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© dpa

Berliner Bundestags-Neulinge: Hinten anstellen

Martin Lindner, Halina Wawzyniak, Frank Steffel – von den früheren Wortführern der Berliner Landespolitik ist selten noch etwas zu hören. Sie wurden letzten Herbst in den Bundestag gewählt. Und dort gilt die Regel: Erst mal einarbeiten, um sich später durch Sacharbeit zu profilieren.

Für die Neuen gibt es ein einfaches Prinzip: „Hinten anstellen!“ Das hat Wolfgang Wieland schnell gelernt, als der einstige Berliner Justizsenator vor vier Jahren in den Bundestag gewählt wurde. Das gilt auch jetzt für die Berliner Politiker, die vor gut 100 Tagen zum ersten Mal ein Mandat ergattert haben und sich jetzt bemühen, im 17. Deutschen Bundestag Profil zu entwickeln und zwischen Arbeitskreissitzungen, Ausschussterminen und Plenumstagen erste politische Spuren zu hinterlassen.

„Da hält einem keiner in den ersten Reihen den Platz frei“, weiß Wieland, der sich nach einer langen Karriere als Berliner Landespolitiker inzwischen auch im Bundestag einen Namen als Innenpolitiker gemacht hat und Grünen-Obmann im Innenausschuss ist. Von den 611 am 27. September gewählten Abgeordneten des Bundestages – darunter 23 aus Berlin – „sitzen maximal ein Zehntel in Funktionen, die sie in die Öffentlichkeit bringen“. Die Konsequenz: Bislang öffentlich stets präsente Politiker scheinen plötzlich abgetaucht zu sein. „Lautsprecher gibt es im Bundestag viele“, weiß Wolfgang Wieland. „Jetzt geht es darum, sich mit Sacharbeit zu profilieren. Dafür braucht man mindestens eine Legislaturperiode.“

Vielleicht erklärt das, wieso man zum Beispiel vom einstigen Chefpolemiker der Berliner FDP länger nichts mehr gehört hat. Als Martin Lindner noch die liberale Fraktion im Abgeordnetenhaus anführte, war der zu kämpferischer Rhetorik neigende Anwalt regelmäßig mit unkonventionellen Ideen in der Öffentlichkeit, so noch kurz vor der Wahl mit der Forderung, den Hartz-IV-Satz um ein Drittel zu kürzen. 

Wer jetzt auf der Website des Bundestagsabgeordneten Martin Lindner nachschaut, was er so treibt, wird enttäuscht. Unter „Parlamentarische Initiativen“ finden sich zwar ein paar Anträge der FDP – die stammen aber alle aus dem letzten Bundestag, in dem Lindner noch gar nicht vertreten war. Auch die Rubriken „Pressearchiv“ oder „Besuchergruppen“ sind leer. Nur unter „Person“ findet man Lindners Vita – und das auch gleich auf Englisch und Russisch.

Lindner selbst schätzt seine ersten Monate im neuen Parlament dennoch als erfolgreich ein, wie er im Gespräch erzählt. Zwar gebe es im Bundestag „alte Prioritäten und Rechte“, sagt der über die FDP-Landesliste in den Bundestag gewählte Politiker, der im Wirtschafts- und im Petitionsausschuss des Bundestages mitarbeitet. Dennoch habe er mit seiner Ernennung als technologiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion einen „sehr guten Beginn“ erlebt und arbeite sich gerade fleißig ins neue Fachgebiet ein.

Zugleich kämpft der Bundestags- Frischling aber noch mit fundamentalen Beschränkungen, wie sie manch andere Neugewählte plagen: Auch im vierten Monat nach der Bundestagswahl sitzt Lindner mit seinen bislang zwei Mitarbeitern noch in einem viel zu kleinen Übergangszimmer und wartet, dass sein eigentliches Büro frei wird. „Wir sind noch nicht vollständig arbeitsfähig“, sagt der 45-Jährige. Immerhin hält Lindner unter Berlins Bundestagsneuzugängen den Talkshow-Rekord: Sowohl bei Sandra Maischberger als auch bei Anne Will war er bereits zu Gast, was er mit seinem Hang zur „deutlichen Aussprache“ erklärt.

Ein Mann, der einst Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister ablösen wollte, scheint seit der Wahl vom September ebenfalls von der Berliner Bühne verschwunden zu sein. Dafür tauchte Frank Steffel, der für die CDU mehr als 18 Jahre lang im Abgeordnetenhaus saß und im September das Direktmandat für Reinickendorf holte, bereits ein paar Mal in den überregionalen Medien auf. Das verdankt er Claudia Pechstein. In der Doping-Kontroverse um die Berliner Eisläuferin warnte Steffel als Mitglied des Bundestags-Sportausschusses vor einer „Treibjagd“ gegen die Sportlerin und wurde von „Süddeutscher Zeitung“ bis „Super Illu“ quer durchs Land zitiert. Auch mit ein paar kritischen Worten zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung war der neben dem Sport- auch im Finanzausschuss sitzende Steffel überregional in den Medien. Und mit einem überraschenden „Rettungsplan für Hertha“ schaffte er es am gestrigen Dienstag immerhin auf die Titelseite der „B.Z.“

Seine Firmengruppe hat der 43-Jährige wegen des Bundestagsmandats derweil in die Hände seiner Geschäftsführer gelegt. Die dadurch gewonnene Zeit hat Steffel im Bundestag auch nötig, sagt er. Vor allem, weil im Gegensatz zum Abgeordnetenhaus in Bundestagsausschüssen viel mehr an Gesetzentwürfen gefeilt werde.

„Mit Arsch in der Hose in den Bundestag“ – das Poster mit diesem Spruch und ihrer halbnackten Rückansicht machte Halina Wawzyniak vor der Bundestagswahl berlinweit und darüber hinaus bekannt. Jetzt hängt das Poster an der Bürotür der neuen Bundestagsabgeordneten in einem Bundestagsgebäude Unter den Linden. Seitdem die Linken-Bezirksvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, Vizebundesvorsitzende ihrer Partei und frühere Justiziarin der Linken-Bundestagsfraktion, auch für sie selbst überraschend in den Bundestag einzog, hat sie auf ihrem prominenten Hinterteil etliche Stunden in Ausschüssen verbracht, auf dem Bürosessel und vor allem im Bundestagsplenum. Dort hört sie sich manche Debatte über Afghanistan oder Hartz IV aus purem Interesse an, wie sie sagt, auch wenn es mit ihrem Fachgebiet – sie sitzt im Rechtsausschuss des Bundestages – nicht immer zu tun hat. Das Einarbeiten in den neuen Job und die Entwürfe erster Anträge verbindet sie mit Rückmeldungen ans Wahlvolk. Fast täglich kommentiert die 36-Jährige auf ihrer Website politische Themen und verteilt Seitenhiebe an die Bundesregierung.

Gut dreieinhalb Jahre haben die Neuzugänge im Bundestag Zeit, sich bis zur nächsten Wahl zu profilieren. Viele von ihnen werden nie mehr so öffentlich sichtbar agieren wie sie das einst auf der Landesbühne taten – und sich gelegentlich ärgern über Rückmeldungen aus der Berliner Wählerschaft, wie sie auch Wolfgang Wieland zu hören bekommt: „Man hört ja gar nichts mehr von Ihnen.“ Da entgegnet der Grünen-Politiker dann, er habe sich doch gerade erst wieder in Interviews geäußert. Aber eben nicht in der lokalen Presse, sondern in der „Leipziger Volkszeitung“ oder „Osnabrücker Zeitung“. „Das ist das Schicksal eines Bundestagsabgeordneten: Der Einzugsbereich hat sich vergrößert, die Intensität nimmt ab.“

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