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Berlin und Brandenburg können im europäischen Wettbewerb mit Paris oder London noch lange nicht mithalten. Trotzdem besteht ein großes Entwicklungspotenzial.

© Reuters

Berlin 2030 - Unsere Serie blickt in die Zukunft - Auftakt: Man kommt sich näher

Berlin und Brandenburg können im europäischen Wettbewerb mit Paris oder London noch lange nicht mithalten. Aber trotz gescheiterter Länderfusion gibt es große Entwicklungspotenziale.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Berlin und die Mark – eine schwierige Beziehung. Als Markgraf Friedrich II. den Bürgern Land abpressen wollte, um am Spreeufer ein Schloss zu bauen, kam es 1448 zum Eklat. Der Bauplatz wurde von den erzürnten Städtern unter Wasser gesetzt, Mühlenmeister und Zöllner des Kurfürsten vertrieben. Doch der Aufruhr brach zusammen. Berlin wurde gezwungenermaßen Residenzstadt, in der die brandenburgischen Behörden angesiedelt waren. Erst Jahrhunderte später, als Hauptstadt Preußens, dann des Deutschen Reiches, blühte Berlin als Industriestadt, politisches und kulturelles Zentrum in ländlicher Umgebung auf. Die brandenburgische Mark wurde als „Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches“, nur reich an sandigen, nährstoffarmen Böden, bespöttelt. Das fanden die Leute dort nicht lustig.

Immer noch sind die Märker, die keine Kurfürsten mehr haben, vor den Berlinern auf der Hut. Auch nach der Vereinigung 1990 fühlten sich Skeptiker bestätigt, als der damalige Berliner CDU-Fraktionschef das ehemals zur DDR gehörende Umland als „sozialistische Wärmestube“ verhöhnte. 2005 setzte der ehemalige Finanzsenator Thilo Sarrazin nach, als er den vorerst letzten Anlauf zu einer Fusion beider Länder mit den Worten torpedierte: „Das vereinte Land ist natürlich immer eine Stadt Berlin mit angeschlossener landwirtschaftlicher Fläche.“ Inzwischen wird auf solche Kriegsrhetorik verzichtet. Berlin und Brandenburg sind deshalb zwar noch keine Busenfreunde, aber doch eine recht gut funktionierende Zweckgemeinschaft. Etwas anderes bleibt beiden Ländern auch nicht übrig, um im Wettbewerb der deutschen und europäischen Metropolregionen zu bestehen. Denn Berlin und sein Umland sind bei der Aufholjagd noch weit entfernt von der enormen Dominanz, die beispielsweise Paris, London oder auch Wien ausüben.

Ist eine solche Monopolstellung für Berlin überhaupt erstrebenswert? Ja! Jene Experten, die Metropolstandorte analysieren, warnen vor falscher Bescheidenheit. Als national und international ausstrahlende „Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung“, so definierte es die Ministerkonferenz für Raumordnung, müssen Metropolregionen anspruchsvolle Kriterien erfüllen. Der Geograf Hans Heinrich Blotevogel, ein Pionier auf diesem Gebiet, nennt unter anderem: Sitz von Regierung, Firmenhauptquartieren und Nichtregierungsorganisationen; Standort von Universitäten, Forschung und Kultureinrichtungen; Ort von sozialer Kommunikation; Verkehrsknotenpunkt, Sitz von Medien, Bibliotheken, Internetservern, Messen und Kongressen.

"Selbst manche Falkenseer Schüler glauben, sie wohnen eigentlich in Berlin", sagt Heiko Müller (SPD), Bürgermeister von Falkensee.
"Selbst manche Falkenseer Schüler glauben, sie wohnen eigentlich in Berlin", sagt Heiko Müller (SPD), Bürgermeister von Falkensee.

© Thilo Rückeis

So gesehen sind Berlin und Brandenburg eine durchaus respektable, wenn auch noch entwicklungsfähige europäische Metropolregion. Als „Tor in die mittel- und osteuropäischen Staaten“, wie es in einem gemeinsam formulierten Leitbild heißt. Im Leitbild stehen Technologietransfer und Ausbau der Verkehrswege im Vordergrund. Von besonderem Interesse ist die Vertiefung der Zusammenarbeit mit Polen, vorzugsweise mit dem westlichen Teil des Nachbarlandes. Als wichtiger Kooperationspartner wird aber auch Moskau genannt. Wissenschaft und Bildung, Verkehr und Energie und die boomende Gesundheitsbranche sind andere zentrale Themen des Metropolen-Leitbilds. Von enormer Bedeutung für die Region Berlin-Brandenburg wird die Eröffnung des Großflughafens in Schönefeld (BER) sein. Wann auch immer. Eine einheitliche Präsentation des Wirtschaftsstandorts gehört zu den Pflichtaufgaben, eine gemeinsame Wirtschaftsförderung bleibt schwierig.

"Die Berlin-Brandenburger Wirtschaft schlägt sich angesichts der Krise in Europa sehr gut", sagt Jan Eder von der Industrie- und Handelskammer Berlin.
"Die Berlin-Brandenburger Wirtschaft schlägt sich angesichts der Krise in Europa sehr gut", sagt Jan Eder von der Industrie- und Handelskammer Berlin.

© DAVIDS

Der IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder ist aber optimistisch: „Die Berlin-Brandenburger Wirtschaft schlägt sich angesichts der europäischen Wirtschaftskrise sehr gut“, sagte er mit Verweis auf den Konjunkturreport der Kammer für 2013. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen beiden Ländern nähmen zu. 83 Prozent der Unternehmen mit Sitz in einem der beiden Bundesländer unterhält auch Geschäftsbeziehungen ins Nachbarland. Dennoch wird eine zügige Vereinigung beider Länder nur von der Hälfte der Unternehmer befürwortet. Stattdessen findet die Länderfusion werktags auf Straßen und Schienen statt.

Etwa 210 000 Arbeitnehmer pendelten 2011 aus Brandenburg zu ihrem Arbeitsplatz in Berlin, vorwiegend aus den Kreisen Oberhavel, Barnim und Märkisch-Oderland. Umgekehrt pendelten rund 80 000 Menschen täglich nach Brandenburg, hauptsächlich nach Potsdam und Dahme-Spreewald. Da geht der Sinn für die Grenze zwischen Stadt und Land schnell verloren, gerade bei jungen Menschen, die die Mauer nicht kennen. „Manche Brandenburger Schüler denken, sie wohnen eigentlich in Berlin“, sagt der Falkenseer Bürgermeister Heiko Müller.

Zur 30 000 Quadratkilometer großen Metropolregion Berlin-Brandenburg gehören 6 Millionen Menschen. Davon leben im engeren Verflechtungsraum rund um Berlin und Potsdam 4,4 MillionenEinwohner auf 5370 Quadratkilometern. Beide Länder erwirtschaften jährlich gemeinsam ein Bruttoinlandsprodukt von 160 Milliarden Euro. Prägend für die Region ist ein intensiver Bevölkerungsaustausch. Seit Ende der neunziger Jahre kam die Hälfte der Zuwanderer, die sich in Brandenburg ansiedeln, aus Berlin. Die meisten von ihnen ließen sich im nahen Umland nieder. Umgekehrt zog jeder dritte Abwanderer aus Brandenburg seit 2000 in die Bundeshauptstadt.

Eine einheitliche Bevölkerungsentwicklung gibt es für Berlin-Brandenburg aber nicht, die Prognose der Potsdamer Landesregierung bis 2030 klingt ernüchternd: Bis dahin werde die Bevölkerung Brandenburgs um 253 000 Menschen schrumpfen. Im Umland Berlins wird nur ein geringes Wachstum von 44 000 Personen vorhergesagt. Dagegen rechnet Berlin bis 2030 mit einem Bevölkerungszuwachs von 250 000. Das Gesamtbild zeigt also eine wachsende Millionenstadt samt „Speckgürtel“ und einen zunehmend entsiedelten ländlichen Raum, dem eigenes Entwicklungspotenzial fehlt. Dieser Trend trifft viele Metropolregionen in Europa und führt dazu, dass die Bürger in den Randgebieten oft keine große Liebe zu den hauptstädtischen Zentren entwickeln.

Dennoch gibt es keine Alternative zu einer möglichst engen Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg Auch wenn über eine Fusion beider Länder, die zwischen 1991 und 2006 in mehreren Etappen geführt wurde, kaum noch geredet wird. Zuletzt plädierte Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) – hauptsächlich aus finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen – für eine Eingliederung der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen in ihr jeweiliges Umland. Bei den künftigen Verhandlungen über eine Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ab 2020 wird das Thema wohl nicht aufgerufen. Wie heißt es doch im letzten Fortschrittsbericht beider Länder über die Zusammenarbeit: „Allerdings ist festzustellen, dass die gemeinsame Perspektive in der öffentlichen Diskussion seit einiger Zeit weniger Aufmerksamkeit findet.“ Gemeinsame Regelungen und neue Projekte erforderten einen „höheren Begründungsaufwand“ und seien schwerer zu realisieren.

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft.

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