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Berlin: „Berlin wäre genau die richtige Stadt für mich“ Patti Smith über ihr Verhältnis zu Berlin, zu New York

nach dem 11. September und ihre Zukunftspläne

Bei Ihrem letzten Konzert in Berlin vor sechs Jahren spielte Ihr Sohn Jackson, der damals 14 Jahre alt war, ein kleines Solo auf der Gitarre. Ist er jetzt wieder mit auf Tour?

Ja, er ist als zweiter Gitarrist bei der ganzen Tour dabei. Es ist seine erste richtige Tour. Das ist ziemlich aufregend - für ihn und für mich auch. Es ist toll zu sehen, wie er seine Fähigkeiten entwickelt hat. Bei seinem Gastauftritt damals war er noch verdammt jung. Seitdem hat er sein Gitarrenspiel sehr verbessert. Das ist für mich als Mutter sehr schön mit anzusehen.

Gefällt ihm das Rockmusik-Geschäft?

Nein. Ihm gefällt es, Musik zu machen. Aber er hat kein Interesse am Rock-Business. Er weiß noch nicht, ob er Profi-Musiker werden will.

Was für ein Gefühl ist es für Sie, neben Ihrem Sohn auf der Bühne zu stehen?

Es ist toll. Ich liebe meinen Sohn, er hat einen großartigen Charakter. Außerdem erinnert er mich an meinen Mann Fred, der 1994 gestorben ist. Ich bin und bleibe natürlich seine Mom – kann dabei aber immer ich selbst sein.

Wohnt er noch bei Ihnen?

Nein, ich lebe in New York und er ist nach Detroit zurückgezogen, wo er aufgewachsen ist. Ich lebe mit meiner Tochter zusammen. Die ist jetzt 15 Jahre alt.

Wie hat sich als New Yorkerin Ihr Leben seit dem 11. September verändert?

Alles hat sich verändert. Das fängt damit an, dass ich früher immer die beiden Türme des World Trade Centers sah, wenn ich aus meiner Haustür trat. Jetzt ist der Himmel verdammt leer. Heute bin ich unzufriedener mit unserer Regierung als je zuvor. Eine Menge unserer Grundrechte sind uns im vergangenen Jahr genommen worden. Die Regierung hat sich die arabische Bevölkerung als Feindbild gewählt. Das halte ich für falsch. Ihre Nahost-Politik ist unmoralisch. Und es trägt nur zur Eskalation bei.

Was hätte man machen sollen?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Was am 11. September passierte, war eine grauenhafte Tragödie. Aber wie wir in Afghanistan zurückgeschlagen haben, ist auch grauenhaft. Das trägt doch alles nur zu einem Domino-Effekt der Gewalt bei. Wir müssen stattdessen unsere Hände ausstrecken und versuchen, einen einfühlsamen Dialog mit denjenigen zu führen, die hinter diesen Taten stehen. Stattdessen setzt unsere Regierung auf Rache.

Trotzdem bezeichnen Sie sich als Patriotin und zeigen sich demonstrativ mit der US-Flagge. Ist das ein Widerspruch?

Nein. Ich bin Amerikanerin und liebe mein Land. Man kann doch trotz aller Kritik Patriotin sein und die Dinge lieben, für die unser Land steht: die Unabhängigkeitserklärung zum Beispiel. Die Wurzeln unseres Landes sind gut, aber die Außen- und Sicherheitspolitik ist derzeit schlecht.

Sie waren immer mal wieder in Berlin. Welches Verhältnis haben Sie zu der Stadt?

Ich liebe diese Stadt sehr und finde sie außergewöhnlich interessant. Vor allem im Ostteil war ich immer viel unterwegs, wenn ich zu Besuch war. Seit Jahren bin ich sehr an deutscher Kunst interessiert. Ich liebe die Arbeit von Bertolt Brecht, Kurt Weill und Lotte Lenya. Rilke ist einer der größten Poeten, die es je gegeben hat. Auch von Thomas Mann und Hermann Hesse halte ich sehr viel.

Was werden Sie Freitag in Berlin unternehmen?

Das weiß ich schon ganz genau. Erst trinke ich eine Tasse Kaffee im Café Einstein. Dann gehe ich zu diesem kleinen Friedhof, wo ich schon bei meinem letzten Besuch war. Dort liegen Hegel und Brecht. Wie hieß der noch gleich?

Dorotheenstädtischer Friedhof?

Ja, genau. Ich liebe es, in anderen Städten auf Friedhöfe zu gehen und Leute zu besuchen, die mir etwas bedeuten. Friedhöfe haben immer etwas Wunderschönes. Leider habe ich diesmal nicht allzu viel Zeit. Am Sonnabend muss ich gleich weiter zu den nächsten Konzerten. Mitte August geht’s zurück nach New York.

Können Sie sich vorstellen, woanders zu leben?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe fest vor, aus New York wegzuziehen, wenn meine Tochter alt genug ist, um auf eigenen Beinen zu stehen. Ich will nach Europa ziehen und hier in verschiedenen Städten für eine Zeitlang leben. In Basel zum Beispiel.

Auch in Berlin?

Das wäre genau die richtige Stadt für mich. Ich werde sicher mal ein paar Monate hier leben. Am liebsten in Ost-Berlin, das scheint mir besonders aufregend. Ich denke, ich komme im nächsten Frühling mal privat hierher, um wieder etwas mehr Zeit für die Stadt zu haben.

Was für eine Show haben wir bei Ihrem Auftritt am Freitag zu erwarten?

Ich weiß es noch nicht. Jeder Abend ist anders, das hängt von der Stimmung ab. Ich will mich aber vor allem einem Thema widmen: dem Anti-Kriegs-Thema. Wir müssen uns weltweit als Anti-Kriegs-Bewegung stärker zusammentun.

Gegen die US-Außenpolitik?

Nicht nur. Es geht genauso um Israel und Palästina, um die Atomwaffentests in Pakistan und Indien - und es geht um die sinnlosen Bombardierungen der USA in Afghanistan. Es scheint, die Leute haben in jüngster Zeit wieder vergessen, dass Krieg grundsätzlich unmoralisch ist. Sie haben die Lektionen verlernt, die unsere Vorfahren aus dem Zweiten Weltkrieg und aus Vietnam mitgebracht hatten.

Bruce Springsteen und Neil Young haben den 11. September in ihrer Musik verarbeitet. Sie auch?

Ich habe dazu einige neue Stücke geschrieben, die ich am Freitag spielen will. Im Moment prüfe ich, wo ich meine nächste Platte aufnehmen kann, da ich mich ja kürzlich von meiner langjährigen Plattenfirma BMG getrennt habe. Außerdem habe ich viele Bilder gemalt, in denen es um den 11. September geht. Ich beteilige mich an einer Ausstellung zum Thema im Andy-Warhol-Museum in Pittsburgh, die nächsten Monat eröffnet wird.

Was haben Sie gemalt?

Ich habe Bilder und Impressionen verarbeitet von den Überbleibseln des einen Turmes des World Trade Centers. Für die Collagen habe ich viel mit religiösen Texten gearbeitet, mit Zitaten aus der Bibel, dem Koran und der Tora, um diese heiligen Bücher zumindest künstlerisch in einem Stück zusammenzubringen.

Werden die Bilder auch in Deutschland zu sehen sein?

Ja, aber ich weiß nicht wann. Die Ausstellung soll erst durch Amerika touren und dann um die ganze Welt gehen.

Hören Sie eigentlich auch privat immer noch Rockmusik?

Nein, kaum. Am liebsten höre ich Opern. Von Brechts Mahagonny über italienische Opern bis hin zu Wagner und Mozart. Außerdem höre ich viel Jazz von John Coltrane. Rock-Musik ist mir meist zu Pop-lastig, zu materialistisch, zu inhaltsleer.

Sie werden Ende des Jahres 56. Wie lange wollen Sie noch im Musikgeschäft mitmischen?

Ich hoffe, ich werde mein ganzes Leben lang kreativ arbeiten. Im Moment fühle ich mich stärker als je zuvor. Also machen Sie sich keine Sorgen wegen meines Alters: Ich habe noch viel vor!

Das Gespräch führte Lars von Törne.

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