zum Hauptinhalt
Der Klassiker: Das Storchennest.

© Patrick Pleul/dpa

Nach der Ostereiersuche: Berlin, deine Nester

Das Osternest kennt jeder. Doch in Berlin gibt es das ganze Jahr über prallgefüllte Nester. Ein Blick auf digitale Monster, gefiederte Gäste und trinkfeste Nachtschwärmer.

Storchennest

Klappern gehört zum Handwerk – und ist im Duett besonders laut. Das erfahren Claudia und Markus Hipp alljährlich irgendwann im April, wenn sie zum Dachfirst ihres Gehöfts in Paretz nordwestlich von Potsdam blicken und sich freuen, dass ihr treues Storchenpaar wieder aus dem Süden zurückgekehrt ist. Beide Vögel klappern dann, was der Schnabel hält und verkünden: „Hey Leute, liebe Paretzer, Nest besetzt, wir sind wieder da!“ So übersetzt Claudia Hipp die Aktion.

Seit gut 14 Jahren leben die Hipps mit ihren vier Kindern auf dem Paretzer Hof, ganz in der Nähe des Schlosses von Preußens populärster Königin Luise. Und ebenso lange begrüßen sie jeweils über mehrere Jahre hinweg dasselbe Storchenpärchen im Nest als Frühlingsboten und Glücksbringer, zuallererst die Vorhut, den Mann. Ihm folgt, ein paar Tage später, das Weibchen.

Wen wundert’s, dass ihr Gehöft längst „Storchenhof Paretz“ heißt, als Pension mit Platz für Hochzeiten samt Reiterhof eine Website hat (www.storchenhof-paretz.de) und die Dorfbewohner ab Ostern gespannt zum Himmel schauen, um die Ankunft ihrer Sommergäste mit den weißen Schwingen nicht zu verpassen.

Ja, es gibt sogar eine „Paretzer Storchenwette“, traditionell ausgeschrieben von Claudia Hipp unter dem Motto: „Top, die Storchenwette gilt“. Die Frage lautet: Wann kommt der Paretzer Storch? Kleine Hilfe: Noch nie ist er vor dem 27. März und niemals nach dem 29. April gelandet.

Einsatz 5 Euro, 20 Prozent der Einnahmen gehen an den/die Gewinner, das übrige Geld ist für einen guten Zweck bestimmt, diesmal wird ein Defibrillator für die Paretzer Feuerwehr gekauft. Wer mitmachen und die Kontonummer erfahren will: Einfach eine Mail mit dem Ankunftstipp schreiben, an: claudia.hipp@storchenhof-paretz.de. CS

Legendär: Das Kumpelnest 3000 in der Potsdamer Straße.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kumpelnest

Ein Lampenladen, geführt von Lady Gagas Großmutter – so stand es mal im britischen „Guardian“. Das Kumpelnest als Ausgehtipp für Briten? Das überrascht wenig, ist der Laden in der Lützowstraße 23 (Tiergarten, tgl. ab 19 Uhr), einst 1987 als Pop-up-Kunst-Bar gegründet, doch die Diva unter den Absturzläden: laut Selbstbeschreibung „rappelvoll, verrucht und verraucht“.

Die Hemmschwelle bleibt an der Türschwelle, hier läuft immer Tanzbares, hier wird das eine Bier zu viel getrunken. Wenn die anderen längst dicht sind, sammelt das Kumpelnest die Versprengten der Stadt ein, ohne Anstehen, Gesichtscheck und Niveau. Nun, wo auf der Potsdamer Straße die Kunst abgeht, sollen auch im Kumpelnest häufiger Neuköllner Artkids gesehen worden sein – auch okay, sagen die Stammgäste. Am nächsten Tag erinnert sich da ohnehin niemand mehr dran. amy

Das Berliner Pokémon-Nest reicht quer durch die Stadt.

© Alexander Heinl/dpa

Pokémon Nest

Das natürliche Habitat der Spoinks sind Gebirge, die Wälder der Johto-Region, und aktuell auch Berlin. Zu Hunderten werden die schweineähnlichen Monster hier von den Fans des Handy-Spiels „Pokémon Go“ gesichtet. Dessen Ziel ist es, digital in der Stadt verteilte, jedoch nur über das Display sichtbare Monster zu fangen und zu trainieren.

Spoinks haben telekinetische Kräfte. Statt auf Beinen bewegen sie sich mit großen Ringelschwänzen wie auf einer Sprungfeder fort. Der Grund für ihr vermehrtes Auftreten in Berlin ist ein riesiges Pokémonnest, das sich vom Tiergarten bis Ludwigsfelde und vom Grunewald bis zum BER erstreckt – eines der größten digitalen Nester der Welt.

Normalerweise beschränken sich solche Flächen auf einzelne Parks oder Spielplätze. In den Territorien kommen hauptsächlich Pokémon eines ganz bestimmten Typs vor. Alle 14 Tage wechselt der Pokémontyp. Wie das „Berlin Mega-Nest“ so groß werden konnte, ist auch für die Spieler ein Mysterium. Vermutet wird ein Fehler im Kartenmaterial. mlü

Empty Nest

Am Ende sind alle Eier gepellt, und die Osterhäschen suchen das Weite. Zurück bleibt ein leeres Nest. Familienpsychologen kennen das als Empty-Nest-Syndrom, es beschreibt die letzte Phase des Erwachsenwerdens nach der Brutversorgung: Die Kinder sind aus dem Haus, die Alten vergessen ihre Namen, und weil die Köpfe nichts mehr behalten können, fallen auch die Haare aus.

Mit voller Wucht wird es in den nächsten Jahren die Eltern von Prenzlauer Berg treffen. Spielplätze verwaisen, Kitas werden zu Seniorenfreizeitstätten, Prenzlberg-Mütter kommen in die Menopause, die Väter in die vierte Midlife-Crisis – mit dramatischen Folgen: Empty-Nesters neigen zu Beziehungsstreit, Vereinsamung, Depression, steigendem Konsum von Arzneimitteln und Drogen sowie zu narzisstischer Selbstbehauptung mittels Viagra, häufig verbunden mit einem Umstieg auf mindestens 20 Jahre jüngere Geschlechtspartner.

Unser Karrieretipp für junge Leute: Wenn Sie sich als Apotheker, Dealer oder Eventbestatter niederlassen wollen, ist Prenzlauer Berg eine sichere Bank. wie

Das einstige Schwalbennest in Mitte.

© imago stock and people

Schwalbennest

Sie erinnern wirklich an Nistplätze, die auffälligen Vorbauten des Hauses am Rand des Nikolaiviertels. „Schwalbennest“ hieß denn auch das chinesische Lokal, welches Mitte der 1980er hier eröffnet und Stadtgespräch im Ostteil Berlins wurde. Ursache war der Luxus bei den Preisen – und bei den Speisen. Denn es stand, so erzählte man sich, Schwalbennestersuppe auf der Karte, in der Exklusivität nur vergleichbar mit Kaviar. Nach dem Mauerfall war es bald vorbei mit China-Luxus; Betreiber, Küche, Name wechselten. Heute gibt’s wieder Kost aus Fernost: im vietnamesischen Restaurant „Ngon“. ling

Café Nest

Kreuzberger Nächte sind lang und manchmal enden sie im Café Nest in der Görlitzer Straße 52. Das Lokal fungiert als Einflugschneise für Nachtschwärmer, aber auch für Familien, Touristen, Nachbarn, vor allem am Wochenende zum Brunch. Frühstücken bis 16 Uhr, auch am Ostermontag (nur nicht am Ostersonntag). Torte, Bulettchen, Oliven, Marmelade.

Bei Regen sitzt man drinnen gemütlich im nicht zu coolen Ambiente mit runtergerockten Dielen. Am schönsten ist es aber draußen auf den Bierbänken, wenn die Sonne den Winter vertreibt: Dann drängen sich die Gäste wie dicke, zufriedene Spatzen nebeneinander, hier und da wird ein Sekt gezwitschert.

Und wenn der zweite oder dritte Teller leergeputzt ist, geht es zum Verdauungsspaziergang rüber in den Görlitzer Park, vorbei an süßlich-schweren Rauchschwaden und selbsternannten Gitarrengöttern, hinein ins süße Nichtstun. Wer braucht schon die Nächte? apo

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false