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Pavillons in der Natur, Wohnen im Grünen. Die Architekten des Büros Graft haben die unterschiedlichsten Visionen.

© Graft

Berlin Visionär: Die Zukunftsschmiede

Graft ist ein Phänomen, fast schon eine Legende. Drei junge Architekten, die weltweit agieren – ihre Visionen illustrieren die neue Tagesspiegel-Serie "Berlin 2030 - Die Zukunft der Hauptstadt".

Drei Uhren ticken an der Wand des Besprechungszimmers. In Los Angeles ist es sieben Uhr früh, in Peking Mitternacht, und genau dazwischen, in Berlin, 15 Uhr. „Das ist jetzt das Zeitfenster, wo unsere drei Büros miteinander kommunizieren können“, sagt Lars Krückeberg, Jahrgang 1967 und einer der drei gleichaltrigen Begründer und Chefs des Architekturbüros „Graft“, das Dependancen in den beiden anderen Städten unterhält. Im Berliner Büro hat man nicht unbedingt das Gefühl, am Nabel der Welt zu sitzen – vierter Stock in einem Gewerbehof an der Heidestraße, vom Krieg verschont, Brachland. Im Großraumbüro arbeiten still die Mitarbeiter, an Projekten auf vier Kontinenten, „auch in Afrika“.

Graft, das ist ein Phänomen, fast eine Legende. Welche Jung-Architekten können schon von sich sagen, durch einen Atelierhaus-Entwurf für Hollywood-Star Brad Pitt zu erstem Ruhm gekommen zu sein? Die Verbindung zu Pitt besteht weiter und hat weit ernsthaftere Ergebnisse gezeitigt als nur eine Luxusvilla, aber der Hype ist geblieben. Mit dem Schauspieler hat Graft ein Wiederaufbauprojekt für den ärmsten und am schwersten geschädigten Teil von New Orleans gestartet, 150 Einfamilienhäuser zu je nur 140 000 Dollar. Die Werbekampagne mit pinkfarbenen Klötzen war ein durchschlagender Erfolg, die ersten 40 Häuser, von Spendern finanziert, stehen bereits. Ein Dutzend renommierter Architekten hat Modellentwürfe geliefert, unter denen ausgewählt werden kann. Grafts eigener Entwurf, US-typisch schmal und dafür sehr langgezogen, wurde allein fünf Mal gewählt, eine Anerkennung, die die Bürochefs sichtlich freut.

Zugleich sind diese Häuser außerordentlich günstig im Energieverbrauch. Überhaupt steckt in den scheinbar so flott-fließend-organischen Entwürfen von Graft viel Feinarbeit hinsichtlich der Optimierung von Energieeinsatz und -erzeugung. Der heutige Architekt, so Krückeberg, „steht an der Schnittstelle von Produkt-Design bis Städtebau – und damit in der Verantwortung“. Ganzheitliche Vorstellungen seien notwendig. Das gilt für Einfachhäuser in New Orleans ebenso wie für ein Luxushotel in Dubai, das seinen Energiebedarf aus Photovoltaik deckt – und darum streng nach dem Einfall des Sonnenlichts ausgerichtet ist.

Graft ist nicht Hausbau oder Innenarchitektur oder Produktgestaltung, sondern alles zusammen. Ob preisgekrönte Waschtische für einen namhaften deutschen Sanitärhersteller, ob ein Poolbereich für einen Riesenkomplex in Las Vegas mit 2000 Liegen, ob ein „Regional Shop“ am Frankfurter Flughafen, dem am künftigen BBI-Terminal einer mit Ausrichtung Berlin-Brandenburg folgen wird – die 65 Mitarbeiter in den drei Büros auf drei Kontinenten sind für alles offen. „Wir sind neugierig“, sagt Krückeberg mit entwaffnender Selbstverständlichkeit. Der „californian spirit“, dem er und Mitgründer Wolfram Pütz Ende der neunziger Jahre huldigten, als sie aus dem Wohnhaus im trendigen Venice heraus die ersten Projekte ihres 1998 ins Leben gerufenen Büros in Angriff nahmen, hat sich gehalten. Bis in die Sprache hinein, die manchmal sehr ins Denglische geht – etwa wenn Krückeberg als Ziel vorgibt, „sustainability als marketing tool nach vorne zu tragen“.

Andererseits: Welche Sprache muss man sprechen, wenn man Projekte zwischen New York, Tiflis und Seoul realisiert? Und ein Gutteil der Arbeit nicht darin besteht, Zeichnungen oder Computer-Renderings anzufertigen, sondern zu reden, zu diskutieren, zu überzeugen? Englisch ist die verbindende Weltsprache, und die Graft-Macher wollen „wissen, wie sich die Dinge entwickeln, ob in Los Angeles oder Peking, deswegen haben wir auch die drei Büros“. Graft arbeitet an den verschiedensten Planungen und Thinktanks mit, ob für ein Nahverkehrssystem in Peking oder, quasi vor der Haustür, für ein Konzept für den aufgelassenen Flughafen Tempelhof.

Immer steht das Prozesshafte im Vordergrund, das Unabgeschlossene, das alle städtebaulichen Planungen begleitet. Beispiel „Boulevard der Stars“ auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße zwischen den Kinozentren bei Sony und Daimler: Während der beschlossene Abschnitt gerade erst in der Verwirklichung ist, denken Graft bereits an die Fortsetzung Richtung Potsdamer Brücke, abgestimmt auf die dortigen Anrainer des Kulturforums. Dabei machen die deutschen oder gar Berliner Projekte nur einen Bruchteil der Aufträge von Graft aus, vielleicht 20 Prozent. „Think global, act local, daran glauben wir“, sagt Krückeberg. Das mit dem globalen Denken glaubt man sofort. Im Zweifelsfall genügt ein Blick auf die drei Uhren im Besprechungszimmer.

Am 25. Juli der erste Teil der Serie: Potential mit Zukunft

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