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Berlin: Basteln statt Bushido im Problemkiez

Beim Kunstprojekt in der Steinmetzstraße machen sogar die Obermachos mit

Nur einen kurzen Moment lang sieht es nach übrig gebliebener Weihnachtsdekoration aus: Bunte Lampionketten und Laternen in unterschiedlichen Formen und Größen, bemalt und besprüht, viele mit Graffiti-Schriftzügen, beleuchten die Steinmetzstraße in Nord-Schöneberg.

Die „Lichtergalerie“ ist ein Kunstprojekt, das Hamad Nasser, Leiter des „Nachbarschaftstreffs“, einer vom Quartiersmanagement unterstützten Begegnungsstätte, initiiert hat, um das Image der Straße aufzupolieren. Die Gegend zwischen Bülow- und Goebenstraße, in der viele kurdische und libanesisch-palästinensische Großfamilien leben, gilt als Problemkiez. Nasser lässt nun die Bewohner ihre Straße mitgestalten.

Rund 150 Kinder, Jugendliche und auch ein paar ältere Anwohner basteln und bauen seit September, zusammen mit dem Installationskünstler Thomas Klasen und der Malerin Sofia Camargo, an ihren Lichtinstallationen. Lichtdurchlässige Leinwände, sogenannte Glasfasermatten haben sie besprüht oder bemalt und auf Holz-und Drahtgestelle gezogen. Die meisten hängen schon seit November, an einigen wird jetzt noch gearbeitet. Als Atelier dient ein umfunktionierter leerstehender Raum einer Wohnungsbaugesellschaft.

Nachdem anfangs Schriftzüge wie „Terror“ nach einem Rapper-Label oder „30 Kings“ nach einer Schöneberger Jugendgang der späten 80er Jahre auf den Leinwänden dominierten, seien die Arbeiten bald individueller geworden, sagt Klasen. Er habe sich zuerst schon gefragt „wie so einer dazu zu bringen ist, eine Laterne zu basteln“, sagt der Künstler und meint einen 20-Jährigen mit Oberlippenbart und weißer Baseball-Kappe, der gerade das Atelier verlässt. Doch selbst einige der „Obermachos der Straße“ kämen fast jeden Tag. Noch dazu hätten sie, die im Kiez etwas zu sagen haben, dafür gesorgt, dass die Lampenwerkstatt bald Straßengespräch geworden sei – auch wenn Klasen hier „Klassik statt Bushido“ laufen lässt.

Hamad Nasser, der schon andere Projekte mit Kindern und Jugendlichen im Kiez betreute, hatte an den Erfolg der Lichtergalerie-Aktion geglaubt. Überwältigt war er trotzdem: von den vielen Teilnehmern und dem großen Lob der älteren Anwohner, die sich erst misstrauisch gezeigt hatten. Erstaunt hat ihn, dass die Laternen kaum beschädigt wurden: „Wir dachten, wenn nach Silvester noch die Hälfte hängt, ist das schon ein Riesenerfolg.“ Tatsächlich haben bis jetzt fast alle Laternen überlebt. Die Finissage findet am Sonntag um 15 Uhr statt. Im Nachbarschaftstreff in der Steinmetzstraße 65 gibt es dann ein Buffet, die Laternen werden abgehängt und den jeweiligen Künstlern übergeben. Oriana zu Knyphausen

Oriana zu Knyphausen

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