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Stillstand als Prinzip. Das endlose Warten in der Zulassungsstelle Kreuzberg ist seit Jahren ein Dauerthema. Geändert hat sich in dieser Zeit wenig.

© Imago/Schleser

Behörden: Eine unendliche Geschichte - Chaos in der Kreuzberger Kfz-Zulassungsstelle

Ein Haus, das verrückt macht. In der Kfz-Zulassungsstelle in Kreuzberg werden seit Jahren Stellen gestrichen. Die Mitarbeiter sind überlastet, die Wartezeiten lang. Eine Reportage aus dem tristen Behördenalltag.

Das Haus, das Verrückte macht, ist aus rotem Backstein. Vergitterte Fenster und ein etwa zweieinhalb Meter hoher Stacheldrahtzaun geben ihm den äußeren Anschein einer Justizvollzugsanstalt. Doch es ist gar nicht die Aura der Festungshaft, die die Kfz-Zulassungsstelle Kreuzberg in der Jüterboger Straße so trostlos wirken lässt, es ist ihr Innenleben. Eingeweide unendlicher Langeweile, in denen Menschen mit Nummernschildern und Papieren unter den Armen stundenlang ins Nichts starren, weil nichts passiert.

Es ist gerade kurz nach acht. Murat lehnt am Zaun und raucht seine dritte Zigarette. Mindestens, sagt er. Seit einer Dreiviertelstunde ist er hier. Warum? „Ich habe gewartet.“ Und jetzt? „Warte ich. Verstehst du?“ Murat stellt seinen Kaffeebecher ab und erläutert das Warten auf das Warten mit der Geduld eines indischen Yogi. Kein Wunder. Zeit hat er ja genug. Denn die Zulassungsstelle funktioniert wie eine Sanduhr, in der sich die Körner gleich durch zwei Verjüngungen drängen. Wer sein Auto an-, um- oder abmelden will, muss sich zuerst in die Schlange im Erdgeschoss stellen, die an diesem Morgen bis auf den Bürgersteig reicht. Hier aber warten die Wartenden nur auf ihre Wartemarke, mit der sie anschließend in einem der Räume in den oberen Stockwerken wartend in eine Art Wachkoma verfallen, in dem sich Minuten in kleine Ewigkeiten verwandeln.

Murat hat immerhin schon eine Marke in der Hand: „Heute habe ich Glück gehabt. Gestern soll hier die Hölle los gewesen sein.“ Dann steckt er sich noch eine Zigarette an. Wie das hier ist, wenn die Hölle los ist, will man nicht wirklich wissen.

Ununterbrochen öffnet und schließt sich die Tür. Aggressive Müdigkeit liegt in der Luft, mischt sich unter ein buntes Sprachengewirr. Und da die Warteräume längst überfüllt sind, sitzen Menschen in den Gängen, lehnen an Wänden oder laufen scheinbar ziellos auf und ab wie Zirkustiere, die auf ihren Auftritt warten.

Wäre die Zulassungsstelle ein Zoo, würden draußen längst Peta-Aktivisten sitzstreiken. „Das ist schon wie bei Asterix“, sagt eine Mitarbeiterin, die sich gerade eine hektische Raucherpause gönnt. „Das Haus macht Verrückte.“ Sie inhaliert die Worte mit dem Rauch. Drückt die Zigarette in den Aschenbecher und muss auch wieder los, weil sie eigentlich gar nichts sagen darf. Aber eins sagt sie dann doch: „Was sollen wir machen? Überfordert sind wir schon lange.“

Seit Jahren wird hier in Kreuzberg das Personal zusammengestrichen. Auch heute sind nicht alle Schalter belegt. Nur 18 Mitarbeiter sind da, 24 müssten es eigentlich sein. Krankmeldungen von ausgebrannten Kollegen haben das Personal noch einmal dramatisch verschlankt. Das Land Berlin hat Bulimie. Und das Amt hängt mit dem Kopf in der Schüssel.

Die langen Wartezeiten, die Unterbesetzung, das Chaos – das alles ist hier nicht neu. Schon vor 13 Jahren schrieb der Tagesspiegel: „Die Warteschlange ist nach den Protesten in den letzten Wochen nicht kürzer geworden. Auch in den vier Bedienungsbereichen des Hauses ein trauriges Bild: Etwa die Hälfte der Schalter ist nicht besetzt. Immer öfter werden vorrangige Wartenummern an Spätergekommene verkauft.“ Seitdem hat sich offenbar nichts geändert. Jemand, der vor zehn Jahren in der Jüterboger Straße eine Marke gezogen hat, könnte heute immer noch hier stehen. Ohne etwas zu merken. Trotzdem hat Ulrich Freise, Staatssekretär der Innenverwaltung, zuletzt lediglich von einem „temporären Problem“ gesprochen. Ursache für den Stillstand seien weder fehlende Mannschaftsstärke noch chaotische Abläufe, sondern die um die Pfingstfeiertage traditionelle Häufung der Viertagewochen. Freise appellierte also an die Bürger, die Zulassungsstelle nur noch in dringenden Fällen aufzusuchen. Bisher scheinen seine Worte in den langen Gängen ungehört verhallt zu sein. Für viele Kunden bleibt der Besuch in der Jüterboger Straße ein unangenehmes Déjà-Vu-Erlebnis.

Selbst gut gemeinte Neuerungen haben es nicht geschafft, eine andere Realität zu etablieren. Obwohl die Kfz-Zulassungsstelle in Kreuzberg nie wirklich ein Ort des Schnelldurchlaufs war, war sie gerade deshalb in den letzten Wochen besonders überfüllt, weil das Amt seit Januar auf Terminkunden umgestellt wird. Das neue „Terminmodell“, wie es hier genannt wird, soll die Abläufe ölen und den Publikumsverkehr entzerren. Gleich am Eingang aber verriet in der vergangenen Woche ein Plakat, warum zwei Stockwerke höher Blicke über Stunden ins Leere gingen: „Wartemarken nur noch nach Kapazität.“ Und darunter die Öffnungszeiten für diejenigen, die keinen Termin haben, die sogenannte Laufkundschaft: Montag bis Mittwoch, jeweils von 7.30 Uhr bis 11 Uhr. Und in dieser knapp bemessenen Zeit mischte sich die laufende Kundschaft dann noch mit denen, die keinen Termin bekommen konnten, obwohl sie es versucht hatten – telefonisch. Sie landeteten in einer Warteschleife und kamen schließlich einfach her. Oder warteten auf einen Rückruf, der nicht kam, und verbrachten deshalb ihren Morgen hier. Was soll’s: Termine gibt es momentan eh nur noch eine Woche im Voraus. Immerhin, seit gestern sollte sich die Situation vorerst entspannen. Da wurde das modifizierte Terminmodell noch einmal modifiziert: Nun ist die Zulassungsstelle wieder die gesamte Woche über für Terminkunden und Laufkundschaft gleichermaßen geöffnet. Nach Kapazität natürlich.

Für Murat aber wäre der Montag zu spät gewesen. Weil er keine Woche warten konnte, zählt er nun die Löcher in der Wand. Vor ihm sitzen Männer in Viererreihen und starren auf die Nummernanzeige wie auf eine Kinoleinwand, bis ein grünes Lämpchen aufleuchtet und die nächste Zahl ausgerufen wird. Weil einen Termin zu bekommen eher einem Glücksspiel gleicht, spielt die Laufkundschaft eben Zermürbungsbingo.

Nach fast drei Stunden verlässt Murat schließlich das Backsteingebäude. Erschöpft, aber glücklich: „Das ist, als würde man aus der U-Haft entlassen.“ Während er über die Straße rennt, springt im Warteraum im zweiten Stock die nächste Nummer um. Ein Platz wird frei und ist sofort wieder besetzt. Und gleich kommen noch die Terminkunden. Lucas Vogelsang

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