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Berlin: Berlin verkauft seine Gewerbehöfe

Die GSG wird privatisiert. Die Mieter – mittelständische Betriebe – befürchten hohe Mietsteigerungen

Alarmstimmung herrscht bei den Mietern des Gewerbehofs Helmholtzstraße in Charlottenburg. Das auffallend sorgfältig sanierte Haus mit der Fassade aus roten Klinkersteinen soll verkauft werden. Und mit ihm 50 weitere Immobilien in Berlin. Denn der Senat und die landeseigene Investitionsbank privatisieren die „Gewerbesiedlungsgesellschaft“. Die GSG hatte den Auftrag, mittelständischen Handwerks- und Industriebetrieben Produktionsflächen zu günstigen Preisen bereitzustellen. Gewinne sollte sie nicht machen, sondern stattdessen optimale Produktionsbedingungen für die Mieter schaffen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Das wird sich mit dem Verkauf der GSG alles ändern, fürchten die Mieter – falls sich der Käufer als „Heuschrecke“ entpuppen sollte.

„Für uns bedeutet eine Kündigung oder auch eine größere Mieterhöhung das Aus“, sagt Raymund Hammer. Er ist der geschäftsführende Gesellschafter der Firma Lichtmesstechnik. Die LMT ist ein kleines, aber sehr feines Unternehmen: Der Weltmarktführer für Messgeräte zur Prüfung von Lampen und Leuchten zählt Osram, Phillips und Hella zu seinen Kunden sowie DaimlerChrysler und VW, die Leuchttechnik im Fahrzeugbau einsetzen. Dass der geplante GSG-Verkauf die LMT in helle Aufregung versetzt, liegt daran: Vor zwei Jahren investierte die Firma 400 000 Euro in den Ausbau der Mieträume. „Das hätten wir bei einem normalen Vermieter niemals riskiert“, sagt LMT-Chef Hammer. Denn er fürchtet, dass ein am Gewinn orientierter Eigentümer die Mieten erhöht, wenn der Vertrag endet: „Durch die Investition sind wir erpressbar“, so Hammer.

Gewerbeflächen werden zu einem festen Preis vermietet, meist für eine Vertragsdauer von fünf oder zehn Jahren. Danach kann der Vermieter einen beliebigen Preis verlangen, weil nicht wie bei Wohnhäusern Mietspiegel oder Gesetze Gewerbemieter vor „Mietwucher“ schützen. Bekommt eine Firma eine Mieterhöhung, dann kann sie zwar umziehen. Für die LMT wird das aber teuer: Die Ausbaukosten wären verloren und Produktionsausfall schlüge hart ins Kontor: „Durch einen Umzug verlieren wir ein Viertel unseres Jahresumsatzes“, sagt LMT-Chef Hammer. Dann seien die 24 Arbeitsplätze gefährdet. Für einen der LMT-Ingenieure wäre das ein Déjà-vu: Dessen früherer Arbeitgeber in Spandau wurde insolvent, weil sich die Miete nach Vertragsende verdoppelte. Bei einer GSG-Privatisierung könnte das 1250 Firmen mit 12 000 Arbeitsplätzen drohen.

„Die Zeiten, in denen die Nachfrage nach Gewerbeflächen das Angebot übersteigt, sind seit 1994 vorüber“, sagt Volkmar Strauch. Der Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft hält es für ausgeschlossen, dass sich der Markt bald wieder wenden könnte. Heute sei „jeder Hauseigentümer froh, wenn er Mieter findet“. Daher werde ein Privater die GSG-Mieter nicht unter Druck setzen können. Zumal die Verpflichtung der GSG bestehen bleibe: mittelständische Unternehmen mit Flächen zu versorgen. Doch das sieht etwa die Kreuzberger Abgeordnete Barbara Oesterheld (Grüne) anders: „Ein Privater wird die Mieten erhöhen und das können sich viele Firmen nicht mehr leisten.“ Oesterheld fürchtet, dass der wirtschaftsfördernde Charakter“ der GSG verloren geht, trotz etwaiger Klauseln in den Kaufverträgen: „Das ist die Erfahrung aus vielen früheren Verkäufen.“

Not tut ein Verkauf der GSG nicht, denn sie verursacht keine Verluste und wird ausgezeichnet geführt: „Die Immobilien sind überdurchschnittlich gut gepflegt. Ein Privater könnte das nicht besser“, sagt Gottfried Kupsch, auf Gewerbeimmobilien spezialisierter Makler. Die GSG nimmt jährlich 45 Millionen Euro ein und konnte 70 Prozent aller Flächen (rund 800 000 Quadratmeter) in den 50 Gewerbehöfen vermieten. Der gute Zustand der Häuser ist auf die hohen Investitionen zurückzuführen. Weil der Gesellschaftszweck der GSG bisher die Förderung mittelständischer Firmen war, wurde überschüssiges Geld in die Immobilien investiert. Außerdem flossen Subventionen in Höhe von rund 12 Millionen Euro von der EU und 350 Millionen Euro vom Bund in die Höfe.

Noch liegt die hervorragende Substanz der Immobilien in den stillen Reserven. Denn die vielen Subventionen sind an den Nutzen der Objekte für die Handwerksfirmen gebunden. Von dieser Bindung wird aber in vier Jahren die Hälfte der Immobilien befreit. Dann kann der Eigentümer Kasse machen, die Mieten erhöhen, die Höfe einzeln oder in Paketen verkaufen und ein Vielfaches des heutigen Wertes erzielen. Das hat sich herumgesprochen: Kaufinteressenten stehen Schlange. Nach IBB-Angaben haben „60 Investoren Interesse geäußert“.

In Bieterkreisen ist man zuversichtlich, dass man die GSG zum Schnäppchenpreis bekommt. In einem Interview plauderte IBB-Chef Dieter Puchta sogar den Wert aus, mit dem die GSG in den Büchern seines Hauses erscheint: 130 Millionen Euro. Für Investmentbanker war das ein grober Schnitzer im Poker um den besten Erlös beim Verkauf, zumal die IBB selbst 200 Millionen Euro bei der Übernahme der GSG an die Landeskassen überwiesen hatte. Gemessen an den stillen Reserven der Firma, die in wenigen Jahren gehoben werden können, ist aber sogar das noch wenig: Insider beziffern diese auf 800 Millionen Euro.

Den Auftrag zum Verkauf der GSG erhielt bei einer EU-weiten Ausschreibung die auf Privatisierungen spezialisierte Frankfurter Kanzlei Drueker. Zu deren Partnern zählt Christiane Krajewski. Sie war 2001 für die schon damals regierende SPD Finanzsenatorin von Berlin.

Alle Gewerbehöfe der GSG im Internet: www.gsg.de

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