zum Hauptinhalt

BERLIN Bücher: Kreuzberger Miniaturen

Seit über 30 Jahren lebt Verleger Klaus Bittermann in Kreuzberg, genauer: in und um den (mittlerweile schick werdenden) Graefe-Kiez herum. Früher „gab es noch keinen Bioladen“, blickt der Autor zum Auftakt zurück, „keinen Weinladen, keine als Liegewiese umfunktionierte Admiralbrücke“.

Seit über 30 Jahren lebt Verleger Klaus Bittermann in Kreuzberg, genauer: in und um den (mittlerweile schick werdenden) Graefe-Kiez herum. Früher „gab es noch keinen Bioladen“, blickt der Autor zum Auftakt zurück, „keinen Weinladen, keine als Liegewiese umfunktionierte Admiralbrücke“. Auch „wallfahrteten noch keine Touristen aus aller Welt durch die Straßen (…), und statt Bars und Straßencafés gab es nur eine übel beleumundete Berliner Eckkneipe, die ,Standesamt’ hieß.“

Alles ist im Wandel, stellt Bittermann fest. Die neue RAF? Das ist die „Rest-Alkohol-Fraktion“, die ihm vor „Getränke Hoffmann“ auflauert und um ein paar Cent anschnorrt. „Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol“, lautet die knappe Begründung der herumlungernden Gestalten. Und der Alteingesessene kann am Ende froh sein, irgendwie heil mit seinen Wasserflaschen davonzukommen.

Das Zitat hat Bittermann als Buchtitel gewählt und 79 Anekdoten zusammengestellt. Er mimt gern den Begriffsstutzigen und erntet so die schönsten Sprüche. Dann setzt er zielsicher seine Pointen. Das Motto seiner Miniaturen könnte lauten: Immer schön geschmeidig bleiben, ihr Grölpunks, Kampfköter und Jugendgangs. Zwar sucht der Autor wiederholt Anzeichen für die vielbeschriene Gentrifizierung im Kiez, doch er findet immer noch viele abgerissene und verrückte Gestalten, wunderliche Einzelgänger, alkoholselige Fensterbrettbelagerer, tätowierte Kiezfürsten aller Couleur, Berliner Griesgrame, Schnorrer und migrantenhintergründige Großmäuligkeit.

Es sind beschwingte Kiezführungen durch den ganz alltäglichen Wahnsinn. Kuriose Szenen aus den Abgründen übriggebliebener Spelunken. Deftige Dialoge aus Wartezimmern. Einer der Kernsätze lautet: „Wie kann man sich gegen die Zumutungen anders zur Wehr setzen als mit Sarkasmus?“

Gegen Ende seiner „Kreuzberger Szenen“ hört Bittermann zufällig einem 68er-Veteranen beim Plaudern über alte Zeiten zu. Der gibt sich als entfernter Kollege von Jan, Holger und Ulrike zu erkennen, und Bittermann schließt begeistert: „Oral history aus den Anfängen der RAF. (…) So was würde einem woanders nicht passieren.“ Es sind lustige Fünf-Minuten-Geschichten, lakonisch, verwundert und stets spöttisch. Ein sarkastisches Büchlein, mit dem man diese Stadt und ihre Randfiguren lieb gewinnen kann. Stefan Berkholz









Klaus Bittermann:
Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol. Kreuzberger Szenen. Edition Tiamat, Berlin. 192 Seiten, 14 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false