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Komm, spiel mit mir. Im „Meltdown“ versammeln sich Spieler und Zuschauer zu Gameevents. Fotos: Davids/Fischer, Blizzard/promo (2)

© DAVIDS

Berlin: Bar jeder Realität

Die Europameisterschaft in der Kneipe gucken? Das ist kein Irrtum im Fußballkalender, sondern Trend unter Computerspielern. Eine neue Kneipe lädt zum Public Viewing, wenn andere daddeln.

Fünf große, zwei kleine Bildschirme. Überall blinkt irgendetwas. Ein zerschossenes Hindernis, ein explodierender Gegner – oder nur der Punktestand. Über der Cocktailbar leuchtet die Getränkeauswahl wie in einem Computerspiel auf: Rum, Gin, Whisky, Game over. „Probier‘ den mal“, sagt David Krause und stellt dem Gast einen Schnaps hin, „der ist in unserer Partnerbar in Paris kreiert worden.“ Stephano heißt das dunkle, süße Gesöff mit Wodka. Es ist nach einem französischen Szene-Star benannt.

Krause, 29, steht hinter dem Tresen seiner Neuköllner Kneipe „Meltdown“. Im Februar dieses Jahres war Eröffnung in der Nähe des Hermannplatzes. Es ist eine sogenannte E-Sports-Kneipe – eine Bar, in der man bei Computerspielen gegeneinander antritt. Gleichzeitig läuft ein Public Viewing der großen Spiele der Szene, wie „League of Legends“ und „StarCraft“.

Schon seit Frühsommer 2012 gibt es ein Meltdown in Paris. Nach Berlin sollen nun weitere Filialen folgen, die nächste in London. Der Berliner Betreiber David Krause ist eigentlich Staatswissenschaftler, aber bestens vernetzt in der Gamer-Szene. Schon in der Vergangenheit hat er Spiele-Events veranstaltet. Die Barbesitzer in Paris fragten ihn eines Tages, ob er nicht das Meltdown in Berlin eröffnen will. „Mir war schnell klar, dass ich das machen muss“, sagt er. Vom vielen Flimmern abgesehen, sieht sein Laden wie eine der üblichen hippen Neuköllner Bars aus. Den Putz an den Wänden hat man belassen, die Leitungen liegen offen darüber, es gibt eine gemütliche Sofaecke. Einfache Glühbirnen sorgen für ein wenig Licht. Von außen ist das Design schon auffälliger – direkt hinter den Fenstern ist die Bar mit Brettern vernagelt, als seien hier gerade die Fenster eingeworfen worden. „Cyperpunk“ nennt der Betreiber das ästhetische Konzept. Und „Barcraft“ wiederum heißt das Phänomen, dass Spiele öffentlich in Kneipen geschaut werden – in Anlehnung an StarCraft, das derzeit erfolgreichste virtuelle Strategiespiel der Welt. Es bildet einen komplexen eigenen Science-Fiction-Kosmos, in dem sich etwa Mutanten, Menschen und Außerirdische begegnen – und bekämpfen. In Südkorea, wo das Spiel bedeutender ist, gibt es öffentliche Aufführungen mit bis zu 20 000 Menschen, Fernsehsender übertragen wichtige Turniere. So weit ist es in Europa noch nicht. Aber eine Nationalmannschaft für StarCraft- Spieler gibt es auch hierzulande.

An diesem Abend wird aber eher selbst gespielt, und zwar unter dem Motto „Bring your own noob“ – bring‘ einen Anfänger mit. Neulinge und erfahrene Zocker bilden Teams und tragen ein gemeinsames Turnier aus. Bei den Partys drängen sich hier bis zu 300 Leute, heute sind es nur etwa 40. Dennoch ist es laut im Laden. Die Gäste johlen, grölen und fiebern mit, während sie das Geschehen auf den Bildschirmen verfolgen. Ein junger Mann mit Irokesenschnitt und Dreitagebart steht hinter dem Tresen und kommentiert, wie sich die Anfänger schlagen. „Jetzt greift er noch mal an, es wird spannend“, tönt es aus den Lautsprechern. „Aber er riskiert eine Menge, das wird eng!“ Es hört sich an wie bei einer Fußball-Bundesliga-Konferenz.

Den bleichen Computer-Nerd, der sonst nicht das Haus verlässt, sucht man vergebens. „Mit solchen Vorurteilen haben wir natürlich zu kämpfen“, sagt Krause. „Aber dagegen gehen wir genauso an wie gegen die oft arg klischeehafte Darstellung von Computerspielen in den Medien.“ Der Altersdurchschnitt mag bei 25 bis 30 Jahren liegen. Und fast die Hälfte der Besucher ist weiblich.

Auf dem größten Bildschirm ist der Zwischenstand des Turniers zu sehen. Die Teams nennen sich „Canonfutter“ oder „Vegan Superheroes“. Jetzt steht einer an der Bar, der noch keinen Mitspieler hat. David spricht eine Gruppe an: „Von Euch suchte doch noch jemand ‘nen Mitspieler, oder?“

Aber nicht nur StarCraft oder League of Legends stehen auf dem Programm. Die Abende stehen bisweilen unter einem besonderen Motto. Es gab etwa schon Retro- Nights, bei denen alte Spiele ausgegraben werden. Oder man lädt zum Casual Sunday: Da geht es mehr ums Abhängen als um den Wettkampf. Dann wird vielleicht auch mal das virtuelle Fußballspiel FIFA oder Guitar Hero gezockt. Betreiber Krause ist überzeugt, dass die Spielerwelt auf seine Kneipe gewartet hat: „Die direkte Interaktion scheint vielen wichtig zu sein“, sagt er.

So mancher hier im Meltdown mag vielleicht von einer professionellen Spielerkarriere träumen. Die Stars der Szene, die sich in organisierten Turnieren wie etwa der World Championship Series messen, verdienen zwar nicht so viel wie Fußballspieler, zum Leben aber reicht es. „Die Guten verdienen über 3000 Euro im Monat“, sagt Krause. Und Sponsorenverträge gebe es ja auch.

Meltdown, Urbanstraße 87, Informationen unter www.barcraft.de, am kommenden Sonnabend laufen die Finals der „WCS Europe“, quasi die Europameisterschaft im Starcraft-Spielen. Und was eine Forscherin vom Computerspielen hält, lesen Sie auf Seite 24

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