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Bedingungsloses Grundeinkommen: Michael Bohmeyers Experiment beginnt

Es ist ein einzigartiges Experiment. Der Berliner Michael Bohmeyer hat monatlich 1000 Euro zu vergeben. Um zu beweisen, dass der Mensch nicht per se egoistisch ist. Die ersten Gewinner sind ermittelt, der Test kann beginnen.

Er hätte die Menschheit gern etwas freier und gleicher, doch jetzt will er erst einmal Folgendes: „Ich hätte gern, dass du nicht mit Wasser spielst heute, ist das okay?“ Die Sonne steht hoch, sie erhellt einen Kreuzberger Hinterhof und die Gesichter der beiden Gesprächspartner, von denen der eine ein ausgewachsener Mann und der andere ein kleines Mädchen ist. „Okay?“

Beide schauen sich an. Ein Großer und eine Kleine, der eine Vater, die andere seine zwei Jahre alte Tochter. Beide sind ausgestattet mit ihren eigenen Interessen. Klein will mit Regenwasser aus der hinterhofeigenen Tonne herumsauen, am besten in der nebendran stehenden Sandkiste, Groß hat nicht die geringste Lust auf eine schmutzige Kleinkindhose.

Der Große sieht herunter auf die Kleine, die Sonne auf beide, sie beleuchtet ein vollkommen alltägliches Hierarchiegefälle. Autorität trifft auf Abhängigkeit, große Schatten treffen auf kleine, Wünsche auf Einschränkungen. Sie erhellt ein Dilemma, von dem keiner der beiden auch nur das Geringste zu bemerken scheint. Bei einem von ihnen ist das beinahe tragisch.

Praxistest am lebenden Objekt

Michael Bohmeyer ist 29 Jahre alt und ein Mensch, der seine Artgenossen aus der Bevormundung befreit sehen will, aus Knechtschaft und Hörigkeit. Zu diesem Zweck hat er vor knapp drei Monaten ein einzigartiges Experiment gestartet, eine Art Praxistest am lebenden Objekt. Er möchte Menschen mit Geld versorgen, ohne Gegenleistung. Sein Experiment soll die Idee hinaus in die Welt tragen und gleichzeitig zeigen, ob sie funktioniert, und wenn ja, wie. 1000 Euro pro Monat sind zu vergeben, ein Jahr lang.

Die Idee heißt: bedingungsloses Grundeinkommen. Sie huscht immer mal wieder durch den politischen Raum, sie hat Befürworter und Gegner und Konjunkturen. In den vergangenen Jahren lag sie ziemlich brach. Bis Bohmeyer kam.

Er hat dafür eine aufs Wunderbarste funktionierende Webseite gebaut, die einen mit den Sätzen begrüßt: „Was würde passieren, wenn es plötzlich Grundeinkommen gäbe? Probieren wir es aus!“ Sich selbst hat er mit Sendungsbewusstsein ausgestattet, viele seiner Sätze beginnen mit dem Wort ich.

„Ich bin kein krasser Gerechtigkeitskämpfer – aber schon immer ein großer Freund vom Menschen.“

„Ich kann mir vorstellen, dass ein Grundeinkommen funktionieren würde.“

„Ich möchte zum Diskutieren anregen.“

„Ich find’ den Kapitalismus nicht komplett schlecht.“

„Ich habe in der letzten Zeit 18 Stunden am Tag gearbeitet.“

Michael Bohmeyer lebt vom Geld, das er selbst erwirtschaftet hat

Vielleicht waren es ja auch 19. Die Zahl steigt, je länger ein Gespräch mit Bohmeyer dauert. Man kennt das vor allem von Politikern und Managern, wenn sie sich gezwungen sehen, ihre Gehälter zu rechtfertigen. Bohmeyer hätte so etwas nicht nötig. Er lebt von den Erträgen, die eine vor acht Jahren von ihm mitbegründete Online-Versandhandelsfirma für alle Arten von Hinweis-, Verbots- und Warnschildern abwirft, aus der er zum Jahreswechsel ausgeschieden ist. Er lebt von Geld, das er selbst erwirtschaftet hat. Und dass anstrengungsreiche Wochen hinter ihm liegen, ist der Landschaft unter seinen Augen deutlich anzusehen.

Denn es galt, die Webseite benutzbar zu halten, die mehr Besucher hatte als erwartet. Deren vieltausendfache schriftliche Hinterlassenschaften darauf zu ordnen. Das sofort einsetzende, riesige Medieninteresse zu befriedigen und die Gesprächsanfragen von Grünen-, Links- und Piratenparteipolitikern. Es galt, mitzuhalten mit dem, was binnen wenigen Wochen aus seiner kleinen Versuchsanordnung geworden war.

Der Vater Physiker, die Mutter Zahntechnikerin

Bohmeyer, der Vater Physiker, die Mutter Zahntechnikerin, aufgewachsen in Neuenhagen, hinterm östlichen Rand Berlins, mit 21 in die große Stadt gezogen, erst nach Prenzlauer Berg, nun also Kreuzberg. Irgendwann, es muss ein Abend im Jahr 2009 gewesen sein, fing er an, sich für Internet-Blogs zu interessieren. Er landete bei „Spreeblick“, fand dort einen Artikel über die Grundeinkommens-Idee, und seine ersten Gedanken dazu seien gewesen: Das geht nicht. Dann geht keiner mehr arbeiten. Das kann man nicht finanzieren.

Er las weiter. Fand Berichte über einen Versuch in zwei namibischen Siedlungen, wo jedem Einwohner umgerechnet neun Euro im Monat in die Hand gedrückt wurden. Das erste Geld wurde versoffen, doch bald darauf entfaltete es eine segensreiche Wirkung. Eine Frau schaffte sich Hühner davon an und verkaufte die Eier. Andere besorgten sich Stoff, um Kleider zu nähen. Eine kleine, unabhängige Unternehmerkultur entstand. Die Polizei zählte weniger Diebstähle.

Bohmeyer stieß auf den Unternehmer Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette „dm“ und einer der reichsten Deutschen, dem die Grundeinkommens-Idee in den 80er Jahren gekommen war und der sie so unermüdlich propagierte, dass er im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts damit sogar regelmäßig im Fernsehen war. Jeder sollte Geld zur Verfügung haben, egal ob er arbeitete oder nicht. Dieses Geld sollte alle staatlichen Leistungen – Arbeitslosengeld, Kindergeld oder Wohngeld – ersetzen. Finanzieren wollte Werner es mit der Mehrwertsteuer, die auf bis zu 50 Prozent ansteigen sollte.

Dieter Althaus, ehemaliger CDU-Ministerpräsident von Thüringen, hatte eine solche Idee ebenfalls, genauso wie Andrea Fischer, einstige Bundesgesundheitsministerin der Grünen. Ein Bundesparteitag der Piraten sprach sich 2011 ebenfalls dafür aus.

Bohmeyer war also ein bisschen spät dran. Die Debatten ums Grundeinkommen waren längst vorüber, als er auf sie stieß. Aber sie waren nie zu Ende geführt worden. Stets war nach einiger Zeit wieder Ruhe eingekehrt, ohne dass je abschließend geklärt worden wäre: Funktioniert die Idee, oder funktioniert sie nicht?

Dann ging in diesem Sommer Bohmeyers Webseite online. Er füllte eine Leerstelle damit. Journalisten stießen darauf, sie lasen, dass da ein junger Mann um Spenden warb, die einem x-beliebigen, später per Los zu ermittelnden Menschen ein Jahr lang zu 1000 Euro pro Monat verhelfen sollten. Sie erinnerten sich an die Grundeinkommens-Debatten und deren unbefriedigend frühes Absterben, und sie rannten Bohmeyer die Tür ein.

Der Mensch ist nicht per se egoistisch

Der wiederum konnte die Medienaufmerksamkeit für seine Webseite nutzen. Nach gegenwärtigem Stand der Dinge haben 2900 Menschen nun schon vier Grundeinkommen finanziert, ein fünftes ist in Reichweite. 24 000 Menschen haben Nachrichten auf der Webseite „mein-grundeinkommen.de“ hinterlassen. Gefragt danach, was sie mit einem Grundeinkommen anstellen würden, antworteten sie beispielsweise:

„Meinen Roman über Deutschlands Zukunft zu Ende schreiben und meine Theaterstücke auf die Bühne bringen.“

„… ein schönes Projekt mir suchen und es verwirklichen …“

„… mich politisch noch mehr engagieren: für soziale Gerechtigkeit bzw. gegen Lohndumping …“

„Ein mit weniger finanziellen Sorgen entspanntes Jahr mit meinem Mann und meinen Kindern verbringen.“

„Wenn ich das Grundeinkommen erhalte, werde ich 1000 Euro für das nächste Grundeinkommen spenden.“

„… den Großteil an soziale Projekte spenden. 450 Euro an meinen Star-TrekKlub und 450 Euro an ein Jugendprojekt.“

Ein Panoptikum aus Großkariertem und Kleinkram, aus Halbgarem und der Hoffnung auf Sorgenlinderung. Doch der für Bohmeyer zentralste Satz ist vielleicht dieser hier: „Ich würde mich ausprobieren, weiterbilden, ehrenamtlich engagieren, mehr Sport machen und auf die eigene Gesundheit achten.“

"Dieses Wenn-Dann-Denken nervt mich"

Der Satz entspricht seinem Menschenbild, es ist das Menschenbild der Grundeinkommens-Verfechter. Es lautet, vereinfacht gesagt: Der Mensch braucht die Knute nicht, um ein gutes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Er ist nicht per se egoistisch und rücksichtslos. Er braucht Freiraum, auch finanziellen, dann wird sich alles zum Besseren wenden – sein eigenes Leben und auch das seiner Mitmenschen.

Er selbst sei, sagt Bohmeyer, ein „Feind sozialer Konstrukte, der bedingungsvollen Denke.“ Er sagt: „Dieses Wenn-Dann: Wenn du was machst, dann gebe ich dir das, überall. Das nervt mich einfach.“

Im Rückblick sei beispielsweise das „System Schule“ für ihn „ziemlich erdrückend“ gewesen, die permanente, oft unausgesprochene Drohung, als Straßenkehrer zu enden, wenn er keine guten Noten haben würde. Dagegen, bei so einer festen monatlichen 1000-Euro-Überweisung stünde ein Straßenkehrerdasein ja überhaupt nicht mehr zur Debatte, man hätte ja das Nötigste stets beisammen. Der Druck, als unangenehm empfundene Arbeit zu machen, sei weg, man könnte sich den ganzen Tag über frei entfalten. In einem anderen, besser zu einem passenden Beruf vielleicht, im Privatleben, in einem Ehrenamt.

Überhaupt, das Ehrenamt. Ist das Ausmaß der freiwillig und unbezahlt geleisteten Arbeit in Deutschland nicht Beleg dafür, dass auch der vom Kapitalismus geprägte Mensch in der Lage ist, Abstand von der „bedingungsvollen Denke“ zu nehmen? Dass er der Gesellschaft nützlich sein will, ganz selbstverständlich, dass er weder Druck noch Lohn dafür braucht?

Die Grenzen des Experiments

Michael Bohmeyer.
Michael Bohmeyer.

© Torsten Hampel

Nach Erkenntnissen der vorigen Bundesregierung soll mehr als ein Drittel der Deutschen über 14 Jahren ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden und Bürgerinitiativen tätig sein. „Diese freiwillige Mithilfe“, richtete sie im Jahr 2010 der Grünen-Fraktion im Bundestag aus, „sorgt für Zusammenhalt und Gemeinschaft und wirkt in einem Maße solidaritätsstiftend, wie es der Staat allein nie bewirken könnte. Damit ist bürgerschaftliches Engagement ein Motor für die Entwicklung sozial innovativer Lösungen und stärkt die Entwicklungsfähigkeit unserer Gesellschaft insgesamt.“ Im Durchschnitt seien die Engagierten 16 Stunden pro Monat freiwillig tätig gewesen.

Dieses Drittel hält Bohmeyer für repräsentativ. Es ist seine Blaupause für den modernen Menschen an sich, der genauso handeln würde wie die Engagierten, hätte er nur die Möglichkeit dazu. Wobei Bohmeyer trotz der großen Aufmerksamkeit, die seinem Experiment zuteil wird, um dessen Grenzen weiß. Ein auf ein Jahr beschränktes Grundeinkommen ermögliche nicht annähernd so viel Freiheit wie ein lebenslang garantiertes, sagt er, es fühle sich anders an.

Vier sind weniger als alle

Vier damit beschenkte Menschen sind weniger als alle. Sein Experiment schafft nicht Gleichheit, sondern einige wenige Privilegierte, und die Frage nach der Finanzierbarkeit eines flächendeckenden 1000-Euro-Grundeinkommens würde es auch nicht beantworten. Rund 960 Milliarden Euro würde das kosten. Bund, Länder und Gemeinden nahmen im Jahr 2013 aber nur 773 Milliarden ein.

Aber das Experiment hat sich verselbstständigt. In Amerika sind sie darauf aufmerksam geworden, und mit einem technologischen Kniff hat es Bohmeyer geschafft, eine neue Geldquelle zu erschließen. Er kann nun Kleinbeträge einsammeln, sobald Besucher von Online-Shops auf ein dort installiertes Banner seiner Webseite klicken.

Bohmeyers Versuch wird, wenn überhaupt, Indizien zur Klärung einer einzigen Frage liefern: Gibt es jenen neuen, modernen, am Gesellschaftsfortschritt mitarbeitenden Menschen tatsächlich?

Als er vergangene Woche die ersten vier Grundeinkommen verlosen ließ, bekam er erste Anhaltspunkte. Die ihm noch völlig unbekannte Verlosungsteilnehmerin „Traudi“ hinterließ auf der Webseite:

„Mit Grundeinkommen“ will sie „spenden“ und „meine Söhne unterstützen und mich selbstständig machen.“

Gewinner „Stephontour“ schrieb: „… bewusster weiterleben …“

„Chrissi“: „... das allererste Mal mit meinen Kleinen in Urlaub fahren und ihnen einen Wunsch erfüllen ...“

Und dann ist da „Christoph“: „… meine Erzieherausbildung anfangen und nicht im Callcenter arbeiten …“

Wissenschaftler haben Interesse angemeldet

Altruismus kommt also vor in den Köpfen der Spitznamenträger, ein bisschen Vagheit auch und der Wille, beruflich vorwärtszukommen. Bohmeyer ist nun dabei, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, ihre Kontonummern zu erfragen und um ihre Bereitschaft zu bitten, sich das Jahr über beobachten zu lassen. Wissenschaftler haben daran Interesse angemeldet, und eine entsprechende Einladung an die Medien hat Bohmeyer schon versandt.

Vielleicht liefert das neue Erkenntnisse. Vielleicht wird Bohmeyer mit seinen 18-Stunden-Arbeitstagen auch nur eines erreichen: vier Menschen zwölf Monate lang etwas mehr Freiheit zu ermöglichen. Oder, falls sein Experiment so weiterläuft wie bisher, zwölf Menschen.

Bleibt nur noch er selbst. Der freiere, gleichere Mensch – Bohmeyer auf dem Kreuzberger Hinterhof hatte einen davon eine Weile vergessen. Seine Tochter. Doch dann erinnerte er sich daran, dass auch sie ihren Willen habe, der zu respektieren sei. Bohmeyer verhandelte einen Kompromiss, den Königsweg unter Gleichen. Ein wenig Regenwasser aus der Tonne dürfe die Kleine haben, ein wenig ihre Hose dreckig machen, so dass die am Abend vielleicht doch noch nicht in die Waschmaschine muss. Es war ein kleiner Schritt auf dem langen Weg, den Egoismus zu besiegen.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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