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Berlin prekär: Jeder Zehnte kann von seinem Lohn nicht leben

Berlin ist die Hauptstadt der prekären Beschäftigung. Beinahe jeder zehnte Erwerbstätige kann hier trotz Arbeit von seinem Einkommen nicht leben und bezieht ergänzend Hartz-IV-Leistungen. Laut Berechnungen des Amtes für Statistik in Berlin-Brandenburg hat sich das Armutsrisiko für Erwerbstätige in den vergangenen zehn Jahren beinahe verdoppelt.

Bezogen damals rund 59.000 Beschäftigte Einkommen an der Armutsgrenze, sind es nach dem letzten Mikrozensus inzwischen rund 110.000 Menschen. Denn der Anteil derer, die entweder Teilzeit- oder Minijobs haben, in Zeitarbeit tätig sind oder deren Beschäftigung befristet ist, liegt über dem Bundesdurchschnitt. Jeder vierte Arbeitnehmer ist in Berlin in einem so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnis, wie es offiziell heißt tätig; bundesweit liegt der Anteil bei 22,2 Prozent.

Anja Wollny, Sprecherin von Arbeits- und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) nennt noch eine weitere Auswirkung der prekären Lohnentwicklung: Jeder vierte verdient in Berlin so wenig, dass sein Einkommen unterhalb der Pfändungsgrenze von rund 900 Euro liegt. Wollny erklärt das Berliner Einkommensgefüge vor allem mit der lange Zeit extrem hohen Arbeitslosigkeit in der Stadt, aber auch in der Region. Außerdem sei der Anteil des Dienstleitungssektors, in dem schlechter gezahlt wird als in der Industrie, überdurchschnittlich hoch. Begünstigt worden sei die Entwicklung auch durch Liberalisierung in der Leiharbeit, so dass dort niedrigere Löhne gezahlt werden könnten als sonst in den jeweiligen Branchen üblich.

Nach Angaben der Sozialverwaltung erhalten in Berlin rund 110.000, der insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigten ein Einkommen, das unter dem Hartz-IV-Satz liegt. Sie haben ein Anrecht auf zusätzliche Sozialleistungen. Da es in diesen Fällen zumeist Unterstützung zur Miete gibt, wird dadurch vor allem der Landeshaushalt belastet. Denn die Bezirke zahlen den Großteil der Mietkosten und nicht der Bund. Auch deswegen ist selbst in den Zeiten des Aufschwungs bis 2008 – die Arbeitslosenzahl ging in eineinhalb Jahren um 50.000 zurück – die Zahl der Hartz-IV-Empfänger nicht entsprechend gesunken. Dass der Sozialetat sogar gestiegen ist, liegt auch daran, dass der Bund seinen Anteil an den Wohnungskosten von einst gut 30 Prozent auf 25 Prozent gesenkt hat.

Die Gewerkschaften sprechen angesichts der Zunahme der prekären Beschäftigung von einem „gesellschaftspolitischen Skandal“. In Berlin und Brandenburg wende die öffentliche Hand rund 700 Millionen Euro auf, um Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können, die Existenz zu sichern. „Die Zunahme dieser erwerbstätigen Aufstocker im vergangenen Aufschwung belegt, dass einige Unternehmen die Löhne drücken, weil es Hartz IV als Zuzahlung gibt“, heißt es beim DGB. Folglich subventioniere der Staat Lohndrückerei. Für den DGB Berlin-Brandenburg wie auch bundesweit gibt es gegen diese Entwicklung vor allem ein wirksames Mittel: die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 7,50 Euro die Stunde.

In Berlin sind derzeit rund 239.000 Menschen arbeitslos gemeldet, 8500 mehr als vor einem Jahr. Die Quote liegt bei 14,2 Prozent. Rund 330.000 Haushalte in Berlin erhalten Leistungen nach Hartz IV.

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