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Berlin: „Bedanke dich beim Sieger“

Wir sind raus – und enttäuscht. Fanforscher Gunter Pilz weiß, wie weh das tut, und er erklärt, wie man mit der Niederlage am besten fertig wird

Wie reagieren Fans auf eine Niederlage ihrer Mannschaft?

Das hängt davon ab, wie wichtig ein Spiel für die eigene Identität, für das Selbstwertgefühl ist. Bei Fans, die sich voll mit ihrer Mannschaft identifizieren, wird eine Niederlage zum eigenen Misserfolg. Dies hat oft zur Folge, dass sie ihren Kummer entweder in Alkohol ertränken oder gewalttätig werden. Die Frage, ob ich in eine tiefe Depression falle, gewalttätig werde oder gelassen bleibe, hängt dabei nicht nur von der Persönlichkeit des Einzelnen, sondern auch von den Umständen, den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen ab. Im Zen-Buddhismus wird beispielsweise gelehrt, dass sich der Verlierer beim Gewinner bedanken soll, weil der ihm gezeigt hat, wo er noch an sich arbeiten muss. Nach dem Spiel Schweiz gegen Südkorea in Hannover klatschten die südkoreanischen Fans den jubelnden Schweizer Fans Beifall.

Ist Ihre Empfehlung an die europäischen Fans, es einmal mit Zen-Buddhismus zu versuchen?

Wenn das so einfach wäre... Wir leben in einer anderen Kultur, in der Verlieren verboten ist. Man muss das Fußballspiel für sich relativieren. Nachdem Deutschland im Halbfinale rausgeflogen ist, könnte man sagen: Sie haben sehr viel erreicht. Der Gegner war einfach besser. Wichtig ist dabei auch die Atmosphäre, in der ein Spiel stattfindet. Ich habe den Eindruck, dass die vielen Fanfeste dieser WM es nicht nur Hooligans schwerer machen, anderen eine Faust ins Gesicht zu schlagen, sondern auch den Fans ermöglichen, Niederlagen besser zu ertragen. Die Fans der unterlegenen Mannschaft werden durch die fröhliche, entspannte Stimmung integriert mit ihrer Enttäuschung aufgefangen. Wichtig ist, sich mit seinem Schmerz nicht zurückzuziehen. Nach dem Ausscheiden Japans hat sich ein japanischer Fan aus dem Fenster gestürzt.

Gibt es Projekte, in denen Fans lernen, mit Niederlagen umzugehen?

Nein, so was kenne ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass es unbedingt erforderlich ist. Die Sportvereine behaupten ja immer, sie seien die Schule der Nation, weil man dort lerne, mit Siegen und Niederlagen umzugehen. Aber bei vielen Fußballern sieht man gerade das Gegenteil: Drohende Fäuste, grobe Fouls, Versuche, den Schiedsrichter zu betrügen oder die Schuld für eine Niederlage anderen zuzuschieben. Die Schule des Lebens durchläuft man sehr viel früher, im Kindergarten. Trainieren kann man das später nicht mehr. Wichtiger ist ein insgesamt positives Klima, weil es dann leichter fällt, Frust entspannt zu ertragen.

Wie kann man ein positives Klima denn erzeugen?

Bei der WM hat die lange Vorbereitungszeit geholfen. Im Organisationskomitee wurde überlegt, wie man den vielen Fans, die keine Karten bekommen, das Gefühl geben kann: Das ist unsere WM, da können wir mitfeiern. Deshalb hat man Fanfeste in allen WM-Städten organisiert und das kostenlose Public Viewing flächendeckend eingerichtet – das gab es noch nie bei einer WM. Diese positive Stimmung wurde ein Stück weit also durch Planung erzeugt. Jetzt kann man die Früchte einfahren. Ich hoffe, dass wir einen Teil dieser WM-Stimmung in den Bundesliga-Alltag hinüberretten.

Gunter Pilz ist Fanforscher und lehrt am Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover. Vor der WM hat er das deutsche Organisationskomitee beraten. Die Fragen stellte Thomas Loy.

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