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Berlin: Beim Barte des Bürgermeisters

Jeder Mann kann die Berliner Wirtschaft ankurbeln: Er muss sich nur oft genug mit Klingen aus Tempelhof rasieren. Wowereit macht’s vor

Der männliche Bartwuchs gehört – nach dem weiblichen – wohl zu den bedeutendsten Irrtümern der Evolution. Man kann viel Zeit und Geld in die Abwehr stecken – und wird doch nie gewinnen. Der Kapitalismus vergrößert den Kummer noch, indem er Rasierklingen in klingende Münze verwandelt. 7,99 kostet heute ein Doppelpack des schnittigen „Mach3“ plus schnittigem Griff von Marktführer Gillette. Und dieser Preis enthält noch keine Garantie für ein unblutiges Ende des täglichen Dramas.

Immerhin sichern die Klingen fast 1300 Arbeitsplätze in Berlin. Damit das auch so bleibt, wurde gestern die Produktion von noch teureren Klingen namens „Mach3Turbo“ gestartet. Zur Eröffnung war auch Klaus Wowereit in seiner Doppelfunktion als Regierender Bürgermeister und bekennender Nassrasierer gekommen. In mehreren Fachvorträgen konnte er sich über jährlichen Absatz („eine Klingenspur von Berlin über Washington bis fast nach San Francisco“), alte Rasierleiden („gründliche Rasur haben Sie bisher oft mit schmerzhafter Folter bezahlt“), neue Produkteigenschaften („mit weniger Kraft auch durch die härtesten Barthaare gleiten“) und über Grundsätzliches („das werden ganz neue Welten morgens im Badezimmer“) informieren. Wowereit machte sich gelegentlich Notizen und erwiderte schüchtern: „Bisher habe ich immer gedacht, man rasiert sich einfach.“ Ansonsten war er als „Mach3“-Nutzer mit reinem Gewissen in der Tempelhofer Fabrik erschienen. Auch versprach er, den Mach3Turbo- Test zu machen und sich dabei „daran zu erinnern, was mir vorher fehlte.“

CDU-Fraktionschef Frank Steffel metaphert, dass in Berlin „auch politisch die Klingen gekreuzt werden.“ An langen Tagen ziehe er morgens und abends gegen die Stoppeln zu Felde. Aber das hilft der Berliner Wirtschaft nicht, denn Steffel mag’s trocken.

Wowereit dagegen ist als Nassrasierer in guter Gesellschaft – in der von Promi-Friseur Udo Walz nämlich. Aber der rasiert sich aus Rücksicht auf seinen Drei-Tage-Bart nicht so gründlich wie der Regierende. Walz hat sowohl eine Problemzone – das Kinn – als auch einen Tipp: Ein vor der Rasur aufgelegtes nasses Frottierhandtuch mit Kompressen vermeidet Blut und Schmerzen.

Die schwarzen Koteletten von „Pompöös“-Modemacher Harald Glööckler sind fast so scharf wie Rasierklingen. Glööckler rasiert sich jeden Morgen und, wenn er abends ausgeht, noch ein zweites Mal. Aber nicht mit Tempelhofer Klingen, sondern mit einem Rasiermesser. Das ist gefährlich, aber Glööckler weiß, wie man übt: an einem Luftballon.

Im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten sind auch die neuen Gillette-Rasierklingen nicht so scharf, dass sie hinter Gitter müssen. Stattdessen müssen sie nach England, wo sie verpackt werden. Wenn sie dann wieder in Berlin gelandet sind, kann man sie für 9,99 Euro kaufen und gern noch das komplette Pflegeprogramm dazu erwerben. Dann stellt man sich vor den Spiegel, schabt und schaut und wartet auf den ersten Blutstropfen.

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