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Berlin: Belastungsprobe

Das muss die Freundschaft zu den Alliierten aushalten, sagt Historiker Jörg Friedrich Am Montag sprach er über den Bombenkrieg gegen deutsche Städte

Er steht ganz ruhig hinterm Pult, beide Hände hält er abwechselnd am Revers seines Jacketts oder rechts und links des Mikrofons umklammert. Aber was er da in einem sachlichen Ton vorträgt, treibt einigen Zuhörern die Tränen in die Augen: Die Wohnblock-Knacker hatten die Aufgabe, Fenster und Dächer der Häuser zu zerstören, so dass die Gebäude wie Kamine wirkten. Dann kamen die Stabbrandbomben, hunderttausende, die die Innenstädte zu Feuerhöllen machten. „Die meisten Zivilisten hatten nur die Wahl, entweder auf der Straße zu verglühen oder im Keller zu ersticken.“

„Der Brand“ heißt das neue Buch des Berliner Historikers Jörg Friedrich, der Brand der deutschen Städte in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges ist das Thema des Abends. Friedrich hält einen Vortrag, anschließend darf diskutiert werden. Die Zuhörer am Montagabend im rappelvollen Kleist- Saal der Urania sind überwiegend aus der Generation, für die der Luftkrieg noch eine persönliche Erfahrung darstellt. Doch der Vortrag ist für die meisten von ihnen nicht Anlass zu Abrechnung oder Revanche, sondern Anlass, ein Trauma aufzuarbeiten, das viele von ihnen seit Jahrzehnten mit sich herumschleppen. Und es unter Umständen gar nicht wissen. Bis heute.

Friedrich referiert die von ihm sorgsam zusammengetragenen Fakten der Bombardements. Der Versuch der Alliierten, einen Luftkrieg zu gewinnen und so einen Krieg am Boden zu verhindern, war gescheitert. 13500 Zivilisten pro Monat wurden getötet, in den ersten Monaten des Jahres 1945 waren es im Durchschnitt sogar 1023 pro Tag. Die insgesamt 500000 Opfer in deutschen Städten, so Friedrich, „sind ein ungeheurer Erfolg des Zivilschutzes“: Es hätten, so Friedrich, leicht drei bis fünf Millionen Tote sein können.

Für seinen Vortrag erhält der Historiker viel Applaus. Aber auch Widerspruch: Bei den Bilanzen des Luftkrieges gegen deutsche Städte habe er die deutschen Bombardements von Guernica, Warschau oder auch Rotterdam unter den Tisch fallen lassen. „Kein Widerspruch“ entdeckt Friedrich darin. Später sagt er: „Ich habe vorausgesetzt, dass klar ist, dass Hitler den Krieg entfesselt hat“, die Aggression also nicht von den Feinden Deutschlands ausging. „Aber“, so Friedrich, „die Blinden, die in der Oranienstraße verbrannt sind, waren nicht der Auslöser für den Krieg gegen Polen.“ Für Sätze wie diesen erntet er viel Zustimmung. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie dieses Buch geschrieben haben“, sagt ein älterer Herr und schluckt bei den letzten Worten. Donnernder Applaus erfüllt den Saal. Vereinzelte Ausrutscher aus dem Publikum, die Gerücht und Tatsache vermengen und darauf abzielen, die Schuldfrage für die Katastrophe neu zu stellen, diese Ausrutscher weiß Friedrich in Schach zu halten. „Der Brand“ will die Geschichte nicht neu schreiben. Aber: „Die Brandkriegsführung“, sagt der Historiker, „ist in keinem Schulbuch nachzulesen. Im Geschichtsunterricht wird bestenfalls der Fall von Dresden erwähnt, in vier Sätzen.“ Das könne nicht so bleiben.

Ein Trauma. Das Wort fällt oft an diesem Abend. Zum Beispiel von dem 1926 in Hamburg geborenen Zuhörer, der eigens für den Vortrag und die Diskussion angereist ist. Er hatte die Bombardierung Heilbronns erlebt und bei der Bergung der Leichen mitgearbeitet – eine Erfahrung, die ihn bis heute nicht loslässt. „Der Afghanistan- Krieg hat mir klargemacht, dass sich wiederholt, was ich vor mehr als 50 Jahren erlebt hatte.“ Durch Afghanistan hatte er überhaupt erst gemerkt, „dass ich auf einem Trauma sitze.“

Friedrich stellt gewagte Vergleiche an. Zum Beispiel von Churchill und Harris mit Milosevic und Mladic. Wieder erntet er Zustimmung im Saal, unbeeindruckt davon, dass die Engländer Churchill jüngst zum wichtigsten Engländer aller Zeiten gewählt haben. Die Fakten des Bombenkriegs müsse die Freundschaft zwischen Deutschen und Briten aushalten, sagt Friedrich.

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