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Berlin 2030: New Deal für die Hauptstadt

Mehr Einwohner, höhere Steuereinnahmen, steigende Sozialausgaben – Berlins Finanzlage bleibt prekär. Unsere Zukunftsserie beschäftigt sich mit Berlin im Jahr 2030. Heute: Die Wirtschaftslage.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wie kann Berlin für die Gestaltung der Zukunft finanziellen Handlungsspielraum zurückgewinnen – und neuen erschließen? Das ist eine der Fragen, mit denen sich die Prognos-Zukunftsstudie im Auftrag der Berliner Bank befasst, ohne abschließende Antworten zu geben. In den kommenden Jahren werde der Schuldenberg der Stadt auf voraussichtlich 66 Milliarden Euro wachsen, wird festgestellt. Berlin habe, auch nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts, noch nicht alle Konsolidierungsanstrengungen genutzt. „Oder anders: Wer sich drei Opern, vier Unis, zwei Zoos und sechs Wohnungsbaugesellschaften leistet, der hat noch Spielraum für Einsparungen“, heißt es in der Studie.

Am Wachstum von Wirtschaft und Beschäftigung gemessen habe Berlin seit 2008 eine Trendwende geschafft. Aber finanzpolitisch? Prognos rät unter anderem, „vor dem Hintergrund der Finanzlücken und der langfristig versiegenden Transferzahlungen“ von Bund und Ländern viel enger mit Brandenburg zu kooperieren und die Länderfusion wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Dies sei eine wichtige Zukunftsfrage. Die gemeinsame Erledigung staatlicher Aufgaben spart auf Dauer viel Geld und das gemeinsame Land hätte im Reigen der Bundesländer ein deutlich größeres Gewicht.

Bedrohlich für den Landeshaushalt sind die Voraussagen, dass die Armut in Berlin noch zunehmen könnte und die Zahl alter Menschen in jedem Fall steigt. Andererseits rechnen die Forscher damit, dass bis 2030 etwa 195 000 Menschen zusätzlich in die Stadt kommen. Der Schluss liegt also nahe: Die Steuereinnahmen werden sich stetig erhöhen, aber auch die Sozialausgaben im weitesten Sinne werden weiter steigen. Wirtschaftskraft und private Bedürftigkeit, die öffentlicher Hilfe bedarf, werden sich ein Wettrennen mit ungewissem Ausgang für die Landesfinanzen liefern. Die Spirale kann sich durchaus nach unten drehen.

Mit Blick auf die Zukunft malt Prognos auch eher ein düsteres Bild. Schulden und Zinsen würden sich noch deutlich erhöhen. Auf zusätzliche Hilfen des Bundes könne Berlin nicht hoffen. Denkbar sei folgende Entwicklung: Die Stadt erkläre zu gegebener Zeit, nicht mehr eigenständig lebensfähig zu sein und erhalte eine „bundesunmittelbare Verwaltung nach dem Vorbild von Washington D.C.“ Die amerikanische Hauptstadt untersteht direkt dem Kongress, der die Beschlüsse des Stadtrats jederzeit annullieren kann. „Der Bund setzt einen Staatskommissar ein mit dem Auftrag, eine funktionsfähige und präsentable Bundeshauptstadt zu schaffen, deren Kosten sich in Grenzen halten.“ Aber die Forscher räumen ein, dass diese Lösung des Finanzproblems schon aus verfassungsrechtlichen Gründen unwahrscheinlich sei. Der Vorschlag wurde in den Neunzigern ohne weitere Folgen diskutiert.

Realistischer als Länderfusion oder Washington D.C. erscheint dem Prognos-Institut ein „Berlin New Deal“. Das heißt, die verantwortlichen (und finanzkräftigen) Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft erlegen sich eine Selbstverpflichtung „zu einem umfassenden Engagement“ für die Stadt auf. Die Berliner Wirtschaft müsse das alte Markenzeichen des Subventionsempfängers ablegen und zum aktiven Gestalter werden mit „Initiativen im Kleinen und Großen“. Von der Finanzierung bescheidener Kiez-Aktivitäten bis zum Sponsoring von Großereignissen, städtebaulichen Projekten und der Kulturförderung.

Das sind zurückhaltende Ansätze, um sich dem Thema Berliner Finanzen 2030 zu nähern. Die zuständige Senatsverwaltung für Finanzen ist skeptisch, was Langfristprognosen angeht. Aus zwei Gründen: „Wir wissen, dass die demografische Entwicklung wesentlichen Einfluss auf die öffentlichen Finanzen haben wird“, sagt ein renommierter Haushaltsexperte der Verwaltung. Hier müsse sich die Entwicklung erst stabilisieren, bevor man brauchbare Aussagen machen könne. „Zehn Jahre im Voraus zu planen ist vernünftig, darüber hinaus kann man Szenarien durchspielen, Potenziale und Gefahren aufzeigen, aber mehr nicht.“

Außerdem werde das bundesstaatliche System des Finanzausgleichs 2020 auf eine neue Basis gestellt, sagt der Finanzfachmann. „Auch wenn wir hoffen, dass die neue Basis sich nicht wesentlich von der alten unterscheiden wird, lässt sich der Zeitraum ab 2020 nicht belastbar planen.“ Im letzten Jahr wurden etwa sieben Milliarden Euro im Länderfinanzausgleich umverteilt. Davon kamen knapp vier Milliarden Euro dem Land Berlin zugute. Die finanz- und wirtschaftsstarken Geberländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen prüfen zurzeit, ob eine neue Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das geltende Ausgleichssystem Erfolgschancen hätte. Kommt es zu einem solchen Verfahren, hätte es für Berlin existenzielle Bedeutung.

Sagen wir es ganz brutal: Mit oder ohne Hilfe aus Karlsruhe könnte die föderale Gemeinschaft dem Land Berlin schon 2020 den Saft abdrehen. Aber selbst dann, wenn Bund und Länder mit ihrer Hauptstadt solidarisch umgehen, muss sich Berlin in den nächsten zehn Jahren an die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse halten, damit sich öffentliche Ausgaben und Einnahmen endlich die Waage halten. Bis 2020 dürfen sich nach derzeitigen Berechnungen der Finanzverwaltung die Ausgaben jährlich nur um 0,3 Prozent (nominal) erhöhen, um dieses Ziel zu erreichen. Aber auch dann steigt der Schuldenberg von momentan 60 Milliarden Euro bis 2020 auf etwa 74 Milliarden Euro. Und weil die Aufnahme neuer Kredite aus konjunkturellen Gründen auch danach erlaubt bleibt, könnten die Schulden 2030 bei etwa 80 Milliarden Euro liegen. Ein schuldenfreies Berlin ist Science Fiction.

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