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Der Humboldthain - ein Szeneort?

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Bezirke im Wettstreit: Wedding will was werden - endlich

Die Gegend kommt! Jetzt aber wirklich! Oder doch nicht? Wedding soll seit Jahren die Trendsetter anziehen. Doch so richtig mag das nicht klappen. Ein Rundgang im Kiez.

Von Ronja Ringelstein

Die Abendsonne scheint golden auf die schräge Dachterrasse. Von hier aus sieht man die S-Bahnschienen der Ringbahn, rosafarbene Kondensstreifen ziehen sich über den hellblauen Sommerhimmel. Im Netto gegenüber besorgen viele noch schnell vor Ladenschluss ihre Einkäufe für das Wochenende. In der Ferne sind rhythmisches Trommeln und ein paar Klänge der türkischen Saz-Gitarre zu hören – irgendwo wird eine Hochzeit gefeiert. So idyllisch kann Wedding sein.

Das Image allerdings ist ein anderes. „Dreckig, schäbig und gefährlich, so stellen sich viele Berliner den Wedding vor“, sagt Jörg Köpsel, Begründer des Labels „Bitchwedding“. „Der Bezirk kann eben eine richtige Bitch sein!“ Daher der Name. Mit seinen T-Shirts, Jutebeuteln und Aufklebern will Köpsel unter dem Künstlernamen Joerg Koerk seinen Kiez „hypen“, wie er sagt. „Der normale Weddinger hat kein Geld für Markenklamotten – also macht er sich seine Marke eben selbst“, sagt er. Aktiv sind er und sein Partner Aristoteles Chaitides auf Facebook, veranstalten hie und da Partys und haben einen Onlineshop. Hier verkaufen sie die Drucke mit den frechen Sprüchen, mit denen sie sich über bekannte Markennamen lustig machen. „Wedding hat ein schlechtes Image, das wollen wir ändern.“ Also machen Köpsel und Chaitides Werbung für Wedding, das seit etwa zehn Jahren angeblich im Kommen ist. Wedding sollte schon seit langem der nächste In-Stadtteil werden, das Gerücht, dass „der Wedding“, wie der Volksmund den Ortsteil nennt, nun aber wirklich ganz sicher und absolut im Kommen sei, hält sich seit Jahren. Doch dann war das plötzlich Neukölln. Und jetzt? Kommt Wedding jetzt?

Seit 2001 ist Wedding kein Bezirk mehr

Da ist zunächst mal das Problem der Abgrenzung. Denn Wedding ist eigentlich viel kleiner, als die meisten glauben – und seit der Verwaltungsreform 2001 schon kein eigner Bezirk mehr. Da wurde das Gebiet des ehemaligen Bezirks in die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen aufgeteilt – beide gehören jetzt zu Mitte. Trotzdem sprechen die allermeisten immernoch von Wedding, wenn sie eigentlich Gesundbrunnen meinen.

Der Kiez jedenfalls, glauben die Macher von Bitchwedding, komme nun in jedem Fall. Allerdings eher im Kleinen. Wedding gebe nicht so an, mit großen Schildern und Fassaden, nein, hinter den Jalousien und in Hinterhöfen spiele sich das meiste ab. Von Gentrifizierung ist hier noch nicht viel zu spüren, allerdings findet Chiatides: „Verändert hat sich die Gegend auf jeden Fall.“ Woran man das merke? Zum Beispiel am Publikum im Netto. „Bis vor zwei Jahren liefen hier nur Asis rum, Alkoholiker und Langzeitarbeitslose.“ Jetzt sehe man immer häufiger modisch gekleidete Studenten.

Doch nicht nur das Publikum im örtlichen Supermarkt hat sich verändert, auch das Feiervolk zieht immer häufiger in die Gegend, der Clubszene hinterher, die sich hierhin ausdehnt. Nach etablierten Lokalitäten wie dem „Stattbad“, der „Panke“ oder dem „Brunnen 70“ ist das „Humboldthain“ eine der neuesten Ausgehmöglichkeiten. Der Club, der sich einfach nach dem S-Bahnhof benannte, der nebenan liegt, wurde von Constantin Boese am zweiten Maiwochenende mit einer Vier-Tage-Dauerparty eröffnet. Hier gibt es Kreuzberger Flair mitten in Gesundbrunnen: Der Außenbereich ist sehr grün und liebevoll dekoriert, mit Lagerfeuerstelle für die Nacht und Sonnendecks für die After-Hour am Tag. Drinnen ist es dunkel und der Bass wummert über die zwei Etagen. „Ich hoffe, der Club wächst auch den Nachbarn ans Herz“, sagt Boese. Immerhin liegt er mitten in einem Wohngebiet, da müsse man sich erst einmal etablieren. Mit Kunstveranstaltungen und Lesungen will Boese den Kiez mit einbeziehen, auch etwas für Nicht-Clubgänger anbieten.

Wedding ist wie eine Wüstenlandschaft: Man muss die Oasen finden

Im Vergleich dazu ist das Stattbad Wedding (übrigens ebenfalls in Gesundbrunnen gelegen) geradezu alteingessen: Das ehemalige Schwimmbad bietet seit 2009 Raum für Kunst, Kultur und Partys. Im Jahr 2001 wurde die Badeanstalt geschlossen und stand über Jahre hinweg leer, bis die erste Ausstellung im Mai 2009 neuen Schwung in die alten Hallen brachte. Die Partys wurden damals noch selten, höchstens einmal im Monat veranstaltet – inzwischen kommen nicht nur Feierfreudige aus dem Kiez fast jedes Wochenende in die Gerichtstraße, um im trocken gelegten Schwimmbecken zu tanzen. Die Schlangen sind vergleichbar mit dem Andrang vor Friedrichshainer und Kreuzberger Clubtüren. Im Foyer gibt es seit einem Jahr die passende Bar, die tagsüber Café ist und abends Cocktailbar – und neuerdings auch jeden Dienstag Pop-up-Restaurant. „Lost in Food“ nennt sich die Veranstaltung um ein Drei-Gänge-Menü für sieben Euro. Familiär geht es hier zu bei Selbstbedienung, Kerzenschein und Livemusik. Der Steinfußboden des alten Schwimmbadfoyers ist vollgestellt mit zusammengeklaubten Möbeln, wie es sich gehört, wenn man in Berlin als Laden angesagt sein möchte. Die Stattbar versteht sich laut Website als „Treffpunkt der Neu- und Alt-Weddinger aus dem Gerichtstraßen-Kiez. Hier sitzen nun die ganzen Kreativen einträchtig nebeneinander.“

Je genauer man hinsieht, desto mehr eröffnet sich das kreative Potenzial der beiden Ortsteile, mit Liebe zum Detail und ohne Angst vor der Wirklichkeit, sei sie auch grau oder derbe. Und gut vernetzt sind diejenigen, die sich als Weddinger verstehen: Der „Weddingweiser“ informiert im Internet täglich, das Printmagazin „Der Wedding“ erscheint einmal im Jahr und trägt unaufgeregt und lebensnah Alltagsgeschichten aus dem Bezirk zusammen. Und die Weddinger haben sogar ihr eigenes Bier „Wedding Pale Ale“, malzig und herb wie die Gegend selbst. Und stadtweit beliebt ist natürlich die Kult-Theaterserie „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Das „Prime Time Theater“ in der Müllerstraße ist inzwischen in der 85. Folge angekommen. Für das Theater renovieren Chaitides und Köpsel gerade das Kassenhäuschen. „Kiezkit“ nennt Jörg Köpsel das: Die Weddinger halten zusammen.

Eigentlich alles da für den In-Bezirk, doch irgendwie will es nicht so richtig klappen. Vielleicht liegt es daran, dass das, was die Leute Wedding nennen, für Außenstehende nicht so leicht zu knacken ist. Es ist schwierig, aufs Geratewohl in die Gegend zu fahren, um dann spontan zu sehen, in welches Café oder in welche Bar man sich setzt. Vieles ist versteckt. „Wedding kann einem wie eine Wüstenlandschaft vorkommen, du musst wissen, wo die Oasen sind“, sagt Chaitides. Für ihn sind diese etwa das Schraders, mit seinem großen Sonntagsbrunch, das Tangoloft, die Jatzbar mit den guten Cocktails, die Bar Analog, das Kikisol oder die Fos Bar. Alles da, man muss es nur finden. Und es stimmt: Preise wie hier gibt es nur noch selten in Berlin. „Vielleicht ist Wedding eben noch am meisten so, wie Berlin früher mal war: authentisch, preiswert, sympathisch.“

Klöpsel hat den Satz kaum zu Ende gesprochen, da fahren plötzlich zwei Streifenwagen mit Blaulicht auf den Parkplatz vorm Netto. Die Polizeibeamten springen aus dem Wagen und holen ihr Megafon heraus: „Verlassen Sie sofort das Dach!“ hallt es über den Parkplatz. Die Terrasse der beiden ist in Wirklichkeit nur ein schräges Dach ohne Begrenzung. Und darauf darf man natürlich eigentlich gar nicht sitzen – viel zu gefährlich. Den Weddingern ist das natürlich egal.

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