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Erst bauen, dann fahren. Arbeiter montieren die Leitplanken der neuen Autobahn Berlin-Hamburg bei Barsbüttel in Schleswig-Holstein. Foto: Lothar Heidtmann/dpa

© dpa

Autobahngeschichte: Als Hamburg ein Stück näher rückte

Heute vor 30 Jahren wurde der letzte Teil der Transitautobahn nach Norden eröffnet. Für Radfahrer gab es aber eine schlechte Nachricht: Sie durften nicht mehr durch die DDR.

Der junge Mann aus West-Berlin hatte es fast geschafft: Alles wie immer auf der Fahrt über die Transitautobahn nach Hamburg, der erste Kontrollposten der DDR-Grenzer bereits in Sicht, da plötzlich auf der Standspur ein Polski-Fiat mit polnischem Kennzeichen, daneben der Fahrer, um Hilfe winkend. Also rechts ran, nach dem Problem gefragt: Benzin alle. Dank gefülltem Kanister eine Kleinigkeit, schnell behoben  und tschüss.

Denkste! An der Kontrollstelle wurde die Fahrt des hilfsbereiten Westlers jäh gestoppt: Warum er angehalten habe? Ob er nicht wisse, dass dies verboten sei? Es blieb zum Glück bei strengen Ermahnungen, eine nur kurze Unterbrechung der Fahrt – und doch: Das mulmige Gefühl, das viele Reisende auch nach jahrelanger Transitroutine nie ganz verließ, war mal wieder bestätigt worden.

Auch solche Erinnerungen gehören zu einem Tag wie diesem: Genau 30 Jahre ist es am heutigen Dienstag her, dass das letzte Teilstück der neuen Transitautobahn nach Hamburg eröffnet wurde und West-Berlin damit ein erhebliches Stück näher an den bundesdeutschen Norden rückte. Vier Strecken standen zuvor für den Weg von und nach West-Berlin offen: die beiden Autobahn-Verbindungen zwischen Dreilinden/Drewitz und Helmstedt/Marienborn in Richtung Westen, nach Herleshausen/Wartha in Richtung Südwesten, nach Rudolphstein/Hirschberg im Süden sowie die Fernstraße F 5 zwischen Staaken und Lauenburg im Nordwesten. Waren schon erstere nicht gerade eine Erholung, so blieb die F 5 eine Tortur, schlecht ausgebaut, mit zahlreichen engen Ortsdurchfahrten. Bis zu fünf Stunden dauerte die Fahrt nach Hamburg. Auch musste man nachts immer mal wieder mit nur mäßig oder gar nicht beleuchteten Armeelastern oder Panzern rechnen. Marschierende Rotarmisten wurden den Reisenden aus West-Berlin in der Regel schon bei Dallgow geboten. Kasernen säumten dort den Weg.

Aber damit war am 20. November 1982 Schluss, jedenfalls weitgehend. Für eine gemeinsame Eröffnungszeremonie reichte die innerdeutsche Annäherung noch nicht aus: Bundesverkehrsminister Werner Dollinger (CSU) eröffnete in Witzhave (Schleswig-Holstein) das letzte West-Teilstück bis zur Grenze in Gudow, sein Amtskollege Otto Arndt (SED) vollzog den feierlichen Akt auf DDR-Seite bei Zarrentin, erst danach traf man sich in Gudow und dinierte anschließend in der Raststätte Stolpe in Mecklenburg. Parallel gab West-Berlins Bausenator Ulrich Rastemborski (CDU) den neuen Übergang in Heiligensee frei, von dem die Transitreisenden aber noch nichts hatten: Dank erheblicher, auch vor Gericht vorgetragener Proteste von Anwohnern und Naturschützern war die innerstädtische Anschlussstrecke durch den Tegeler Forst nicht rechtzeitig fertig geworden, der Übergang blieb auf Jahre vor allem dem Transit in Drittländer und dem Besucherverkehr in die DDR vorbehalten, die Transitreisenden mussten sich weiter durch den Übergang Heerstraße und über die alte F 5 quälen, bis sie östlich von Nauen auf den Berliner Ring stießen. Aber von dort ging es flott voran, bei Groß-Ziethen auf die 1978 fertiggestellte Autobahn nach Rostock und ab dem Dreieck Wittstock immer auf Hamburg zu. Diese neue Streckenführung kam auch den Autofahrern aus dem Nordwesten der DDR zugute, für die Berlin zuvor ja ebenfalls nur mühsam zu erreichen war.

Auf Spandauer Seite ist die alte Grenzanlage durch Fahrbahnmarkierungen und das alte Zollgebäude noch gut erkennbar, auch an der ehemaligen Kontrollstelle Stolpe lässt sich das DDR-Grenzregime noch halbwegs erahnen. Nicht mehr im kollektiven Bewusstsein präsent ist dagegen der Name „Vetter-Knie“. So wurde die Umfahrung der dortigen Polizeikaserne an der Abfahrt Schulzendorfer Straße genannt, nach dem damaligen Umweltsenator Horst Vetter (FDP), einem Befürworter des Kompromisses im Tegeler Forst.

Der Streit um den innerstädtischen Anschluss der Autobahn waren die letzten Turbulenzen um eine uralte Planung. Schon 1926 hatte es Pläne für eine Autobahn zwischen Berlin und Hamburg gegeben, seit 1938 wurde gebaut. Trassen wurden freigeschlagen, 17 Brücken entstanden. 1940 stellte man die Arbeiten ein, die Trassen wuchsen wieder zu.

Erst 1978 vereinbarten Bundesrepublik und DDR den Bau der neuen Autobahn, weitgehend auf der Urstrecke, was nicht nur in West-Berlin, sondern ebenso im Bereich des Sachsenwaldes östlich von Hamburg Proteste auslöste. Erfolg hatten sie weder hier noch dort, immerhin wurde die Berliner Teilstrecke, die erst Ende 1987 fertig wurde, zunächst als Bundesfernstraße deklariert, mit entsprechend geringerem Straßenquerschnitt.

Gekostet hat die Strecke 1,72 Milliarden DM, bezahlt vom Westen. Der Ost-Kilometer verschlang im Durchschnitt elf Millionen DM, die gleiche Weststrecke sechs Millionen. Das läge „am System der DDR“, erklärte schulterzuckend der Ständige Vertreter Bonns in Ost-Berlin, Hans Otto Bräutigam, auf kritische Fragen.

Die neue Autobahn hat aber den Transitverkehr nicht nur erleichtert, sondern zugleich auch begrenzt. Zuvor war es zulässig, für die Strecke zwischen Hamburg und Berlin das Fahrrad zu wählen. Mit der neuen Autobahn entfiel das.

Die Autobahn nach Hamburg ist auch das Thema des Buches von Hans-Jürgen Mielke: "Die Autobahn Berlin-Hamburg. Politik und Geschichte erfahren" (Projekte-Verlag Cornelius, 132 Seiten, 29,50 Euro)

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