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Autobahn: Hoffen bis zuletzt

Die Autobahn nach Schönefeld ist gerade fertig, da geht schon die nächste an den Start: die Verlängerung der A 100 vom Dreieck Neukölln bis zum Treptower Park. 2010 ist Baubeginn. Die vom Bau bedrohte Kleingärtner und Hausbesitzer reagieren unterschiedlich.

Ab 2010 wird die A 100 nach Treptow verlängert. Ab 2016 dürfen dann geschätzte 100.000 Fahrzeuge täglich auf sechs bis acht Spuren über 100.000 Quadratmeter – das sind rund 14 Fußballfelder – modernsten Flüsterasphalt rollen. Wir haben die geplante Trasse, 3,2 Kilometer lang, schon mal abgelaufen und geprüft, ob etwas Wichtiges im Weg steht.

Bis zur Sonnenallee ist kein größerer Verlust erkennbar. Das Territorium von zwei Verleihfirmen wird sie durchkreuzen, ein paar gesichtslose Fabrikbauten verschlingen und die weithin sichtbare Möbelhalle von „Hütter’s Welt“ zum Einsturz bringen. Die Stadtautobahn verschwindet auf den ersten 400 Metern gar in einem Tunnel, dessen Notwendigkeit nicht ersichtlich ist. Die längste Strecke verläuft in einem offenen Trog, vier Meter tief und 30 bis 40 Meter breit.

Die neue McDonald’s-Filiale an der Sonnenallee ist schon so platziert, dass sie als Autobahnraststätte nutzbar ist, natürlich mit „Drive-in“. Auf der nördlichen Seite soll irgendwann der „Estrel-Parc“ entstehen, die Erweiterung des Hotel- und Kongresszentrums. Dass die neue Autobahn relativ nah an das Hotelgelände rückt, sieht man im Estrel-Management überwiegend als Vorteil. „Damit sind wir noch besser angebunden“, sagt Pressesprecherin Mihaela Djuranovic.

Auf eine größere Zahl ruhebedürftiger Menschen trifft die geplante Trasse erst hinter der Sonnenallee. Ein verwittertes Schild im Stil Harzer Landschaftswegweiser macht auf die Kleingartenkolonien „Friedenstal“, „Treue Seele“ und „Weißer Stern“ aufmerksam, Letztere ist gerade 100 Jahre alt geworden.

Ein Hahn kräht. Er gehört zur Kleinstlandwirtschaft von Horst Gräßner, einem 73-jährigen Ur-Neuköllner. Dass seine Gemüsebeete bald von Autoabgasen umwölkt sein werden, will er sich nicht wirklich vorstellen. „Das mit der Autobahnplanung geht ja schon ewig. Man spricht schon gar nicht mehr drüber.“ Seinen Eltern, die nach dem Krieg auf der Parzelle ackerten, sei immer gesagt worden: „Macht euch nicht zu dicke. Wenn die Fabrik sich mal vergrößert …“ Irgendwann zog die angrenzende Fabrik dann weg.

Protestieren gegen die Autobahn wie die Grünen und Umweltverbände will Horst Gräßner nicht. „Man kann nicht immer jegen den Strich jehen.“

Die Gärten am Weg „Unter den Linden“ sind kleine Miniaturparadiese, mit Briefkästen im Hüttendesign, dekorativen Figurenfamilien an plätschernden Teichanlagen, Magnolienbäumen und gestutzten Rasenkanten. So wie sie sich ihre Welt wünschen, haben die Laubenpieper sie nachgebaut. Autobahnen kommen darin nicht vor.

300 dieser Wunschwelten werden untergehen, wenn die Bagger kommen. Elf Kolonien müssen ganz oder teilweise aufgeben. Die Stimmung ist wie im Lausitzer Braunkohlerevier. Willi Schankweiler, 63, ein Mann mit rundem Bauch, ehemaliger Maurer. Seine 400 Quadratmeter in der Kolonie „Schmidt’s Ruh“ , auf denen er seit 1999 Treibhäuser und Beete angelegt hat, muss er räumen. Damit geht sein Laubenleben zu Ende. Ein neues Gartenglück aufbauen, dafür fühlt er sich zu alt.

An der „Kantine Helmutstal“ nördlich der Dieselstraße hängt die Vereinsfahne schon auf Halbmast, mit Trauerflor.

Sabine Kreisel, die am alten Treptower Güterbahnhof siedelt, hofft, „dass denen noch das Geld ausgeht“. Bis dahin sucht sie nach seltenen Eidechsen, die unter Artenschutz stehen. Damit könnte man die Planung vielleicht noch aushebeln, hofft sie.

Wenn die Autobahn die Kiefholzstraße unterquert, wird sie auch das Grundstück von Mohammed Abdallah, einem libanesischen Autohändler, verschlingen. Herr Abdallah ahnte davon bis heute noch nichts, findet es aber nicht weiter schlimm. „Es ist egal, wo ich bin. Der Verkauf läuft über das Internet.“ Seine Kollegen nebenan sehen das genauso. Autohändler sind das Nomadenleben gewohnt. Sie lassen sich kampflos vertreiben.

Die Bagger werden sich weiter durchs Erdreich wühlen, unter dem Viadukt der Ringbahn hindurch, in einer leichten Rechtskurve Gewerbehöfe und Kleingärten niederwalzend, bis sie auf eine massive Barrikade stoßen, die Häuser der Beermannstraße. Vier von ihnen müssen weg.

Am Vorderhaus der 22 fehlen schon drei Balkone, Farbe und Putz blättern, die Miete wurde seit acht Jahren nicht mehr erhöht, erzählt Hinterhausbewohner Christian Hunter. Darüber ist er sehr froh. Der Schriftstellerberuf wirft nicht so viel ab, wie er sollte. Hunter findet das Haus und seine Bewohner „ganz urig“. Deshalb will er „bis zum Schluss“ hier wohnen bleiben. Schade, sehr sogar, wäre es um das Haus, sagt Hunter.

Wäre es auch schade um die Matthesstraße? Das Schicksal der kurzen schmalen Pflasterstraße, benannt nach Wilhelm Matthes, dem Gründer der Freiwilligen Feuerwehr Treptow, ist den meisten völlig unbekannt. Früher muss es hier mal Häuser gegeben haben, jetzt parken nur noch Autos. Die Matthesstraße wird komplett überbaut und aus dem Stadtplan getilgt. Archäologen werden vielleicht in 1000 Jahren auf die Relikte stoßen.

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