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Berlin: Ausgetrickst

Sie gaben sich als Polizisten aus und beklauten Frau S. in ihrer Wohnung. Einer von 670 Trickdiebstählen. Aber Frau S. ist Malerin und hat gute Augen

Die junge Frau ist hübsch. Hat so eine gewinnende Art. Ob sie ihr beim Treppensteigen behilflich sein könne, fragt sie. Frau S. ist achtzig. Sie geht am Stock, langsam, hat ein künstliches Hüftgelenk. Sie lehnt dankend ab. Sie ist schockiert über das, was der eine der beiden Kriminalpolizisten berichtet, die zusammen mit der freundlichen jungen Frau im Treppenhaus sind. Man habe vor ihrem Haus zwei Frauen festgenommen, die haben vermutlich bei ihr eingebrochen. Wie sie heiße und wo genau sie wohne, fragt der Wortführer. Frau S. hat nur einen Gedanken: sofort in die Wohnung und gucken, ob alles in Ordnung ist.

Auf dem Weg zwei Treppen hoch erzählt der Wortführer, sie seien Zivilfahnder, die Kriminalpolizei sei unterwegs, man müsse sich beeilen, weil die dann Spuren sichern, und da dürfe man nichts mehr anfassen. Frau S. schliesst in heller Aufregung auf. „Ist ja alles so, wie ich es hinterlassen hatte vor dem Einkaufen“, sagt sie. Niemand geht darauf ein. Man müsse sofort prüfen, ob was fehlt, drängt der Wortführer energisch. Wo sie ihre Wertsachen aufhebe. „Der hatte etwas sehr Aggressives“, erinnert sie sich ein Jahr später, „ich könnte mir denken, dass der furchtbar unangenehm werden kann.“

Aber sie will ja selbst unbedingt wissen, ob etwas weg ist. Nein, die Schmuckkästchen stehen im Schrank. Auch die kleine Ledertasche scheint unangetastet, die Papiere sind alle drin, auch die 2000 Euro, die ihr die Dame von der Sparkasse an dem Morgen erst nach Haus gebracht hatte. Die sollten für länger reichen.

Frau S. sieht erleichtert die beiden Zivilfahnder an. Aber wo ist überhaupt denn die junge Frau? Irgendetwas stimmt hier doch nicht. Die Überlegung: Was mache ich denn, wenn die gar keine Polizisten sind? Sie sieht das Telefon. Wen ruft man denn an in so einem Fall? Den Herrn, der in der Philharmonie neben ihr sitzt? Der war früher bei der Polizei. Bringt sie nach der Vorstellung immer bis ans Taxi. Sie hat seit Jahren ihre feste Taxifahrerin. Die holt sie von der Haustür ab und bringt sie auch wieder zurück.

Frau S. ist eine vorsichtige Frau. Sie würde nie jemandem aufmachen, den sie nicht kennt. Aber die hier sind schon drin – kriegt man die wieder raus? „Wenn ich den Hörer nehme, der braucht mich doch nur anzutippen, ich falle um und kann wahrscheinlich nicht wieder aufstehen“, schießt ihr durch den Kopf. Lieber stillhalten. Und dann sind alle drei weg. Genau so abrupt, wie sie aufgetaucht waren.

„Trickdiebstahl in Wohnung“ heißt das Delikt, das Frau S. an einem Montag im Juli 2003 mitten am Tage traf. Das Berliner Landeskriminalamt hat dafür ein eigenes Kommissariat. 670 Fälle hatten die Mitarbeiter des LKA 444 in dem Jahr zu ermitteln. Gesamtschaden: mindestens 1,5 Millionen Euro. Die Dunkelziffer gilt als sehr hoch. Mit durchschnittlich 800 bis 900 Fälle jährlich rechnet der Erste Kriminalhauptkommissar Hans-Ulrich Tügend. Seit dem Ausreißer im Jahr 2000 mit 1230 angezeigten Taten ist die Kurve ebenso rasant wieder gefallen: von 1150 (2001) über 990 (2002) auf gut die Hälfte. 2003 wurden 38 Prozent der Fälle aufgeklärt.

Die Taten selbst sind scheußlich. Was sie für die Opfer bedeuten, kriegen Polizisten unmittelbar mit. Sie sehen die Wohnungen, können die Hilflosigkeit mit Händen greifen. Die Ermittlungen sind kompliziert. „Es sind fast alles Serientaten und etwa die Hälfte der Täter sind reisende Täter“, erklärt Tügend. „Die kommen für ein, zwei Wochen nach Berlin, um diese Straftaten zu begehen, die Aufenthaltsorte sind also nicht leicht herauszufinden.“ Es sind fast ausschließlich Sinti oder Roma. Und die schotten sich oft ab. Informationen über einzelne Familienmitglieder sind kaum zu haben, aber die Familie ist umgekehrt sofort informiert, wenn einzelne Mitglieder aufgeflogen sind. Organisierte Banden sind aber umgekehrt auch effektiv auszubremsen, jedenfalls kurzfristig. „Wenn so ein Trupp aufgeflogen ist, reißt oft eine ganze Serie plötzlich ab, die Masche bleibt eine Zeit lang unbenutzt.“ Oder wird in andere Städte verlagert. Oder um neue Nuancen erweitert.

Der modus operandi ist einer der wichtigsten Hinweise für die Ermittler. Mit welcher Legende erschleichen die Täter sich den Zutritt zur Wohnung und die Information über die Wertsachen? Die Opfer sind immer alte Menschen, meistens Frauen, da macht sich eine „Amtsperson“ gut. Gasag, Bewag, Telekom. Die wollen irgendwas ablesen oder kassieren oder zurückzahlen. Auch Klempner, die einen Wasserrohrbruch suchen, weil es in der Wohnung drunter schon von der Decke tropft. Und eben Polizisten.

Trickdiebinnen dagegen sind spezialisiert auf die Methode „Zetteltrick“. Sie klingeln an einer Wohnungstür, weil sie zur Toilette müssen oder ein Glas Wasser brauchen. Oder eben einen Zettel, auf dem sie einer Nachbarin etwas hinterlassen wollen. Die angeblich nicht da ist. Die doch aber schnell eine Nachricht haben soll. Und weil die junge Frau doch so schlecht Deutsch kann – ob man ihr nicht den Zettel schreiben könnte? Vielleicht setzt man sich dazu in die Küche an den Tisch, in Ruhe? Dass durch die immer noch offene Wohnungstür Komplizinnen kommen und die Schränke leer räumen, fällt den meisten Opfern im Traum nicht ein. Alte Frauen sind froh, wenn sie auch mal jemandem helfen können.

Mit „Zetteltrick“-Variationen kommt fast die Hälfte der Täter in Wohnungen, als Behördenmenschen und Handwerker 20 und als Polizisten 15 Prozent.

Die Ermittlungen sind auch wegen der Opfer-Zeugen schwierig. Dass sie bestohlen wurden, fällt vielen alten Menschen oft erst so spät auf, dass sie fehlende Wertsachen und diese Episode neulich mit dem Zettel oder dem Wasserrohr gar nicht verknüpfen. Und selbst wenn – wie beschreibt man Personen, die man vor lauter Aufregung kaum gesehen hat? Und soll man wirklich die Polizei einschalten? Wenn die Kinder das erfahren! Die sollten die Wertsachen doch mal erben.

Auch bei der justiziellen Aufarbeitung haben schwache alte Opfer keine guten Karten. Die Gerichte sind überlastet. Manchmal dauert allein eine Anklageschrift solange, dass sie inzwischen sterben. Der Körper hat den Schock nicht mehr verkraftet. Oder sie sollen vor Gericht aus einer Gruppe von vierzehn Männern genau den wieder erkennen, der sich vor Monaten in ihre Wohnung geschwatzt hat. Juristisch ist die Sache auch knifflig. War es einfacher oder schwerer Diebstahl? Bandendiebstahl? Organisierte Kriminalität?

Frau S. hat die ganze Sache umgehauen. Verzögert, wie bei vielen traumatisierenden Erlebnissen. Zuerst hat sie die Polizei gerufen. Kriminaloberkommissar Andreas Przygodda und ein Kollege „haben alles zu Protokoll genommen. Handschriftlich. Das hat Stunden gedauert. Nachts im Bett kommt die Panik. Mein Herz hat dermaßen geklopft, dass ich nur dachte: Wenn ich um Himmelswillen keinen zweiten Infarkt kriege.“ Das Herz hält durch. Als erstes bringt sie alle restlichen Wertsachen in ein Schließfach. Dann macht sie sich an die Arbeit. Sie zeichnet Phantombilder der drei, die sie beklaut haben. Frau S. ist nämlich Zeichnerin und Malerin.

Als Bühnenbildnerin hatte sie angefangen. Danach zeichnet sie zehn Jahre lang für die Tiefdruck-Sonntagsbeilage des Tagesspiegels, hat Ausstellungen und illustriert Bücher. Ihre 150 Originalzeichnungen von 1974/75 zum Romanwerk von Theodor Fontane sind heute im Fontanezentrum in Neuruppin zu sehen.

„Sie war eine Idealzeugin“, sagt Przygodda fasziniert. Das zeigt sich nur einen Monat später, als die Täter verhaftet werden. „Die eine Kriminalbeamtin hat mich sogar gefragt, ob ich nicht für die Polizei zeichnen will“, sagt Frau S. und lacht. Als sie dann auch noch die ihr liebsten zwei Dutzend Schmuckstücke aus der Erinnerung aufgemalt hat, geht ihr regelrecht die Puste aus. Sie hat plötzlich offene TBC. Zweimal liegt sie damit im Krankenhaus. Heute ist die Krise überwunden. Frau S. hat ihr Leben den neuen Bedingungen angepasst. Ihre Wohnung verläßt sie nur in Begleitung, weil sie jemanden braucht, bei dem sie sich einhaken kann. Vom Schmuck, der über 9000 Euro wert war, ist bisher noch kein Stück wieder aufgetaucht, die 2000 Euro Bargeld sind weg. Aber es gibt schlimmere Verluste als materielle. Selbstvertrauen und eigene Würde. Deren Wiederherstellung, sagt sie, verdankt sie auch der Richterin. Frau S. wollte unbedingt vor Gericht aussagen, gegen den Rat ihrer Ärzte. Von der Richterin habe sie sich ernst genommen gefühlt. „ Ja, das hat mir gut getan.“

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