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Licht ins Leere. 48 Fotos zeigen den Alltag eines Blinden.

© Jörg Tretow

Ausstellung im Dunkelrestaurant "Nocti Vagus": 48 Fotos zeigen den Alltag eines Blinden

Am Sonntag eröffnet die Ausstellung "Mit den Augen eines Blinden" im Dunkelrestaurant. Die Arbeiten stammen von einem der Mitarbeiter.

Die Sonne scheint auf die silbernen Stühle, die im Hinterhof der Saarbrücker Straße 36 in Mitte stehen. Hier, im Außenbereich des „Nocti Vagus“ ist es hell, während im Innern des Restaurants absolute Dunkelheit herrscht. Das gehört zum Konzept des Lokals, in dem der Gast nur schmecken, riechen, hören und tasten kann. Blinde oder stark sehbehinderte Menschen sind hier für den Service zuständig. Am Sonntag öffnet im Restaurant nun eine ungewöhnliche Fotoausstellung. Die Arbeiten stammen von einem der Mitarbeiter.

„Es geht darum, einen Ausschnitt aus meinem Alltag zu zeigen“, sagt der 38-Jährige Jörg Tretow, für den Fotografie ein komplett neues Feld ist. Tretow kam als Frühchen zur Welt, infolge von zu hoher Sauerstoffzufuhr verlor er sein Augenlicht. Seit seinem fünften Lebensjahr wuchs Tretow in der Schule für Blinde und Sehbehinderte in Königs Wusterhausen auf, zurzeit lebt er in einer Wohngemeinschaft in Potsdam.

Für seinen Job als Kellner im „Nocti Vagus“ muss der studierte Übersetzungswissenschaftler regelmäßig pendeln. Diese Lebensrealität soll in seiner Fotoausstellung „Mit den Augen eines Blinden“ gezeigt werden. Zwei Wochen lang hat Tretow mit einer Kamera seinen Alltag dokumentiert. Entstanden sind 48 Schwarz-Weiß-Fotos, die mal Bahnhöfe, mal ein Zugfenster oder auch nur den nackten Boden zeigen.

Darstellung von Blinden in der Gesellschaft

Auf manchen Bildern schauen Fotografierte überrascht in die Kamera. „Für mich war es spannend zu erfahren: Wie klein ist die Welt eigentlich für Jörg und wie groß ist sie für uns Sehende?“, sagt die Kunstfotografin Antje Schulz. Die 43-Jährige hatte die Idee zu dem Foto-Experiment, führte Tretow an die Kamera heran und traf die finale Bildauswahl. Für Tretow taten sich vor allem dort die Unterschiede auf: „Als mir eine sehende Bekannte mal im Detail erzählt hat, was sie so alles sieht, wurde mir schon klar, wie viele Informationen uns Blinden eigentlich fehlen.“

Licht ins Dunkel. Tretow an seinem Arbeitsplatz im „Nocti Vagus“.
Licht ins Dunkel. Tretow an seinem Arbeitsplatz im „Nocti Vagus“.

© Doris Spiekermann-Klaas

Gearbeitet habe Tretow vor allem anhand der Akustik, passende Motive habe er erhört, erspürt und dann draufgehalten. „Ich mag Menschen und volle Plätze“, sagt er. Gerade dort würden sich Bilder herauskristallisieren. Seine Fotografien sollen die Sehenden dafür sensibilisieren, dass sie sich in der gleichen Umwelt bewegen wie die Nicht-Sehenden: „Ich kann zwar nicht für alle Blinden sprechen, aber es gibt keine Welt der Blinden. Wir alle leben in ein und derselben.“

Ihn störe vor allem die Darstellung von Blinden in der Gesellschaft: „Entweder man ist ein behindertes Opfer oder man ist ein behinderter Superman. Dazwischen gibt es nichts.“ Dieses Normale, Alltägliche, das Dazwischen wolle er nun mit seinen Fotografien zeigen: „Am Ende warten wir alle auf die Bahn", sagt Tretow und lächelt. Ob er weitermacht, weiß er noch nicht: „Es gibt Dinge, die ich als Blinder interessanter finde.“ Schreiben zum Beispiel.
„Mit den Augen eines Blinden“ öffnet am Sonntag um 16 Uhr im Dunkelrestaurant „Nocti Vagus“, Saarbrücker Straße 36-38, 10405 Berlin und läuft bis zum 31. August. Geöffnet ist von 16 bis 23 Uhr

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