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Berlin: Ballermann & Söhne

Für viele Händler ist der Verkauf von Silvesterkrachern Familiensache. Der Einkauf auch: Mütter shoppen für Kinder und große Brüder für kleine

Von Sandra Dassler

Von Sandra Dassler

Erkan und seine sechs Freunde geben die Hoffnung nicht auf. Seit Stunden versuchen die Zehn- bis Zwölfjährigen, an Silvesterknaller zu kommen. Bei Denis und Yulian sind sie schon mehrfach abgeblitzt. „Wir kennen die Vorschriften und wissen, dass wir nicht an Kinder verkaufen dürfen“, sagt der 20-jährige Denis. Sein Freund Yulian fügt hinzu: „Das Gewerbeamt hat uns heute schon kontrolliert. Aber wir halten uns an die Gesetze.“ Denis und Yulian leisten gerade ihren Wehrdienst beim Bund, zurzeit sind sie auf Weihnachtsurlaub. Der 19-jährige Yulian hatte Anfang Dezember die Idee, ein leer stehendes Geschäft seines Onkels in der Potsdamer Straße für den Verkauf der Feuerwerksartikel zu nutzen. „Mein Onkel war einverstanden, wir müssen nicht mal Miete zahlen. Die Anmeldung beim Bezirksamt Mitte kostete 26 Euro – das ging ganz unbürokratisch und schnell.“ Denis und Yulian haben sich mit den Vorschriften vertraut gemacht: Im Schaufenster dürfen nur leere Packungen liegen, im gesamten Verkaufs- und Lagerbereich ist das Rauchen untersagt, an Kinder unter 18 Jahren dürfen keine Feuerwerkskörper abgegeben und nicht mehr als 300 Kilogramm gelagert werden. Die beiden Freunde haben beim Großhandel eingekauft und insgesamt 2400 Euro investiert. Wenn sie alles los werden, haben sie ungefähr 1200 Euro Gewinn gemacht. Das wäre nicht schlecht, finden sie, aber die Konkurrenz ist groß.

Nur wenige Meter weiter verscheuchen die Verkäuferinnen von „Mäc Geiz“ zum wiederholten Mal knallwütige Kinder. Wegen des Feuerwerksverkaufs unter dem sinnigen Motto „Wir lassen’s krachen“ hat der Laden am gestrigen Montag schon um 8 Uhr geöffnet. Gelohnt hat sich das nicht so richtig. Schließlich gibt es die Böller noch bis Mittwoch 14 Uhr. Warum also so früh aufstehen?

Am Birlik-Market schräg gegenüber verspricht ein großes Schild über Radieschen, Blumenkohl und Nüssemix das „Feuerwerk zum Hammerpreis“. Bei Woolworth versperren drei, vier Mütter mit Kinderwagen den Eingang. Gleich dahinter befindet sich seit gestern der Stand mit den Silvesterknallern. Zwei Verkäufer füllen ständig nach. „Wir sind sicher, dass wir in diesem Jahr mindestens genauso viel verkaufen werden wie im vergangenen“, sagt Verkaufsleiter Detlef Matuszewski. Der Andrang scheint ihm Recht zu geben. Unter den kritischen Augen eines eigens engagierten Security-Manns prüfen türkische, deutsche und russische Großfamilien die Angebote. Betasten Kartons, vergleichen Preise und ziehen mit gefüllten Tüten von dannen. „Mag sein, dass die Leute beim Weihnachtseinkauf gespart haben – beim Silvesterfeuerwerk werden sie es nicht tun“, prophezeit Verkaufsleiter Matuszewski.

Murad, der in der Kreuzberger Schönleinstraße hinter einem langen Tisch mit Böllern und Raketen steht, ist da anderer Ansicht. „In diesem Jahr haben wir noch nicht viel verkauft“, sagt er, um gleich hinzuzufügen: „Also ich verkaufe ja nicht, ich helfe nur meinem Onkel und einem Freund, denn ich bin erst 16.“ Auch Murads Onkel hat für den alljährlichen Böllerboom ein normalerweise leer stehendes Geschäft eingerichtet. Gleich neben dem Sex-Shop Dacapo weisen prall aufgeblasene Raketen den Weg zu dem kleinen Laden. Schaufel und Besen stehen noch in der Ecke, künden davon, dass der Verkaufsraum nur provisorisch hergerichtet wurde. Belinda T. stört das nicht. Sie kennt den Laden, obwohl sie – wie sie ein wenig verschämt erzählt – selbst wenig Gefallen an der Knallerei findet: „Ich kaufe die Sachen nur für meine zwei Männer“, sagt sie, „der große ist 40 und muss dieses Jahr zwischen den Feiertagen arbeiten. Der kleine ist erst 14 und kann demzufolge noch keine Böller kaufen.“

Ein Junge betritt den Laden. „Ich möchte die Irrlichter“, sagt er. „Wie alt bist du?“, fragt Murads Freund. „Acht“, antwortet der Junge. „Aber die Irrlichter sind doch für Kinder, oder?“ Murads Freund schüttelt den Kopf: „Hier ist nichts für Kinder. Da musst du deinen Papa mitbringen.“ „Aber der ist doch in der Türkei“, sagt der Achtjährige traurig.

Gewerbehauptkommissar Ralph Wagner, der als Polizeiführer für die Überwachung des diesjährigen Böller-Geschäfts in Berlin zuständig ist, kann sich nur wünschen, dass es überall so korrekt läuft: „Leider erwischen unsere Kollegen aber immer wieder Kinder mit gefährlichen Feuerwerkskörpern. Wir versuchen dann herauszufinden, wo sie die gekauft haben und verhängen gegen die dabei ertappten Händler auch strenge Strafen.“

Letztlich muss die Polizei aber an das Verantwortungsgefühl der Erwachsenen appellieren. Der elfjährige Erkan und seine Freunde aus der Potsdamer Straße haben gestern Abend doch noch eine Packung der von ihnen favorisierten D-Böller ergattert. Irgendein großer Bruder findet sich immer.

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