzahn nicht allzu weit. Hinter dem Eingangstor zum „Seouler Garten“ lässt eine leichte Brise ein Glöckchen zart läuten, dessen Klöppel einen Fisch darstellt. Freude, Anregung und Entspannung sollen die Besucher auf den 4000 Quadratmetern finden, die nach dem Vorbild des Gartens entstanden, in dem einst der koreanische Gelehrte Eon Jeok Lee lebte. Um 1516 hatte dieser der Politik entsagt, um sich in der klösterlichen Ruhe seines „Hauses der einsamen Freude“ der Lehre des Konfuzius zu widmen. Im Original-Nachbau der einsamen Lebenswelt des in Korea noch heute hoch verehrten Konfuzianers wandelt man in Marzahn in einer Landschaft, die Wald, Wasser und Steine harmonisch vereint. Statt Blumenfülle gibt es da gemaserte runde Felsen zu bewundern. Die steinerne Pracht hatte es dabei nicht weit in den „Seouler Garten“ von Marzahn, sie stammt aus dem Lausitzer Tagebau. Dass auch Gelehrte essen, zeigen die Tontöpfe neben dem „Haus der einsamen Freude“. Wie in einer Art Kühlschrank wurden darin Speisen aufbewahrt. Wer Eon Jeok Lee sprechen wollte, musste oft tagelang warten. Dazu ist in einem der Höfe eine Liegestatt vorgesehen. Auch Schutzgeister gibt es dort. Die hohen Totempfähle verraten, dass sich der Gelehrte nicht nur auf Konfuzius und Buddha verließ, sondern auch dem volkstümlich schamanischen Glauben an die Welt der Geister huldigte.

Ein dienstbarer Marzahner wacht dann im japanischen „Garten des zusammenfließenden Wassers“ mit Argusaugen darüber, dass dort auch ja keiner vom vorgeschriebenen Weg abkommt und den Kies durcheinander bringt. Der weiße, wellenförmig geharkte Kies stellt das Meer in dem Teil des Gartens dar, der im Stil einer so genannte Trockenlandschaft angelegt ist, also aus Stein gestaltet. Sogar einen steinernen Wasserfall gibt es, aber auch sanft geschwungenen grünen Rasen und samtene Rosen. Besinnlich stimmt der Rundgang durch die hügelige fernöstliche Landschaft, die der Tokioter ZenPriester Shunmyo Masuno anlegte. Wie das zusammenfließende Wasser sollen die Spaziergänger darin friedlich zueinander finden.

Wer es in Marzahn an einem Tag von Bali, Korea und Japan auch noch nach China schafft, kann sich dort in der Weite des „Gartens des wiedergewonnenen Mondes“ dann auch kulinarisch erholen. Am idyllischen See des mit 2,7 Hektar größten chinesischen Gartens Europas kann man sich im und vor dem „Berghaus zum Osmanthussaft“ an einem Glas „Schwarzem Drachen“ laben und dazu „Ehefrau-Kuchen“ genießen – so heißt auf der Karte eines der Angebote. An einem anderen Pavillon gibt es zum chinesischen Imbiss auch Tsingtao Beer. Dem mischen die Chinesen auch ihr Hauptnahrungsmittel bei: Reis. Peking schenkte Berlin den „Garten des wiedergewonnenen Mondes“. Eine Brücke zwischen Ost und West soll er sein – der Name steht für die Wiedervereinigung der geteilten Stadt. Dafür wurden 100 Seecontainer kostbare Hölzer, Steine, Felsen, Skulpturen und Möbel aus China nach Marzahn gebracht, wo seit kurzem auch ein steinerner Konfuzius in Überlebensgröße eine seiner Weisheiten verkündet: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

Das würde man dann gern den Jugendlichen empfehlen, die es an diesem Vormittag in den orientalischen „Garten der vier Ströme“ verschlagen hat. Etwas zu ungebärdig bewegen sie sich in dem von vier Meter hohen Sandsteinmauern umgebenen Gartenhof. Der Riyâd, so heißt er im Orient, ist als Oase, als Paradies und Quelle nach der Tradition islamischer Gartenbaukunst angelegt. Arkadengänge spenden Schatten, Trinkwasserbrunnen löschen den Durst, und das Auge badet im berauschenden Anblick von Fontänen und Wasserspielen, labt sich an der Blütenpracht schwer daran tragender Rosen, an Jasmin, Zitrusfrüchten, Kräutern und Zypressen – ein Paradies zum Sehen und zum Riechen ist es. Und für ein blutjunges russisches Ehepaar an diesem heißen Tag die exotische Kulisse traumhafter Hochzeitsfotos aus dem Orient – mitten in Marzahn. 2007 gibt es noch mehr Fotomotive: Dann sollen zu den “Gärten der Welt“ noch ein italienischer Renaissancegarten, ein englischer Irrgarten und ein französisches Labyrinth gehören.

Heidemarie Mazuhn

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