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Ausgelungert: Wilde Zeiten im Roten Rathaus

Früher war alles anders, auch die letzte Runde der Koalitionsverhandlungen. Während in der Vergangenheit Journalisten noch bis spät in die Nacht vor den Türen des Sitzungssaals herumlungerten, bleibt das Rathaus diesmal des nächtens verrammelt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Montepulciano, Jahrgang 1997, wurde zu früh geköpft. In grauer Vorzeit war das, als die Journalisten im Roten Rathaus noch nicht von einer codegeschützten Sicherheitsschleuse vom Olymp der Macht getrennt waren. Als Klaus Wowereit und Gregor Gysi anno 2001 die erste rot-rote Koalition aushandelten, menschelte es an jeder Ecke. Die Unterhändler beider Parteien mussten sich auf dem Weg zum Klo an Kameras und Mikrofonen vorbeidrängen. Um Mitternacht ließ Bildungssenator Klaus Böger drei Kisten Rotwein aus dem Kofferraum seines Autos holen, um auf den Erfolg anzustoßen, der aber noch drei Stunden auf sich warten ließ. Denn beide Seiten verbissen sich auf einmal in steuerpolitische Fragen, die unauflösbar schienen, während Wowereit schon vom fest gebuchten Urlaub in der Karibik träumte. Nichts blieb in diesen Stunden verborgen.

Und während sich die Unterhändler der Parteien munter ein Glas nach dem anderen hinter die Binde gossen, lungerten todmüde Zeitungs- und Rundfunkredakteure im Flur herum, mit wachem Blick auf die Türen des Sitzungssaals und der Toilette, sie spielten Skat oder kauten auf einer kalten Pizza herum. Um drei Uhr in der Nacht flogen die Türen auf, es war vollbracht, und die Reporter mit den grauen Gesichtern und kleinen Augen konnten von sich behaupten, Zeugen der Zeit zu sein. Und heute? Das Rathaus wird verrammelt, bleibt nächtens eine medienfreie Zone. Stattdessen wird gesimst: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abschlussrunde hat begonnen. Eine Unterrichtung der Presse erfolgt morgen um zehn Uhr. Immerhin live und in 3D. Aber das richtig gute Feeling ist das nicht.

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